"Eine einmalige Angebotsvielfalt" - epd medien

02.01.2024 08:46

Der Vorsitzende des Privatsenderverbands Vaunet, Claus Grewenig, wünscht sich einen Neustart für das gesamte duale System in Deutschland. Die Medienpolitik sollte das Mediensystem in einer Gesamtbetrachtung in den Blick nehmen, fordert er im Gespräch mit Diemut Roether.

Ein epd-Interview mit dem Vaunet-Vorsitzenden Claus Grewenig

Claus Grewenig, Vorstandsvorsitzender des Privatsenderverbands Vaunet

epd: Im Zusammenhang mit dem Zukunftsrat, der Perspektiven für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk erarbeiten soll, haben Sie einmal geschrieben, Sie würden sich einen Neustart für das gesamte duale System der privaten und öffentlich-rechtlichen Sender wünschen. Was muss für einen solchen Neustart passieren?

Grewenig: Erforderlich ist eine Gesamtbetrachtung, die deutlich über die Tagespolitik hinausgeht. Bestimmte Dinge sind es wert, dass man grundsätzlich über sie nachdenkt. Vorweg: Wir begrüßen, dass die ideologischen Diskussionen, die wir zwischen beiden Seiten im Dualen System hatten, vorbei sind. Wir haben viele gemeinsame Anliegen, die wir gemeinsam verfolgen - wie Frequenzsicherung oder die Auffindbarkeit auf Plattformen. Gleichwohl wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Markt konjunkturunabhängig mit über 8,5 Milliarden Beitragseinnahmen im Jahr ausgestattet - das ist ein immenser Wettbewerbsvorteil. Wir brauchen deshalb eine klare Systemtrennung im dualen Mediensystem mit einer fokussierten Auftragsbeschreibung für die Öffentlich-Rechtlichen, die dann auch tatsächlich umgesetzt wird. Und strukturell gehört dazu auch, das Thema Werbefreiheit bei ARD und ZDF anzugehen.

Das heißt, sie plädieren dafür, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk überhaupt keine Werbung mehr macht, weder im Fernsehen noch im Radio?

Grewenig: Der Vaunet vertritt diese Forderung für das Fernsehen schon lange. Für das Radio haben wir sie jetzt noch einmal als Zielstellung formuliert. Startpunkt wäre eine Harmonisierung nach dem Modell des Norddeutschen Rundfunks: Nur 60 Minuten Werbung am Werktag auf nur einer Radiowelle. Aber auch im Radio haben wir als Ziel eine klare Systemtrennung: Werbung bei den Privaten und Beitragsfinanzierung bei den Öffentlich-Rechtlichen. Das würde den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an bestimmten Stellen zugleich davon befreien, das Programm kommerziell ausrichten zu müssen. Es würden Budgets frei, die auch dem privaten Rundfunk zugutekommen könnten. Das wäre eine klare Perspektive auch für die Ansprache der Werbewirtschaft. Unabhängig davon sollte die Werbung der Öffentlich-Rechtlichen im Onlinebereich verboten bleiben und mögliche Lücken geschlossen werden.

Bis vor kurzem haben auch die Privatradios gesagt: Ein bisschen Werbung im öffentlich-rechtlichen Radio muss sein, damit das Radio als Werbemedium für die Werbekunden interessant bleibt. Gilt das jetzt nicht mehr?

Grewenig: Die werbefreien ARD-Radiowellen sind ein formuliertes perspektivisches Ziel unseres Fachbereichs Radio und Audiodienste. Wie der Weg dahin aussieht, muss man mit der Politik diskutieren. Wir wissen, dass Forderungen, die zu einer Hebung des Beitrags beitragen könnten, politisch nicht leicht durchzusetzen sind. Aber zum Beispiel durch Stufenpläne oder durch ein "Phasing Out" könnte man es so gestalten, dass es gattungsverträglich wäre und der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich darauf einstellen kann. Hier geht es uns um einen Einstieg in den Ausstieg. Der zweite für uns sehr relevante Punkt ist der Umfang der ARD-Radioangebote. Im neuen Medienstaatsvertrag ist das spezifische Thema Radio bewusst ausgeklammert worden.

"Kein Land will das erste sein, das bei der Zahl der Programm und Wellen an Einsparungen herangeht."

Was wäre da Ihrer Ansicht nach notwendig?

