08.01.2024 17:01
epd Filme über Franz Beckenbauer sind im deutschen Fernsehen nicht selten. 2015 legte der Dokumentarfilmer Thomas Schadt für die ARD seine ausführliche Filmbiografie "Fußball - ein Leben: Franz Beckenbauer" vor. 2020 ließ die ARD ein weiteres Porträt mit dem Titel "Der Ball war mein Freund" von Thomas Klinger folgen, das ZDF zeigte im selben Jahr "Mensch Beckenbauer! - Schau’n mer mal" von Uli Weidenbach. Sky präsentierte 2022 den Spielfilm "Der Kaiser" über Beckenbauer. Und der junge Beckenbauer war auch in der von RTL im November 2023 ausgestrahlten Serie "Gute Freunde - Der Aufstieg des FC Bayern" eine Hauptfigur.
Der Bayerische Rundfunk (BR) hat am 2. Januar den 90-minütigen Dokumentarfilm "Beckenbauer" in die ARD-Mediathek gebracht, am 8. Januar soll der Film im Ersten laufen. Im Abspann erläutern die Autoren Philipp Grüll und Christoph Nahr eine wichtige Bedingung ihrer Arbeit: "Franz Beckenbauer stand nicht für ein Interview zu Verfügung." Das ist so ungewöhnlich nicht, schon die beiden Filme aus dem Jahr 2020 mussten ohne ein exklusives Gespräch mit Beckenbauer auskommen. Der Fußballspieler, Trainer, Sportfunktionär und Fernsehkommentator hatte sich damals aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, in der er seit seinem 18. Lebensjahr stand. Das hatte gesundheitliche Gründe. Dem 1945 in München geborenen Beckenbauer gehe es nicht gut, gesteht sein Bruder Walter am Ende des aktuellen Films ein. Der Rückzug hatte aber auch mit der Kritik an ihm zu tun, die sich ab 2015 in den Medien Bahn brach. Bis dahin galt Franz Beckenbauer als ein Mensch, dem alles gelingt.
Der Film "Beckenbauer" bilanziert eben dies erneut. In den ersten 77 Minuten handelt er breit von den Triumphen der Weltmeistertitel, die Beckenbauer 1972 als Spieler und 1990 als Trainer errang, und von weiteren sportlichen Erfolgen. Der Film schwärmt mit Bildern von der Eleganz, die den Fußballspieler auszeichnete. Sein Freund Günter Netzer sagt dazu vor der Kamera, dass Beckenbauer bei seinen Aktionen auf dem Platz irgendwie nie schwitzte.
Der Film sagt auch, dass die Fußballweltmeisterschaft 2006 nur dank des Engagements von Beckenbauer nach Deutschland vergeben und hier zu einem "Sommermärchen" wurde. Kleinere Affären wie eine Steuerhinterziehung in den späten 1970er Jahren oder sein wechselhaftes Privatleben habe die Öffentlichkeit ihm nie übel genommen. Franz Beckenbauer: eine Lichtgestalt.
Der Film kann das deshalb so materialreich darlegen, weil Franz Beckenbauer der erste deutsche Sportler war, der zu einer Medienfigur wurde, der viele Werbefilme drehte, selbst Schlager einsang und an Spielfilmen mitwirkte. Der Berg an Fernsehmaterial mit und über ihn ist riesig und birgt viele visuelle Attraktionen. Vieles, was der Film zeigt, hat man zwar oft gesehen. Mitunter ist man aber dann doch überrascht, wenn man beispielsweise Szenen der Weltmeisterschaft in England, bei der die deutsche Mannschaft mit Beckenbauer im Endspiel gegen die englische verlor, in Farbe sieht. Denn das war die letzte Weltmeisterschaft, die vom Fernsehen noch in Schwarz-Weiß übertragen wurde. Die Farbszenen stammen vermutlich aus einem Kinofilm über dieses Ereignis.
Der Film lässt diese Lebensbilanz von Augenzeugen beglaubigen: Neben zwei ehemaligen Lebensgefährtinnen und dem Bruder sind das Mannschaftskameraden wie Netzer, Paul Breitner und Sepp Maier, sportliche Konkurrenten wie der Holländer Arie Haan, Spieler wie Lothar Matthäus, die Beckenbauer einst trainiert hatte, oder manch andere, die seinen Weg begleiteten.
Überraschend breit kommen drei Politiker zu Wort: Der gerade verstorbene Wolfang Schäuble (CDU) in wohl einem seiner letzten Interviews, Joschka Fischer (Grüne) und Otto Schily (SPD). Sie berichten mehr oder minder routiniert, wie sie Beckenbauer als Fußballspieler erlebt haben. Warum sie im Film vorkommen, erschließt sich erst in den letzten zwölf Minuten des Films, wenn Grüll und Nahr den Skandal thematisieren, der seit 2015 mit dem Namen Beckenbauer verbunden ist. Damals kam der begründete Verdacht auf, dass sich die Vergabe der Weltmeisterschaft nach Deutschland der Zahlung von Geld an beteiligte Sportfunktionäre verdankte. Das legen unter anderem obskure Überweisungen in Höhe von zehn Millionen Schweizer Franken nahe, von denen Beckenbauer wusste. Er selbst verweigerte dazu jede Auskunft.
Interessant ist nun die Bewertung des Falls durch die drei Politiker, die ja vor und während der Weltmeisterschaft 2006 jeweils unterschiedlichen Bundesregierungen angehörten. Fischer spricht davon, dass man ja wisse, dass die veranstaltende Organisation des Weltfußballverbandes FIFA ein Haifischbecken gewesen sei. Damit meint er wohl, dass man anders als mit illegitimen Mitteln dort nicht weitergekommen wäre. Da die Deutschen die WM ins eigene Land holen wollten, sei es heuchlerisch, Beckenbauer dafür zu kritisieren, dass ihm das mit welchen Mitteln auch immer gelungen sei. Schily erklärt, dass die Öffentlichkeit 2015 und später mit Beckenbauer "nicht fair" umgegangen sei, was dessen Schweigen erkläre. Und Schäuble verschiebt das Problem ins Allgemein-Menschliche: Beckenbauer habe Fehler begangen. Aber Fehler mache jeder: "Insofern ist er ein Mensch." Das hatte aber niemand bestritten.
Man muss den Film als eine Art Friedensangebot an den am 7. Januar Verstorbenen verstehen. Die Affäre um das Sommermärchen soll nicht verschwiegen werden, wird aber gegen Beckenbauers ungleich größere Lebensleistung verrechnet. Die Politik gab dazu ihren Segen.
infobox: "Beckenbauer", Dokumentation, Regie und Buch: Philipp Grüll, Christoph Nahr, Kamera: Nikola Krivokuca, Ralph Zipperlen, Stefanie Barnes (ARD/BR, 8.1.24, 20.30-22.00 Uhr, in der ARD-Mediathek seit 2.1.24)
Zuerst veröffentlicht 08.01.2024 18:01 Letzte Änderung: 08.01.2024 20:30
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, KBR, Dokumentation, Sport, Beckenbauer, Grüll, Nahr, Leder, NEU
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