19.06.2024 08:52
epd Aus Anlass der Leichtathletik-Europameisterschaft in Rom zeigte die ARD das dreiteilige Doku-Drama "Tod für Olympia - Der Fall Birgit Dressel". Die Leichtathletin starb im April 1987 im Alter von 26 Jahren auf der Intensivstation der Uniklinik Mainz. Acht Monate vorher, bei der Leichtathletik-EM in Stuttgart, war die Siebenkämpferin Dressel noch "in der Form ihres Lebens". So formulierte es der ZDF-Reporter Bernd Heller in einer Live-Reportage, auf die Autor Yannick Lowin in dem Dreiteiler zurückgreift. Wie man heute weiß, war Dressel damals schon längst auf der "Rutschbahn in den legalen Drogensumpf". So überschrieb der "Spiegel" ein halbes Jahr nach Dressels Tod einen Artikel.
Die für den USC Mainz startende Dressel wird oft als "Doping-Tote" bezeichnet, aber das ist, wie Lowin mithilfe eines Pharmakologen und eines toxischen Forensikers aufblättert, eine Vereinfachung. Sie starb eher durch eine Verkettung fataler Umstände. "Wenn wir gewusst hätten, was die Frau vorher an Medikamenten eingenommen hat, hätten wir wahrscheinlich viel früher reagieren können und die Frau vielleicht retten können", sagt ein damals mitbehandelnder Arzt in dem ARD-Dreiteiler. Die fiktionalen Szenen legen nahe, dass Dressel und ihr Trainer und Lebensgefährte Thomas Kohlbacher bei der Einlieferung aber diese wichtigen Informationen verschwiegen. Daher behandelten die Mediziner die Patientin zunächst falsch. Das Medikament, das die Ärzte Dressel gaben - es wurde kurz nach ihrem Tod in Deutschland verboten - konnte die durch Dopingmissbrauch bereits massiv geschädigte Leber nicht mehr verarbeiten.
Die beiden zentralen Figuren im Fall Dressel sind der Arzt Armin Klümper, der ihr über Jahre verschiedene Dopingmittel gespritzt und verschrieben hatte, sowie ihr Lebensgefährte. Was die beiden zu dem Fall sagen, geht nur aus dem Archivmaterial hervor. Klümper ist 2019 verstorben, und Kohlbacher äußert sich seit 1987 nicht mehr in der Öffentlichkeit. Klümper konnte rechtlich nicht belangt werden, weil das, was er Dressel verabreichte, durch die Einwilligung der Athletin gedeckt war, heißt es im Film. Kohlbacher gehört heute dem Ältestenrat des USC Mainz an.
"Tod für Olympia" nimmt den Fall Dressel zum Anlass für scharfe Kritik am deutschen Sportfördersystem. Einen Monat vor ihrem Tod hatte Dressel mit weiteren Dopingmitteln eine Verletzung behandeln lassen, weil sie nicht länger ausfallen wollte - auch aus finanziellen Gründen. Längere Verletzungen konnte man sich nicht leisten, weil man dann aus der Sportförderung herausgefallen wäre, sagt ihr Bruder Volker Dressel. Einen anderen Aspekt erwähnt der frühere Diskuswerfer Alwin Wagner, der ebenfalls für Dressels Verein startete und Patient bei Armin Klümper war. Die Qualifikationsnormen für Weltmeisterschaften und Olympische Spiele seien so festgelegt worden, "dass man sie ohne Anabolika eigentlich nicht erreichen konnte".
Volker Dressel, heute Geschäftsführer eines Hockeyvereins in Hamburg, schlägt den Bogen in die Gegenwart. "Mit dem sportlichen und gesundheitlichen Risiko", das durch diesen Druck erzeugt werde, werde der Sportler "allein gelassen", sagt er. Das sei in den 1980er Jahren so gewesen und sei "auch leider heute noch so".
