Weiter auf der Flucht - epd medien

21.06.2024 07:40

Die Journalistin Dominik Nourney zeichnet in der Dokumentation "Hessen und die Flüchtlinge - wie geht das?" ein facettenreiches Bild vom Umgang mit geflüchteten Menschen. Besonders deutlich wird dabei, wie aktuell das Thema weiterhin ist, findet Dieter Dehler.

epd "Die Debatte über den richtigen Umgang mit Geflüchteten ist manchmal emotional und kontrovers", heißt es trocken in der Ankündigung dieser Dokumentation des Hessischen Rundfunks (HR). Gerade in Wahlkampfzeiten wird das besonders spürbar. Passend zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni hat die Autorin Dominik Nourney in der hessischen Provinz ganz unaufgeregt recherchiert, wie der Alltag vor Ort aussieht. Ihr Narrativ ist ein Echo des markanten Spruchs von Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) "Wir schaffen das" aus dem Jahr 2015.

Auch wenn Nourney die zahlreichen Widrigkeiten und Herausforderungen des Themas aufzeigt, dominieren Geschichten einer gelungenen Eingliederung vor allem durch ehrenamtliches Engagement. Da sind Leute wie Gabi Sickel, Integrationsbeauftragte der Wetterauer Gemeinde Münzenberg. Resolut und hilfsbereit kümmert sie sich um die Neuankömmlinge.

Befremdliche Containerreihen

Im Gießener Erstaufnahmelager wird für alle Neuankömmlinge freiwilliger Schulunterricht von der ersten bis zur achten Klasse angeboten. "Wir wissen nicht, wer bleibt", sagt Manfred Becker vom Regierungspräsidium. Die Lehrerin Ingrid Hubing, die hier tätig ist, sagt, es gehe ihr darum, den jungen Migranten Strukturen zu geben, aber angesichts dramatischer Fluchtgeschichten werde es auch emotional: "Sie lächeln das erste Mal."

Doch Nourney zeigt auch die Kehrseite der Medaille. Sie trifft Manfred Volk, der sich ab 2015 ehrenamtlich engagierte, "aber jetzt nicht mehr". Nach all den Jahren fehle ihm die Kraft. Skeptisch ist auch Marco Herrmann, Bürgermeister von Bischoffen. Dort stehen neben dem Supermarkt zwei Containerreihen, aus der Drohnenperspektive erscheinen sie noch befremdlicher im dörflichen Umfeld. Dass die Flüchtlinge abends dort mit dem Handy herumzögen und fotografierten, irritiere einige, meint der Bürgermeister. Noch sei alles ruhig im Ort, aber das könne kippen, merkt die Autorin an.

Befristete Aufenthaltserlaubnis

Nourney gibt auch überraschende Einblicke in die Ausländerbürokratie. Da kommt ein Pakistaner im Erstaufnahmelager Gießen an, wird untersucht und erkennungsdienstlich behandelt, dann aber gleich weitergeschickt. Nur Syrer, Afghanen und Nordafrikaner dürfen bleiben, er muss nach Chemnitz. Peter Gärtner, einer der sogenannten Entscheider im Erstaufnahmelager, weiß von vielen Schicksalen, aber auch von vielen ausgedachten Fluchtgeschichten. Seine Motivation: "Die eine Person, die schutzbedürftig ist, herausfinden". Gärtner sagt, die Entscheidungen würden im Innenministerium getroffen. Etwa, dass allen afghanischen Frauen automatisch Schutz gewährt wird.

Ein weiteres Kapitel ist die Sache mit dem Arbeitsmarkt. Ein inzwischen 44-jähriger Afghane ist schon 2015 nach Deutschland gekommen, hat kein Asyl, aber eine Duldung bekommen. Er bemühte sich um einen Job. Erst als Reinigungskraft, jetzt ist er Gabelstaplerfahrer. Sein Chef ist stolz auf ihn. Aber er hat nur eine auf drei bis sechs Monate befristete Arbeitserlaubnis.

Notwendige Zuwanderung

Eine ähnliche Migrationsgeschichte illustriert Nourney mit Masoud, dem afghanischen Azubi, der auf einer Frankfurter Übungsbaustelle zum Fliesenleger ausgebildet wird. Frank Martin von der Arbeitsagentur sagt, es gehe um eine notwendige Zuwanderung in den Arbeitsmarkt.

Die Autorin greift auch das Thema "Ausländerkriminalität" auf. Rund zwei Drittel der Straftaten seien Delikte wie Verstöße gegen das Asylrecht oder illegale Ein- und Ausreise. Auch Claudia Coburger-Becker von der Gießener Ausländerbehörde relativiert. Bei den Drogendeals gebe es eine "Gruppe, die sich schon länger hier aufhält", da tue es ihr Leid für die zu 90 Prozent unbescholtenen Flüchtlinge.

Insgesamt gelingt Nourney eine sehr informative und ausgewogene Bestandsaufnahme jenseits plakativer Bekundungen. Empathie prägt ihren Blick auf die komplexen Strukturen. Sichtbar wird, dass es ohne ehrenamtliches Engagement nicht geht, aber auch, dass einfache Lösungen nur populistische Losungen sind. Das Schlussbild mit einer noch leer stehenden Halle passt zum Fazit des Films: "Die Menschen sind weiter auf der Flucht".

infobox: "Hessen und die Flüchtlinge - wie geht das?", Dokumentation, Regie und Buch: Dominik Nourney, Kamera: Bernd Romkowski, Manuel Monning (HR, 20.6.24, 21.00-21.45 Uhr und in der ARD-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 21.06.2024 09:40

Dieter Dehler

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, (Kritik).Fernsehen, KHR, Dokumentation, Nourney, Dehler

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