Grewenig: Eine Gesamtbetrachtung aller Audiothemen, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk betreffen, sollte als nächstes auf der Tagesordnung der Länder stehen. Grundregeln wurden schon immer im Medienstaatsvertrag definiert, also die Gesamtdeckelung des Angebots oder eine Berichtspflicht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks über die Programmzahl. Man könnte im Medienstaatsvertrag einen Audiodeckel festlegen und dabei die bestehenden Programmdoppelungen beheben.

Was meinen Sie damit?

Grewenig: Es gibt eine Vielzahl an Jugendradios, Schlagerwellen, Popwellen. Gerade da, wo es ins Kommerzielle hineingeht, ist die Aufstellung sehr breit, die zu einem Auswuchern des Systems geführt hat. Kein Land will das erste sein, das bei der Zahl der Programme und Wellen an Einsparungen herangeht.

Sie sprechen jetzt über die ARD, weil die Landesrundfunkanstalten regional aufgestellt sind, der Deutschlandfunk ist als nationales Radio gesondert zu betrachten. Finden Sie ein Angebot wie zum Beispiel BR Heimat problematisch?

Grewenig: Das ist tatsächlich ein Angebot, das etwas bedient, was eher nicht aus dem privaten Markt bedient wird. Aber es ist nicht repräsentativ für die Schieflage, über die wir sprechen. Ein weiteres Thema ist die Frage der Hyperlokalisierung. Auch das ist ein Trend im Radio, das Vordringen in lokale Märkte. Das spüren sowohl die Verlagsangebote als auch unsere Mitglieder sehr stark, die sich ohnehin in einem verschärften Wettbewerb mit den Plattformen befinden.

Aber gleichzeitig haben die Landesrundfunkanstalten den Auftrag, die Regionen abzubilden und für die Regionen zu senden.

Grewenig: Genau das ist die entscheidende Linie, eine flächendeckende lokale Berichterstattung ist ohnehin gesetzlich ausgeschlossen. Wir haben die Diskussion schon deshalb, weil hier im kommerziellen Bereich der größte privatwirtschaftliche Druck liegt. Nicht nur bei uns, sondern auch in der Presselandschaft. Es ist die Frage, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk beitragsfinanziert in all die Lücken gehen sollte, die sich hier auftun.

"Überall wäre die Rückbesinnung auf den Auftrag, der vor allem auch Information und Kultur ins Schaufenster stellt, sehr ratsam."

Was kritisieren Sie an den Popwellen?

Grewenig: Es geht um Angebote wie Sputnik vom MDR oder Jump, die kein spezifisch öffentlich-rechtliches Profil aufweisen, sondern ein sehr kommerzielles Profil haben. Auch die großen populären Wellen haben sich in den Ländern jeweils sehr stark an die großen Privatsender angenähert, was Programmstruktur und Musikfarbe angeht. Überall wäre eine Rückbesinnung auf den Auftrag, der vor allem auch Information und Kultur ins Schaufenster stellt, sehr ratsam. Wenn man sich die Programminhalte anschaut, sieht man, dass wir da Handlungsbedarf haben.

Was ist hier Ihre Forderung an die Medienpolitik? Fordern Sie, dass nicht mehr jede ARD-Anstalt ihre eigene Jugendwelle macht?

Grewenig: In der Tat. Wenn die Anstalten sowieso über mehr Kooperationen sprechen, muss nicht mehr jeder alles machen. Bislang wird nur über gemeinsame Strecken nachgedacht, nicht aber über die Aufhebung der Kanaldopplung.

Aber die Jugendwellen sind beauftragt in den jeweiligen Gesetzen für die Sender. Und es gibt für die ARD-Anstalten keinen Auftrag, nationales Radio zu veranstalten.

Grewenig: Das kann nur durch eine gemeinschaftliche Anstrengung der Länder geschehen. Wenn jeder immer nur auf seine Anstalt schaut und sagt, ihr dürft gerne reduzieren, aber nicht bei mir, werden wir nie zu signifikanten Reduktionen kommen.

Radiowellen sind sehr stark darauf ausgerichtet, Gemeinschaften zu bilden. Community Building, wie das in den sozialen Netzwerken heißt. Die öffentlich-rechtlichen Sender brauchen doch solche Identifikationsangebote, um sich zu legitimieren.