Diese an sich interessanten Details gehen aber unter in einem grotesk missglückten erzählerischen und optischen Konzept. Das beginnt schon beim Vorspann: "Sweet dreams" von den Eurythmics setzt ein, zu sehen sind Original-Wettkampfszenen sowie Spielszenen mit panischen Ärzten, die eine Trage mit der fiktionalen Dressel (Luise Großmann) schieben, der Schaum aus dem Mund tritt. Schließlich beginnt die Musik zu leiern - als habe Dressel im Todeskampf noch Träume gehabt oder an die Eurythmics gedacht.
Spielszenen werden übermäßig eingesetzt, obwohl an Archivmaterial mit Wettkampfszenen und Trainingseindrücken von Dressel sowie Interviews nach Wettkämpfen, Interviews in Fernsehstudios, Home-Story-Bildern kein Mangel herrscht. Einige dieser Spielszenen sind zum Fremdschämen - etwa, wenn die fiktionale Dressel beim Laufen ihrem Trainer flirtende Blicke zuwirft. Oder wenn sie in einer Szene nach einem besonders gelungenen Hochsprung glücklich auf der Matte liegen bleibt und er sich mit versonnenem Blick neben sie fallen lässt, als wäre die Matte ein Himmelbett.
Die Macher haben den Mehrteiler mit Musik geradezu zugekleistert - und das auf manchmal instinktlose Weise. Der Diskurswerfer Wagner erzählt, wie er eigentlich seinen Sport hatte aufgeben wollen wegen Problemen mit dem Handgelenk. Auf einen "Hinweis" seines Verbandes sei er bei Klümper gelandet. Dazu sieht man Archivbilder mit Spritzen - und Queens Freddie Mercury singt flockig "It's a kind of magic". Auch wenn der heute 73-jährige Wagner Klümpers Hilfe damals als Wunder empfunden haben mag, ist der Song an dieser Stelle unpassend.
Oft gibt es zwischen den Themen des Dreiteilers und den Texten der ausgewählten Songs platte Bezüge. Aber nicht immer: Als Abspannsong läuft bei den drei Teilen jeweils das Stück "Rock you like a hurricane", in dem die Scorpions männliche Geilheit und sexualisierte Gewaltfantasien besingen. Das wirkt, als habe eine KI berechnet, welche Hits aus den 1980er Jahren unbedingt untergebracht werden müssen.
Auch die Symbolik, die sich die Macher einfallen ließen, um die Entwicklung Dressels zu illustrieren, wirkt deplatziert: In jedem der drei Teile des Dokudramas ist die fiktionale Dressel am Steuer eines Autos zu sehen. Im ersten Teil, als dank Doping sportlich alles prima läuft, wippt sie beim Fahren fröhlich zu "Holding out for a hero" von Bonnie Tyler mit. Im zweiten Teil, als das Unheil sich anbahnt, ist sie dann mit Kenny Loggins auf dem "highway to the danger zone", ihr Blick ist da schon leicht benebelt. Zu Beginn des dritten Teils schließlich schläft sie zu "Beat it" von Michael Jackson am Steuer ein. Dazu erklingt das immer bedrohlicher werdende Piepen eines Herzmonitors.
Dieser Musikeinsatz erinnert an Werbeclips. Man bekommt als Zuschauer etwas Mitleid mit den Personen, die sich hier geäußert haben. Sie dürften kaum eine Vorstellung davon gehabt haben, was für ein Kuddelmuddel dieser Film am Ende sein wird. Bei Dokumentationen mangelt es nicht an Beispielen dafür, wie wichtige Inhalte unter einer unzureichenden filmischen Umsetzung leiden. "Tod für Olympia" ist ein noch ärgerer Fall: Hier ruiniert die Form den Inhalt.
infobox: "Tod für Olympia - Der Fall Birgit Dressel", Dokumentation, Regie und Buch: Yannick Lowin, Nils Loof Kamera: Christoph Oldach, Olaf Markmann, Produktion: Dokness (ARD/Radio Bremen/SWR, 7.6.24, 23.00 -23.40 Uhr und 0.00-1.00 Uhr und in der ARD-Mediathek)
Zuerst veröffentlicht 19.06.2024 10:52
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, KRadio Bremen, KSWR, Doku-Drama, Lowin, Loof, Martens
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