Moderne Zeiten - epd medien

05.07.2024 09:31

Nach mehr als 30 Jahren im Betriebsrat muss die einstige Abteilungssekretärin Barbara Lucke zurück in den Job - und landet in der Abteilung Wäsche/Bade, die von ihrem Sohn geleitet wird. In der ZDF-Komödie "Alle nicht ganz dicht" kommt es zum Clash der Generationen.

Sohn Bastian (Tim Oliver Schultz) zeigt seiner Mutter Barbara (Ulrike Kriener) ihren neuen Arbeitsplatz

epd Ob die Macher dieser Komödie sich bei der Namensgebung von einem berühmten Schauspieler inspirieren ließen? Das Hamburger Versandhaus, das hier eine wichtige Rolle spielt, könnte gut der Otto-Konzern sein, heißt im Film jedoch hübsch getarnt Sander. War einst der 1.000 Seiten starke Print-Katalog, dessen Cover mehrfach eine gewisse Claudia zierte, Grundlage des wirtschaftlichen Erfolgs, so befindet sich das Unternehmen nun mitten in der digitalen Transformation. Change Management, Out-of-the-box-Denken, Scrums und feedbacknahe Diskussionskultur lauten die Schlagworte, die in Konferenzen und Calls hin- und herfliegen.

Pech für die einstige Abteilungssekretärin Barbara Lucke (Ulrike Kriener), dass ihr die Kollegen nach mehr als 30 Jahren im Betriebsrat das Mandat für eine neunte Amtszeit verweigern. Schlimmer noch: In den Job zurückkehren soll sie ausgerechnet in der Abteilung Wäsche/Bade, die von ihrem Sohn Bastian (Tim Oliver Schultz) geleitet wird.

Clash der Generationen

Während die resolute Mama in ihrem alten Mercedes raucht und schimpft und am Arbeitsplatz Mettbrötchen mit Zwiebelringen verzehrt, hat der fahrradfahrende Junior die Verheißungen von New Work verinnerlicht und "Wir spüren uns" als Slogan ausgegeben. Während die "rote Barbara" noch mit ihrem Schicksal hadert ("Ich hab uns alle sicher durch das Nichtraucherschutzgesetz gebracht, 20 Heizpilze anschaffen lassen!"), nimmt Hoodie-Träger Bastian das Performance-Ranking der Abteilungen in den Blick: Denn nur ein Spitzenplatz dort garantiert die Möglichkeit, beim anstehenden Ideenwettbewerb "Call for papers" zu reüssieren.

Kein Wunder, dass schon Barbaras Onboarding durch Bastians rechte Hand, die toughe Karrierefrau Yasemin (Sevda Polat), beinahe in die Katastrophe führt. Als die beiden Frauen über die Nutzung der shared desks in Streit geraten, brennt die Luft.

Aus diesem Clash der Generationen haben Drehbuchautor Andreas Altenburg und Regisseur Lars Jessen eine pointenreiche Komödie mit Spitzen gegen die Auswüchse der modernen Arbeitswelt gemacht. An der Grenze zur Albernheit, aber auch sehr plastisch führt ein Dialog das komplette Unverständnis zwischen Jung und Alt vor Augen: Da schwärmt Barbara von ihrem alten Kugelkopf, was die grundnaive Verhaltensökonomin Amelie (Klara Lange) am Tisch gegenüber aber nicht an eine Schreibmaschine, sondern an Schönheitsoperationen denken lässt. Als Barbara nachschiebt, dass sie "von 350 Anschlägen pro Minute" rede, regt die entsetzte Amelie im nächsten Videocall einen Probealarm an.

Wokeness und Achtsamkeit

Zahlreiche archetypische Figuren tummeln sich auf dem maroden Firmengelände. Da ist der immer noch präsente Senior-Chef (Michael Prelle), der sich über den Hashtag #SNDR (Super New Diverse Rebellion) mokiert und darüber, dass dank Bewegungsmelder nun "auf dem Scheißhaus" das Licht ausgeht. Sein zynischer Sohn (Oliver Wnuk) wiederum hält von dem "ganzen Schnickschnack" zwar auch nicht viel, spricht mit leichtem Hüsteln aber sicherheitshalber trotzdem von "Abteilungsleiter … Innen".

Barbaras Betriebsratsnachfolger Schmoll (Hendrik von Bültzinglöwen) wanzt sich umgehend an die Geschäftsführung ran. Weißwaren-Chef Olli (Sebastian Jakob Doppelbauer), Bastians Alster-Joggingpartner, ist der gut gelaunte Kumpeltyp, der seinen Hyper-Ehrgeiz nur unzureichend mit Jovialität bemänteln kann.

Besonders gelungen ist die Demaskierung der allseits zur Schau getragenen Wokeness und Achtsamkeit. Entlarvend, wie Yasemin den Gabelstaplerfahrer Mike (Mad Jazz Morales) zum Reinschnuppern in der Abteilung begrüßt und dazu augenrollend etwas von "1.000 Inklusionspunkten" murmelt. Dass sie Barbara als "MML" (Mitarbeiterin mit Lebenserfahrung) bezeichnet, ließe sich durchaus als Altersdiskriminierung werten. Und vollends erhellend ist, wie sie sich ausdrückt, wenn es um ihre eigenen Privilegien geht: "Kannst du mal deine Eier aus der Handtasche deiner Mutter holen und ’ne Ansage machen!?", fährt sie Bastian nach dem Shared-Desk-Disput an.

Sozialromantik

Nicht ganz überraschend kommt zur Halbzeit noch ein Schuss Romantik ins Spiel. Als Bastian zufällig herausfindet, dass Yasemin nach Feierabend im Döner-Imbiss ihrer Eltern aushelfen muss, gewinnt die peinlich berührte Karrieristin ("Tja, du bist nicht der Einzige mit Familie") weichere Züge. Charmant die Szene, in der Bastian ihr mit so viel Pathos seine neueste App-Idee präsentiert, dass die übrigen Restaurantgäste von einem Heiratsantrag ausgehen und sich alle fröhlich zuprosten. Herzerweichend schließlich, dass die beiden auf der Firmenparty zum Karaoke antreten und zusammen den Schmachtschlager "Ohne dich schlaf ich heut Nacht nicht ein" performen müssen. Da kann auch Barbara ihre feindselige Haltung nicht mehr lange aufrechterhalten.

Geht man bei der Liebesgeschichte - auch dank der guten Chemie zwischen den Darstellern - noch gerne mit, so ist das Happy End in Bezug auf die Arbeitswelt leider etwas unglaubwürdig geraten. Nachdem sich herausgestellt hat, dass die Firmenleitung zwar Bastians Innovation nutzen, die Wäsche/Bade aber trotzdem auflösen will, mobilisiert Kämpferin Barbara - natürlich auch Urheberin des titelgebenden Zitats - alle zum letzten Gefecht beim "Call for Papers"-Wettbewerb. Da ziehen Jung und Alt plötzlich an einem Strang, zu flotter Musik werden Hochdaumen gezeigt, Bastian hält ein flammendes Plädoyer für die Zukunft des Stammhauses, und am Ende muss die Chefetage klein beigeben. Das nennt man wohl Sozialromantik.

infobox: "Alle nicht ganz dicht", Komödie, Regie: Lars Jessen, Buch: Andreas Altenburg, Kamera: Peter Drittenpreis, Produktion: Florida Film (ZDF-Mediathek, ab 4.7.24)



Zuerst veröffentlicht 05.07.2024 11:31

Peter Luley

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Streaming, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Komödie, Jessen, Altenburg

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