Grewenig: Das ist keine leichte Herausforderung, aber wir sprechen gerade über die Rahmenbedingungen im dualen System und wir haben hier einen Player, der auch im Radiomarkt ein signifikantes Budget zur Verfügung hat, das der private Rundfunk eben nicht hat. Man muss sich das Gesamtangebot anschauen. Ob ein zusätzlicher Mehrwert erzielt wird, wenn nicht besonders wortanteilsreiche Programme betrieben werden und darauf noch Social-Media-Präsenzen gesetzt werden, ist fraglich. Oft wird das auch noch mit Off-Air-Events vor Ort kombiniert, so dass die Privatsender auch dadurch unter Druck geraten, weil sie kaum noch in der Lage sind, das zu organisieren, was aber für ihre Hörerbindung ebenso wichtig wäre. So wird die Schieflage weiter verfestigt.

infobox: Claus Grewenig (49) ist seit 2017 Chief Corporate Affairs Officer bei RTL Deutschland und seit Februar 2022 Vorsitzender des Vorstandes des Privatsenderverbands Vaunet. Ab 2001 war er bei der Vorgängerorganisation von Vaunet - dem Verband Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) - tätig, ab 2006 war er Justiziar des Verbandes, von 2007 bis 2011 stellvertretender Geschäftsführer und von 2011 bis 2016 Geschäftsführer.

Neben den Radiowellen gibt es ja auch noch Webchannels und kostenlose werbefinanzierte Streaming-Channels, sogenannte FAST-Kanäle.

Grewenig: Da geht es uns vor allem um die Masse. Es gibt rund 170 öffentlich-rechtliche Webchannels inklusive Simulcast, und die ARD hat angekündigt, dass sie einige einstellen will. Ich glaube, wir können Webchannels und FAST-Channels für das Bewegtbild zusammen betrachten. Wenn sie das nicht deckeln, wird das in allen Bereichen ausgerollt. Das ZDF hat gerade über ZDF Studios 20 FAST-Channels in Kooperation mit Endgeräteherstellern angekündigt. Da stellen sich ganz viele Fragen. In der analogen Welt war das Angebot durch die Zahl der Kanäle deutlich begrenzt. Sobald wir aber ins Web und in das Nonlineare gehen, gibt es keine solche Begrenzung der Mengen mehr und es werden überall alle Tore aufgemacht. Jetzt erkennen auch ARD und ZDF, dass es nicht unbedingt auf die eigene Marke einzahlt, wenn sie ihre Inhalte über Drittplattformen anbieten. Die Erkenntnis kommt etliche Jahre nach unserem Hinweis, dass das Ziel doch sein sollte, die eigenen Angebote zu stärken und die Leute auf die eigenen Angebote zurückzubringen. Unmoderierte Webchannels für jede Programmfarbe anzubieten, wird dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in seinem eigentlichen Auftrag wenig gerecht.

"Die Frage ist die Masse und die Ausgewogenheit. Wir müssen die Diskussion wegführen von einzelnen Formaten zu einer eher pauschaleren Betrachtung."

Sie fordern also eine Rückbesinnung auf den Auftrag. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sollte nur Inhalte anbieten, die tatsächlich einen Public Value darstellen. Aber wie genau wollen Sie das messen?

Grewenig: Die Landesmedienanstalten haben vor einiger Zeit ein Verfahren entwickelt, über das am Ende auch 270 private Angebote als Public-Value-Angebote anerkannt wurden. Das Verfahren war sehr formalisiert. Es gab klare Kriterien: Wie viele Journalisten arbeiten da? Wie viele Eigenproduktionen gibt es? Wie viel wird in Inhalte investiert? Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk war alles, was staatsvertraglich beauftragt ist, automatisch Public Value. Das ist die Schwierigkeit. Was uns theoretisch helfen könnte, ist eine Neuerung, die mit der letzten Novelle des Medienstaatsvertrags am 1. Juli in Kraft getreten ist, nämlich die Vorgabe, dass zu allen Tageszeiten und auch im nonlinearen Angebot der Auftrag in seiner ganzen Breite stärker wahrnehmbar gemacht werden muss, und zwar mit allen Bestandteilen. Uns geht es nicht um die Diskussion über Einzelformate wie: Ist diese Quizsendung noch Public Value, weil sie Wissen vermittelt? Die Frage ist die Masse und die Ausgewogenheit. Aber wenn Sie mir jemanden zeigen können, der seit Juli im Ersten oder im ZDF in der Primetime im Fernsehen oder in den marktführenden Radioangeboten in der Drivetime eine wesentliche programmliche Veränderung festgestellt hat, würde ich mich freuen. Wir stellen nicht fest, dass wir um 20.15 Uhr jetzt mehr Dokumentationen oder Information hätten. Wir müssen die Diskussion wegführen von einzelnen Formaten zu einer eher pauschaleren Betrachtung.

Als Prorammdirektorin der ARD würde ich jetzt sagen, wir zeigen doch am Montag um 20.15 Uhr große Dokumentationen. Das ist doch Information und Bildung.

