Als dort noch ein Fluss war - epd medien

19.07.2024 07:41

Die Arte-Dokumentation "Wohin die Flüsse verschwinden. Leben in der Wasserkrise" lebt von Detail- und Informationsreichtum, für den der Film jedoch leider nicht die richtige Form findet, meint René Martens.

Spaniens Stauseen trocknen zusehends aus

epd In den USA haben 46 Millionen Menschen keinen Zugang zu trinkbarem Leitungswasser. So auch in Palm Springs im Südwesten des Landes. Experten, die Michael Daubenberger und Felix Meschede für ihre Dokumentation "Wohin die Flüsse verschwinden. Leben in der Wasserkrise", befragt haben, sagen, das liege am Primat der wasserintensiven Tierfuttermittelproduktion für den Export.

Jeanette Stojkovic, Autorin des Bestsellers "The Future of Food Is Female: Reinventing the Food System to Save the Planet", formuliert es bildlicher: Amerikaner haben kein Wasser, damit mit dem Heu, das in wasserarmen Wüstenregionen produziert wird, "Kühe am anderen Ende der Welt gefüttert" werden können.

Weltweite Schauplätze

"Die Menschen ignorieren, dass Wassermangel und Ernährung zusammenhängen", sagt Stojkovic außerdem, und das ist einer der Kernsätze von Daubenbergers und Meschedes Film. Stojkovic bezieht sich dabei vor allem auf den Fleischkonsum. Der sogenannte Wasserfußabdruck, der darüber Auskunft gibt, wie viel Wasser für die Produktion eines Lebensmittels benötigt werden, beträgt bei einem Kilogramm Rindfleisch etwa 15.000 Liter.

Neben den USA sind Spanien, Frankreich, Mexiko, Saudi-Arabien sowie mit jeweils gleich mehreren Orten Ägypten und Indien Schauplätze des Films. Wobei Daubenberger und Meschede in Indien vor allem die Wasserverschmutzung in den Blick nehmen. In der 4,5-Millionen-Einwohnerstadt Surat, wo 50.000 Textilfabriken für die Verschmutzung des Grundwassers sorgen, seien die Menschen nur arbeitsfähig, wenn sie zwischen 18 und Mitte 30 alt seien, erzählt ein Fabrikarbeiter. Danach seien sie aufgrund der gesundheitlichen Schäden, die das verschmutzte Wasser hervorrufe, zu schwach.

Milliarden fürs Militär

Die Wasserkrise ist ein globales Problem, und sie wird noch verstärkt durch die Klimakrise, aber sie ist vielerorts auch das Resultat eines globalen Geschäfts. Die beiden Filmemacher konzentrieren sich dabei auf die Produktion und den Export von Heu, das aus Luzerne (Alfalfa) gewonnen wird. Agrarkonzerne aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien bauen in den USA und Ägypten - dort auf "Flächen, die teilweise doppelt so groß sind wie Kairo", wie es im Film heißt - Luzerne an, um sie dann in ihre eigenen Länder zu exportieren. In diesen Golfstaaten wiederum ist der Anbau wegen des hohen Wasserverbrauchs verboten. Dank des Tierfuttermittelhandels verdient auch das ägyptische Militär Milliarden: Es verpachtet eigene Flächen an internationale Konzerne. Flächen, die teilweise vorher mit Waffengewalt enteignet wurden, wie ein Informant erzählt, dessen Interviewäußerungen hier zu seinem Schutz nachgestellt werden.

Die Bilder dieser Dokumentation sind teilweise imposant. Das gilt für Impressionen aus Mexiko, wo die Filmemacher Mitglieder des indigenen Cucapá-Volkes besucht haben, das vom Fischen lebt, aber nicht weiß, wie lange es in ihrer Region aufgrund des Wassermangels überhaupt noch Fische geben wird. Teilweise entwickeln die Bilder auch eine morbide Faszination, etwa wenn ein Bewohner eines Dorfes in Aragonien im Nordosten Spaniens den Autoren eine Steinwüste zeigt, in der er Schwimmen gelernt hat, als dort noch ein Fluss war.

Zahlen und Superlative

Man kommt aber kaum dazu, solche Bilder auf sich wirken zu lassen, weil ständig neue Zahlen und Superlative einzuordnen sind: "Spanien ist der größte Produzent von Alfalfa in Europa"; "Spanien ist der größte Schweinefleischexporteur weltweit"; "Die größte Milchfabrik der Welt steht in der saudi-arabischen Wüste" - von solchen Formulierungen wimmelt es im Film.

Dieser Detailreichtum ist zwar eine Stärke des Films, aber Daubenberger und Meschede gelingt es nicht, für die Fülle ihrer Informationen eine Form zu finden, die über eine Anhäufung hinaus reicht. Das ist bedauerlich, weil "Wohin die Flüsse verschwinden" eine enorm relevante Dokumentation ist. Wer auf der Suche ist nach Anregungen, um die Qualität politischer oder medialer Debatten zur Zukunft der Ernährung einordnen zu können, sollte sie gesehen haben.

infobox: "Wohin die Flüsse verschwinden. Leben in der Wasserkrise", Dokumentation, Regie und Buch: Manuel Daubenberger, Felix Meschede, Kamera: Felix Meschede, Produktion: Kinemascope (Arte/Radio Bremen, 9.7.24, 20.15-21.45 Uhr und bis 8.8.24 in der Arte-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 19.07.2024 09:41 Letzte Änderung: 19.07.2024 16:12

René Martens

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), Dokumentation, KArte, Martens, NEU

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