29.12.2023 16:23
Warschau (epd). In Polen will die neue Regierung das öffentlich-rechtliche Fernsehen TVP, das nationale Radio PR und die Nachrichtenagentur PAP auflösen und zugleich einen Neustart vorbereiten. Das teilte die Regierung unter Ministerpräsident Donald Tusk (Bürgerkoalition, KO) am 27. Dezember in Warschau mit. Der neue Kulturminister Bartlomiej Sienkiewicz (KO), der bereits am 19. Dezember die Intendanten, Vorstände und Aufsichtsräte der öffentlich-rechtlichen Medien abberufen hatte, kündigte einen "Zustand der Auflösung (Liquidation)" an.
"In der gegenwärtigen Situation erlaubt dieses Handeln die Sicherstellung des weiteren Funktionierens dieser Gesellschaften, die Durchführung der in ihnen erforderlichen Umstrukturierungen und die Verhinderung von Entlassungen bei den Beschäftigten in diesen Gesellschaften wegen der mangelnden Finanzierung", unterstrich der 62-jährige Kulturminister. Der Auflösungszustand könne in einem beliebigen Augenblick durch den Eigentümer - den Kulturminister - zurückgenommen werden. Die öffentlich-rechtlichen Medien galten seit Jahren als Sprachrohr der alten Regierung um die rechtskonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS).
Copyright: picture alliance / zumapress.com / Attila Husejnow
Am 19. Dezember hatte das polnische Parlament, der Sejm, auf Antrag der neuen Regierungskoalition aus liberal-konservativer Bürgerkoalition (KO), dem Wahlbündnis Dritter Weg (TD) und der sozialdemokratischen Linken (Lewica) einen Beschluss zur "Wiederherstellung der Rechtsordnung und der Objektivität und Zuverlässigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien und PAP" mit der Mehrheit der Regierungskoalition gefasst. Viele Abgeordnete der PiS-Opposition, darunter der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski, nahmen an der Abstimmung nicht teil, sondern eilten zu TVP und anderen öffentlich-rechtlichen Medien, um diese gegen die neue Regierung "zu verteidigen". Zeitweilig musste die Polizei das TVP-Sendegebäude sichern.
Ebenfalls bereits am 19. Dezember wurden die Führungsspitzen von TVP, PR und PAP abberufen. Neue Präsidenten beziehungsweise Intendanten wurden am 20. Dezember Pawel Majcher (PR), Tomasz Sygut (TVP) und Marek Blonski (PAP). Sie lösten die noch zur PiS-Regierungszeit (2015-2023) gewählten Chefs Agnieszka Kaminska (PR), Mateusz Matyszkowicz (TVP) und Wojciech Surmacz (PAP) ab.
Am 24. Dezember wurde Maciej Lopinski (PiS) vom - offiziell abberufenen - TVP-Aufsichtsrat zum Interims-TVP-Intendanten gewählt. Am 26. Dezember wählte der Nationale Medienrat (RMN) den PiS-nahen Direktor der Fernsehnachrichten-Agentur TAI, Michal Adamczyk, zum neuen TVP-Intendanten.
Staatspräsident Andrzej Duda, der der PiS nahesteht, forderte Ministerpräsident Tusk am 20. Dezember zur Respektierung der polnischen Rechtsordnung auf und bezog sich dabei auf die Veränderungen in den Vorständen der öffentlich-rechtlichen Medien. Der Präsident unterstrich, dass "ein politisches Ziel nicht die Rechtfertigung für den Bruch grundlegender konstitutioneller Grundsätze" sein könne. Am 24. Dezember legte er sein Veto gegen den Haushalt 2024 der Regierung Tusk ein. Dazu gehören auch drei Milliarden Zloty (691 Millionen Euro) für die öffentlich-rechtlichen Medien.
Der Nationale Medienrat (RMN), der seit 2016 für die Aufsicht über die öffentlich-rechtlichen Medien zuständig ist, bezeichnete in einem Beschluss die Handlungen des Kulturministeriums gegenüber den öffentlich-rechtlichen Medien als "rechtswidrig". Der Beschluss wurde mit den Stimmen der Mehrheit der drei PiS-Mitglieder gegen die zwei Stimmen der Mitglieder der ehemaligen Opposition gefasst. Maciej Swirski (PiS), Vorsitzender des für die Vergabe von Rundfunklizenzen zuständigen Nationalen Rundfunkrates KRRiT, nannte die Veränderungen bei den öffentlichen Medien eine "eklatante Rechtsverletzung".
Bereits in der Koalitionsvereinbarung der neuen Regierung vom 10. November nach dem Wahlsieg am 15. Oktober war eine "Wiederherstellung und Entpolitisierung der öffentlich-rechtlichen Medien" vorgesehen. Diese seien "im großen Maße verantwortlich für die Spaltung der Gesellschaft, die Verbreitung von Lügen und die zielgerichtete Veranstaltung von Hetze und Hass-Kampagnen, die zur Spaltung der nationalen Gemeinschaft führten". Die Koalitionspartner verpflichteten sich, "alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um unverzüglich dieses Prozedere zu unterbrechen und konsequent gegen das Säen von Hass für öffentliches Geld vorzugehen".
Am 24. Dezember verurteilten die internationalen Journalistenverbände IFJ und EFJ die "anhaltende politische Einmischung von politischen Parteien aller Seiten in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk" in Polen. IFJ und EFJ riefen die Entscheidungsträger dazu auf, "sich der direkten politischen Einmischung bei TVP zu enthalten". Reformen zur Sicherung des Pluralismus und der Unabhängigkeit des staatlichen Rundfunks, um ihn in einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Interesse der polnischen Bürger und nicht der politischen Parteien zu verwandeln, müssten transparent und in Respekt für die Redaktionsteams durchgeführt werden.
"Es besteht kein Zweifel an der Notwendigkeit, die Berufungsverfahren in den öffentlich-rechtlichen Medien und ihre Management-Modelle zu verbessern", erklärte IFJ-Generalsekretär Anthony Bellanger. "Dies muss ein weites Spektrum von gesellschaftlicher Vertretung widerspiegeln und frei vom politischem Einfluss der Regierung und der politischen Parteien an der Macht sein. Aber die neue Regierung darf nicht die Fehler der vorigen Regierung wiederholen."
ebe
Zuerst veröffentlicht 29.12.2023 17:23 Letzte Änderung: 29.12.2023 17:38
Schlagworte: Medien, Polen, TVP, Tusk, KO, IFJ, Sienkiewicz, Kaczynski, ebe, NEU
zur Startseite von epd medien