Grewenig: Sie zeigen aber auch sehr überproportional um 20.15 Uhr Fiction oder Krimis. 2019 haben wir uns die Zahlen etwas genauer angeschaut, da waren wir bei einem Anteil von bis zu 70 Prozent Fiction und Unterhaltung in der Primetime im Fernsehen im Ersten und dem ZDF. Das ist bei fünf Auftragsbestandteilen keine Ausgewogenheit. Man hätte sagen können, wir richten nach Inkrafttreten des Staatsvertrags einen Sendeplatz neu aus und wagen da, Dokumentationen zu zeigen. Das würde den Privaten ermöglichen, bestimmte Programmfarben auch wieder mehr zu machen und nicht mit einem omnipräsenten Überangebot konfrontiert zu sein.

Wer soll das kontrollieren?

Grewenig: Die Gremien sind dafür zuständig. Sie müssten, wenn sie es nicht schon getan haben, eine Programmbeobachtung in Auftrag geben, die den Ländern ermöglicht, in einem Jahr zu schauen, ob das eingehalten wird. Da wiederum müssen dann auch die Staatskanzleien ein Auge darauf haben.

ARD und ZDF haben ihre kontinuierliche Programmanalyse, die sie seit 1985 in Auftrag gegeben hatten, in diesem Jahr eingestellt.

Grewenig: Diese Entwicklung beobachten wir auch und fragen uns, wie man den staatsvertraglichen Vorgaben gerecht werden will. Eine weiterhin externe programmliche Betrachtung könnte eine objektive und damit validere Diskussionsgrundlage schaffen.

"Bei den Rechteverhandlungen haben wir nicht den Eindruck, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk tatsächlich unter einem enormen Sparzwang bei Sportrechten steht."

Ein weiteres Thema, das Sie als Privatsender beschäftigt, ist das Thema Sportrechte bei den Öffentlich-Rechtlichen. ARD und ZDF sagen, sie hätten die Ausgaben für Sportrechte gedeckelt. Reicht das?

Grewenig: Es gibt eine Deckelung, die resultierte aus einer Beihilfebeschwerde des damaligen VPRT bei der Europäischen Kommission. Sie hat festgelegt, unter welchen Voraussetzungen der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Online-Bereich tätig sein darf. Damals wurde zugesagt, dass diese Budgets im Rahmen von Selbstverpflichtungen gedeckelt werden und das auch transparent gemacht wird. Das passiert spätestens durch die Finanzkommission KEF, aber mit großem zeitlichen Abstand und sehr generisch. ARD und ZDF sagen, im TV-Bereich haben sie die Sportrechte irgendwo zwischen 200 und 300 Millionen Euro gedeckelt. Aber wir haben das Gefühl, dass die Transparenz nach außen, in der Dokumentation der Berichte, deutlich abgenommen hat. In den Selbstverpflichtungen wurde das stärker zurückgefahren. Und was auftaucht, stellt für uns nicht unbedingt Transparenz über reale Kosten her. Sie haben ja auch einen hohen Aufwand für Produktion und technische Bereitstellung. Ob das Bestandteil der gedeckelten Kosten ist, ist nicht gesagt. Angesichts der Masse an Veranstaltungen, die vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgedeckt werden - von Fußball über Wintersport und Olympische Spiele -, kann man kaum glauben, dass das mit diesem Etat abgedeckt werden könnte. Wir brauchen also viel stärkere Transparenz. Bei den Rechteverhandlungen haben wir nicht den Eindruck, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk tatsächlich unter einem enormen Sparzwang bei Sportrechten steht.

Sind die öffentlich-rechtlichen Sender grundsätzlich transparent genug?

Grewenig: Es gibt jetzt mehr öffentliche Rundfunkratssitzungen, zum Teil einsehbare Vorlagen, aber generell ist das sicherlich noch verbesserungsbedürftig. Gerade, wenn es in den kommerziellen Bereich geht.

Meiner Beobachtung nach ist die Medienbranche generell nicht sehr transparent. Die Medien fordern ja immer mehr Transparenz von anderen. Wäre die Medienbranche nicht gut beraten, wenn sie mit dem Thema selbst offensiver umgehen würde?

