Strukturelle Nähe - epd medien

17.06.2024 12:38

In seinem Porträt des CDU-Politikers Hendrik Wüst spart der Reporter Markus Feldenkirchen wichtige Fragen aus. Die ARD-Dokumentation "Markus Feldenkirchen trifft Hendrik Wüst" wird so sehr wohlwollend, meint Christian Bartels.

Markus Feldenkirchen befragt den CDU-Politiker Hendrik Wüst

epd "Wären Sie eigentlich gerne Bundeskanzler?" lautet die Abschlussfrage von Journalist und Presenter Markus Feldenkirchen an den CDU-Politiker Hendrik Wüst. Wenn der nordrhein-westfälische Ministerpräsident sich wenig später mit "sehr gerne" verabschiedet, ist das natürlich nicht die Antwort auf diese Frage, sondern die übliche Höflichkeitsfloskel. Wüst ist routiniert genug, sich nicht öffentlich über etwas zu äußern, was seine Partei erst in einigen Monaten intern beschließen möchte. Er gibt sich überhaupt keine Blöße, freut sich aber telegen, dass dieses wohlwollende ARD-Filmporträt direkt nach der Europawahl und vor der Sommerpause seinen Namen ins Spiel bringt.

Feldenkirchen lobt ausdrücklich Wüsts "mitfühlenden Konservativismus" und sähe ihn offenkundig gerne als Kanzlerkandidaten der Unionsparteien oder gar als Bundeskanzler. Vermutlich nimmt die ARD Anschlussfragen wie die, welche Perspektive Feldenkirchen eigentlich einnimmt - eine individuelle, die des Landes oder die der Partei? -, und ob es Aufgabe von Journalisten oder des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sein sollte, Kanzlerkandidaten vorzuschlagen, gerne in Kauf. Außerdem hat sich das insistierende Stellen von "K-Fragen" ja längst als zentraler Inbegriff des Fernseh-Journalismus eingebürgert.

Freude am Jagen

Die Reihe "Feldenkirchen trifft …" besteht im Wesentlichen aus drei Elementen. Erstens wird Wüst zu diversen Terminen begleitet, auch in seinen westfälischen Heimatort Rhede. Als Kind war er ein "Frechdachs", bestätigt seine ehemalige Lehrerin. Er wollte Papst, Lokomotivführer und Bäcker werden, wurde dann aber Anwalt, erfährt man. Lange war er Messdiener in der katholischen Kirche, hat von einem Missbrauchsskandal, der dort vor seiner Zeit stattfand und später erst bekannt wurde, aber nichts mitbekommen, sagt er. Man erfährt einiges über seine Vita, etwa den "Absturz mit nur 34 Jahren" und Rücktritt als Generalsekretär der CDU in Nordrhein-Westfalen nach einer Affäre 2010.

Zweitens gehört zum Feldenkirchen-Format eine Art Talkshow, bei der sich der Autor und sein Gast gegenübersitzen. Feldenkirchen stellt zum einen persönliche Fragen nach Wüsts Werdegang, etwa zum frühen Tod seiner Mutter oder zu seiner Freude am Jagen. Bei diesem Hobby achtet Wüst offenbar genau darauf, dass dazu keine Bilder von ihm kursieren, während er sonst dafür sorgt, dass es Bilder gibt.

Ein Netzwerker

Der Talk möchte aber auch aktuell sein. So fragt Feldenkirchen nach dem Umgang mit Tätern wie dem "Messermörder von Mannheim" (dass er nicht verharmlosend von einer "tödlichen Messerattacke" redet, verdient Erwähnung). Zweifellos wurde die Sendung von der ARD mit Absicht auf den Tag nach der Europawahl programmiert, an dem während der Diskussionen um die Wahlergebnisse auch die Kanzlerkandidaten-Frage wieder aufpoppen würde. Zu Feldenkirchens Pro-Wüst-Argumenten gehört, wie gut Wüst in Nordrhein-Westfalen mit den Grünen regiert. Doch mit der jüngsten Wendung, dass eine schwarz-grüne Koalition im Bund gar keine Mehrheit erreichen könnte, hat offenkundig niemand gerechnet.

Schließlich schaut sich Feldenkirchen den Porträtfilm gemeinsam mit dem Porträtierten an, der auch dabei gefilmt wird. Das erinnert an die "Trainerkamera" bei Fußball-Übertragungen. Da geht es darum, die Mimik des Trainers zu lesen, während er verpasste Chancen oder erzielte Tore beobachtet. Es wird deutlich, dass sich Wüst stets unter Kontrolle hat. Aber auf die - leider nur wenigen - Momente, in denen Feldenkirchen analytisch wird, steigt er gerne ein.

Zum Besuch von Wüst bei der Grünen Woche in Berlin sagt Feldenkirchen im Off, Wüst sei der "Inbegriff eines Netzwerk-Politikers", er komme "gerade bei Frauen gut an" - was für den mehr oder weniger designierten CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz Umfragen zufolge bekanntlich weniger gilt - und "genießt jede Foto-Gelegenheit". Den Vorwurf, dass Wüst oft das Offensichtliche sage, der in der Tat etwas billig ist, kontert Wüst im gefilmten Studio-Gespräch: "Ich bin ja nicht Teil der Entertainment-Industrie."

Geschlossene Form

Der Film hat also durchaus Informationswert, doch wichtige Fragen fehlen: Darüber, welche aktuellen Probleme der Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslands gemeinsam mit den Grünen zu lösen versucht, verliert hier niemand ein Wort.

Vor allem aber präsentiert "Feldenkirchen trifft Wüst" alle in der Kritik oft bemängelten Kernelemente der öffentlich-rechtlichen Politik-Berichterstattung auf dem Silbertablett: Sie personalisiert bis an die Grenzen des Boulevards und lässt das, was Politiker nicht in knappen Aussagen erklären können, lieber weg. Das geschieht hier in einer sehr geschlossenen Form. Sehr deutlich wird auch die strukturelle Regierungsnähe der öffentlich-rechtlichen Politik-Berichterstattung.

infobox: "Konfrontation - Markus Feldenkirchen trifft Hendrik Wüst", Porträt, Regie: Michael Giemann, Buch: Feldenkirchen , Ulrich Bentele, Mathias Wallerang, Kamera: Andrea Rumpler u.a., Produktion: Beckground TV (ARD/WDR, 10.6.24, 22.50-23.50 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 17.06.2024 14:38

Christian Bartels

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, KWDR, Portät, Dokumentation, Wüst, Feldenkirchen, Giemann, Bentele, Wallerang

zur Startseite von epd medien