Grewenig: So pauschal können Sie das für unseren Teil der Branche nicht sagen. Für bestimmte Unternehmen bestehen Publizitätspflichten. Wir haben eine sehr umfassende Transparenz. Was die Strukturen anbelangt, haben, wir glaube ich, ein europaweit einmaliges System: Über die Konzentrationskontrolle gibt es Datenbanken, die auf einen Blick zeigen, wer hinter welchem Medium steht. Eine Transparenz ergibt sich ja auch daraus, dass wir über die Quotenmessung sehr genau wissen, wie unsere Angebote genutzt werden. Das gibt es im nonlinearen Bereich so gut wie gar nicht.

"Hier treten kommerzielle Töchter als eigenständige Publisher auf, die Produktionen beauftragen. Das ermöglicht dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, neben das Beitragssystem ein kommerzielles System zu stellen."

Die Öffentlich-Rechtlichen dürfen über Tochterunternehmen auch kommerziell tätig sein. Das Werbegeschäft wird zum Beispiel über solche Tochterfirmen abgewickelt. Gibt es da Ihrer Meinung nach ausreichend Transparenz?

Grewenig: Wir erleben bei den Töchtern der Öffentlich-Rechtlichen, dass sie versuchen, sich an den Schnittstellen immer weiter auszudehnen. So wird trotz des bestehenden Online-Werbeverbots Werbung für Podcasts angeboten. Das macht vor allem der RBB. Die Podcasts werden auf Drittplattformen für eine Pre-Roll-Werbung vermarktet. Es gibt aber noch viele weitere Bereiche, in die die öffentlich-rechtlichen Töchter vordringen, zum Beispiel die Vermarktung der Bezahlangebote ARD Plus und ZDF Select. Da agieren sie als eigenständige Publisher auf den Plattformen, das kostet dann immerhin extra Geld ...

Aber es ist öffentlich-rechtlicher Inhalt, der mit dem Rundfunkbeitrag finanziert wurde und für den nun noch einmal gezahlt werden muss.

Grewenig: Das kann ich ja noch verstehen, wenn es darum geht, die Kreativen an Erlösen zu beteiligen, aber hier treten kommerzielle Töchter als eigenständige Publisher auf, die Produktionen beauftragen. Im Fall des Podcasts sagt die Tochter: Das Werbeverbot wird nicht umgangen, denn Auftraggeber ist ja die kommerziell tätige Tochter. Das ermöglicht dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, neben das Beitragssystem ein kommerzielles System zu stellen. Das gilt auch für FAST-Channels, die für private Anbieter ein Wachstumsfeld sind. Wenn das ZDF jetzt 20 FAST-Channels machen will, weiß man nicht, wer am Ende der Anbieter ist. Wir brauchen da klare und neue Leitplanken der Politik. Denn wenn einmal erlaubt wird, ein kommerzielles System neben dem Beitragssystem zu etablieren, kriegen Sie die Tür nicht mehr zu. Wenn der Gesetzgeber ein Online-Werbeverbot eingeführt hat, dann muss er auch dafür sorgen, dass es eingehalten wird.

Sie haben auch Kritik an der ZDF-Mediathek, obwohl die öffentlich-rechtlichen Sender ja ausdrücklich beauftragt sind, solche Angebote vorzuhalten und sie sogar zu stärken.

Grewenig: Im neuen Medienstaatsvertrag wurde erlaubt, dass auch nichteuropäische Werke in die öffentlich-rechtlichen Mediatheken eingestellt werden dürfen. Dazu gab es eine lange Diskussion, und die Länder waren bemüht, einen Kompromiss zu finden, um die Auswirkungen auf den privaten Markt begrenzt zu halten. Die Regelung heißt, dass außereuropäische Inhalte in sehr begrenzter Form eingestellt werden. Man hat gesagt, das muss einem eng definierten Kultur- und Bildungsauftrag folgen und das öffentlich-rechtliche Profil ist in besonderem Maße zu wahren. Aus unserer Sicht war für die Filme, die das ZDF jetzt einstellt, die Regelung nicht gemacht.

Was für Filme sind das?

Grewenig: Zum Beispiel US-Filme wie "Men in Black 3" oder "Universal Soldier". Also klassische Blockbuster, die auch auf allen privaten Medien ausgestrahlt werden könnten. Das ZDF sagt: Hier gilt ein breiter Kinobegriff, aber in der vorangehenden politischen Diskussion wurden ganz andere Beispiele genannt: die argentinische Arthouse-Miniserie oder die japanische Mangaserie. Wenn die Politik da jetzt keine Stoppschilder aufstellt, brauchen wir die Diskussion nicht zu führen. Die zuständige Rechtsaufsicht müsste jetzt ein Gespräch mit dem ZDF führen, um zu justieren, was das gemeinsame Verständnis dieser Bestimmung ist. Oder es müsste eine öffentliche Debatte geben.

"Gefühlt kommt auf fünf Staatsverträge, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk regulieren, einer, der sich mit den Belangen der Privaten befasst."

Die medienpolitische Diskussion fokussiert sich seit Jahren sehr auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, verliert aber meinem Eindruck nach das ganze duale System aus dem Auge. Würden Sie sich hier mehr Aktivität wünschen?

Grewenig: Gefühlt kommt auf fünf Staatsverträge, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk regulieren, einer, der sich mit den Belangen der Privaten befasst. Es gab sicher Meilensteine, zum Beispiel den Staatsvertrag zur Umsetzung der AVMD-Richtlinie.

Die Mediendienste-Richtlinie der Europäischen Union. Da mussten die Länder ja tätig werden.

Grewenig: Tatsächlich hat das, was die Länder für die Plattformregulierung zusätzlich aufgesetzt haben, dazu geführt, dass man europaweit Vorreiter ist. Zum Beispiel die Regelungen für die Auffindbarkeit von Public-Value-Inhalten oder dass man sich bei der Plattformregulierung löst von einem in der Erde verbuddelten Kabel und auch Plattformen in den Blick nimmt, die nicht netzgebunden sind. Auch wenn es elf Jahre gedauert hat, bis wir den Staatsvertrag hatten: Man hat erkannt, dass das Verhältnis zwischen öffentlich-rechtlichem Rundfunk und privaten elektronischen Medien in einer Unwucht ist. Wir haben aktuell zwei Staatsverträge auf dem Tisch, den 5. und 6. Medienänderungsstaatsvertrag, die eher wieder auf die private Seite schauen. Das ist allerdings beim Jugendmedienschutz nicht unproblematisch, weil der Entwurf nicht praxisorientiert und extrem bürokratieaufwendig ist. Aber wir sagen auch mantraartig: Es gibt keinen Staatsvertrag zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der nicht gleichzeitig enorme Auswirkungen auf den privaten Rundfunk hat.

"Der private Rundfunk nähert sich über die Lebensthemen der gesellschaftlichen Relevanz an und hat da klare Leuchttürme gesetzt."

Welchen Beitrag leisten die Privaten zum Public Value?

Grewenig: Da ist zum einen die Außenpluralität, also die Vielfalt. Im privaten Markt stehen wir aufgrund der Zahl der Angebote europaweit einzigartig da. Auf diese Leistung des privaten Rundfunks sind wir sehr stolz. Wenn man stärker ins Inhaltliche einsteigt, kann der private Rundfunk ebenfalls stolz darauf sein, in Kernfeldern, die man als öffentlich-rechtlich bezeichnen würde, stark wahrgenommen zu werden. Wenn Sie sich die Fernseh- und Radiopreise der letzten Jahre anschauen, geht das von Themen wie Umgang mit dem Tod, Integration von behinderten Menschen über Berichterstattung aus dem Iran bis hin zum sensiblen Thema Depressionen. Der private Rundfunk nähert sich über die Lebensthemen der gesellschaftlichen Relevanz an und hat da klare Leuchttürme gesetzt. Wir glauben, dass das in der Politik noch nicht genug wahrgenommen wird.

Der private Rundfunk hat sich über viele Jahre hauptsächlich durch Werbung finanziert. Nach einer Schätzung Ihres Verbands gehen die Einnahmen aus Fernsehwerbung in diesem Jahr jedoch deutlich zurück, nämlich um sechs Prozent. Auch Sie leiden also unter der Konkurrenz durch die großen Onlineplattformen. Welche neuen Finanzierungsformen kann der private Rundfunk finden?

Grewenig: Der private Rundfunk musste sich immer im Wettbewerb behaupten und muss das nicht neu lernen. Jetzt sind die internationalen Techunternehmen dazugekommen. Da muss man sich durch die eigenen Angebote hinreichend differenzieren. Wir haben einen Wettbewerbsvorteil durch die Verankerung im lokalen Markt und in den Vorlieben der Zuschauer, die wir besser als jeder andere kennen. Wir haben den Informationsanteil hochgefahren, weil das die Bindung zum Zuschauer stärkt. Die Angebote werden lösungsorientierter. Sie dürfen die Menschen mit ihren Problemen nicht alleine lassen. Das ist kein Plädoyer für Schönfärberei, aber wir sollten auch Nachrichten mit konstruktiven Ansätzen vermitteln. Das ist der inhaltliche Wettbewerb. Hinzu kommen Innovationen wie durch Künstliche Intelligenz und crossmediale Angebote. Wir brauchen aber vor allem eine Stabilisierung der ökonomischen Rahmenbedingungen. Die Politik, die Public Value im privaten Rundfunk einfordert, muss dafür die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Wir sind im Moment eher damit beschäftigt, schädliche Regulierung zu verhindern.

Was ist so eine schädliche Regulierung?

Grewenig: Das eine ist das im Ernährungsministerium geplante sogenannte Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz. Die Vorschläge, die auf dem Tisch liegen, beschränken sich nicht auf den Kinderwerbebereich. Es könnten zwischen 70 bis 80 Prozent im Gesamtbrutto-Werbemarkt Lebensmittel erfasst werden, der drei Milliarden Euro groß ist. Das hat Dimensionen, die für unsere Branche einmalig sind. Das zweite Beispiel sind die Vorschläge von Kulturstaatsministerin Claudia Roth, nach denen 20 Prozent der Umsätze oder des Programminvests in europäische audiovisuelle Produktionen reinvestiert werden müssten; das soll zusätzlich mit zahlreichen Subquoten belegt sein, die wir im Einzelnen noch nicht genau kennen: Subquoten für Kinofilme, für originär deutschsprachige Erstinvestitionen, die Beauftragung von unabhängigen Produktionen. Am Ende wären die Unternehmen damit beschäftigt, abzuhaken, ob sie alle Quoten erfüllt haben. Wenn sie es nicht getan haben, müssen sie hinterher eine Kompensation in bar leisten. Das verhindert Investitionen in Deutschland, erschwert eine wettbewerbsfähige Ausrichtung der Angebote im Sinne der Zuschauerinnen und Zuschauer und bremst den Markt. Solche Eingriffe in unsere Refinanzierungsfreiheit können wir nicht hinnehmen.

Es gibt für beide Vorhaben noch keine Kabinettsbeschlüsse. Sind Sie mit Ihrer Lobbyarbeit erfolgreich?

Grewenig: Es gibt zumindest im Ernährungsministerium schon dezidierte Vorstellungen, bei der Filmförderung gibt es bisher nur Absichtserklärungen. Das senkt aber nicht die Gefahr. Unsere guten Argumente sollten dazu führen, dass die Vorhaben nicht wie derzeit avisiert umgesetzt werden. Werbewirtschaft und die Senderseite sind jeweils sehr geschlossen in ihrer Positionierung.

infobox: Vaunet, der Verband Privater Medien, ist der Spitzenverband der Audio- und audiovisuellen Medienunternehmen in Deutschland und nach eigenen Angaben die größte Interessenvertretung des privaten Rundfunks in Europa. Der 1984 gegründete Verband, der von 2006 bis 2018 Verband Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) hieß, hat 160 Mitglieder. Der Verband ist Mitinitiator der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), Gründungsmitglied der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia (FSM) und gehört der Association of European Radios (AER) und der Allianz "Koalition Kultur- und Kreativwirtschaft" an.

Die großen neuen Konkurrenten für Sie, das haben Sie gerade angesprochen, sind die großen Techkonzerne, die Plattformanbieter, die große Summen aus dem Werbemarkt abziehen.

Grewenig: Das ist eine große Herausforderung. Den programminhaltlichen Wettbewerb nehmen wir an, aber wo internationale Techplattformen die Möglichkeit haben, auf den Wettbewerb Einfluss zu nehmen, auf die Präsentation der Inhalte auf ihren Plattformen und auf den Zugang, da stellen sich Fragen. Deutschland hat für die Plattformregulierung einen guten Weg gezeigt. National sollten Gesetzgeber und Behörden das Wettbewerbsrecht dahingehend anpassen, dass Fusionsschwellen angehoben, Kooperationen stärker ermöglicht und realistische Marktbetrachtungen zugrunde gelegt werden.

"Das Europäische Medienfreiheitsgesetz ist kein Instrumentarium zur Bekämpfung von Desinformation."

Im Dezember haben das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union eine vorläufige politische Einigung über den European Media Freedom Act (EMFA) erzielt. Wie beurteilen Sie dieses Gesetz?

Grewenig: Das Medienfreiheitsgesetz ist ein ziemlicher Bauchladen an unterschiedlichen Themen. Die Hoffnung war ursprünglich, dass das Gesetz unserer Branche nutzt und sie stabilisiert, aber wie oft auf europäischer Ebene ist das Bild sehr differenziert. Es ist eben kein Instrumentarium zur Bekämpfung von Desinformation. Wir sehen bei der zusätzlichen Regulierung der Medienkonzentration oder beim Eingriff in redaktionelle Freiheiten sehr weitreichende Punkte, die auch von der politischen Einigung im Trilog noch nicht ausreichend gelöst wurden. Und wir befürchten, dass die jetzt auf dem Tisch liegenden Überlegungen für zusätzliche europäische Gremien eine gut funktionierende staatsferne Medienaufsicht in einigen europäischen Mitgliedstaaten eher gefährden könnten. Bei aller Anerkenntnis, dass es um hehre Ziele geht, könnte das Ergebnis am Ende mehr Flurschaden anrichten, als es Positives bringt.

Ist das Gesetz überhaupt notwendig?

Grewenig: Wenn man versuchen möchte, eine Mindestharmonisierung auf europäischer Ebene hinzukriegen, ist es notwendig, aber in manchen Bereichen ist es ein Risiko und damit kontraproduktiv.

Welches Thema wird die privaten Medien im Jahr 2024 am meisten beschäftigen?

Grewenig: Künstliche Intelligenz ist ein Metathema, das in nahezu alle Bereiche hineinreicht. Es ist bei der Inhalteerstellung, bei der Entwicklung neuer Inhalte und im klassischen journalistischen Handwerk, im Marketing, aber auch bei der Vermittlung extrem relevant, zum Beispiel für Empfehlungssysteme bei den Streamingangeboten. Künstliche Intelligenz verstehen wir deutlich mehr als Chance als als Risiko. Wir sollten also nicht aus Angst davor, dass man nicht alles überblicken kann, sagen: Wir machen die Schotten dicht. Wir als Branche haben Verantwortung für journalistische Inhalte und sind der Meinung, dass wir mit den neuen Möglichkeiten auch verantwortungsvoll umgehen. Bestenfalls haben wir eine Verschiebung der Kapazitäten, weg von zeitintensiven, eher monotonen Aufgaben hin zum klassischen Handwerk des Journalismus. Aber es braucht auch grundsätzliche Regeln, wie zum Beispiel mit unseren Daten zu Trainingszwecken umgegangen wird und wie dabei unsere Rechte geschützt werden. Wir sollten das Grundproblem im Auge behalten, dass die Schaffung von Inhalten und Wertschöpfung nicht auseinanderfallen. Es muss mit Blick auf das Urheberrecht frühzeitig Leitlinien geben, die sagen: Wenn lernende Systeme auf die Inhalte zugreifen, muss das transparent sein und eine Vergütung ermöglichen. Das ist nicht trivial, aber das ist eine der Kernfragen, um auch künftig die Wertschöpfung in sehr vielen Industrien zu sichern.

"Die privaten Medien sind ein Garant für journalistische Qualitätsangebote und bilden ein verlässliches Gegengewicht zu Algorithmen und Desinformation."

2024 feiern Sie auch 40 Jahre privater Rundfunk in Deutschland. Was ist geplant?

Grewenig: Das Jubiläum schafft den Anlass, sehr stolz auf das Erreichte zu schauen: Die Medien in Deutschland stehen dank der Privaten für eine einmalige Angebotsvielfalt, die privaten audiovisuellen Medien sind heute ein enormer Wirtschaftsfaktor und Teil der Kreativ- und Kulturwirtschaft, deren Bruttowertschöpfung 2020 bei rund 100 Milliarden Euro lag. Auch in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung sind die privaten Medien heute ein Garant für journalistische Qualitätsangebote und bilden ein verlässliches Gegengewicht zu Algorithmen und Desinformation. Wir wissen aber auch: All das ist keine Selbstverständlichkeit und ist in verschiedenen Bereichen durch regulative und Marktentwicklungen bedroht. Insofern werden wir 2024 feiern und das Thema das ganze Jahr über mit verschiedenen Events und Veröffentlichungen begleiten. Mit ihnen werden wir nicht nur zurückblicken, sondern vor allem auch nach vorn blicken. Das Jahr des Jubiläums ist zugleich auch ein Jahr der großen politischen Weichenstellungen für das nächste Jahrzehnt: bei den Fragen der Refinanzierung, der Zukunft des dualen Mediensystems oder der Umsetzung der europäischen Plattformregulierung. Wir gleisen auf, wie die Branche zum 50. Jahrestag dastehen wird.

dir



Zuerst veröffentlicht 02.01.2024 09:46 Letzte Änderung: 03.01.2024 14:28

Schlagworte: Medien, Medienpolitik, Interview, Privatsender, Vaunet, Grewenig, Roether, NEU

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