Was warum wie wo war - epd medien

24.05.2024 08:59

Die Dokumentation "ARD History: 1949 in Ost und West. Zwei Familien und ihre Träume" blickt mit scharf eingestellter Linse und heiterer, freundlicher Note zurück, lobt Barbara Sichtermann.

epd Alle feiern das Grundgesetz, aber war da nicht noch mehr los im Jahre 1949? Entlang dieser guten Frage hat Katja Herr ihre Dokumentation "1949 in Ost und West" entwickelt. Man liest schon im Titel: Vor 75 Jahren kam es zur deutschen Teilung. Aus den Westzonen wird die Bundesrepublik, aus der Ostzone die DDR. Der Kalte Krieg kündigt sich an, und die Frontlinie verläuft mitten durch Deutschland. Für die jungen Menschen heute und hierzulande ist das Vorgeschichte. Oder doch Geschichte? Eine Zeit, über die man mehr wissen möchte?

Das Ja auf diese Frage steht am Beginn des Films. Wir erleben "zwei Frauen auf der Reise zu ihren Wurzeln in Ost und West". Sie heißen Jördis Krey und Maria Bastille. Jördis ist im Westen groß geworden. Sie möchte wissen, wie es einst Großmutter Ingrid, die bei ihrer eigenen Oma in Oldenburg aufwuchs, geschafft hat, in den harten Nachkriegsjahren ihre Fröhlichkeit zu bewahren, sie wurde überall "der Sonnenschein" genannt. Die Großmutter empfängt ihre Enkelin und gibt Auskunft. Ja, es war schwer, aber die Aufbruchslust nach der Katastrophe stark. Auch der Opa lässt sich auf ihre Fragen ein. Er gibt zu, dass das Spielen in den Ruinen seinen Reiz gehabt habe.

Echo eines Traumas

Marias Großeltern stammten aus Schlesien und blieben nach der Vertreibung im thüringischen Dorf Petriroda hängen. Für Maria ist Onkel Heimer der wichtige Zeitzeuge, den sie nun besucht. Der war 1949 ein kleiner Junge und erzählt von der Stunde null in der gerade gegründeten DDR. Die Familie gehört zu denen, die "alles verloren" hatten und ganz neu beginnen mussten. Maria, erst Anfang 20, glaubt, den Verlust ihrer Vorfahren als Echo eines Traumas heute noch am eigenen Leibe zu spüren. Sie hat sich oft gefragt, woher ihre Melancholie kommt, und nun will sie wissen, "was warum wie wo war". Onkel Heimer gibt bereitwillig Auskunft und berichtet davon, wie wenig willkommen die Flüchtlinge einst auf dem Dorf waren. Es herrschten Mangel, Schwarzmarkt, Tauschwirtschaft.

Zwischendurch zeigt Filmemacherin Herr mit sorgsam ausgewählten Archivmaterialien, wie sich die Gründungsakte jeweils der BRD und der DDR vollzogen. Wir sehen Spots von der Berlinblockade und der Luftbrücke, Aufbauarbeit hier wie dort, BMW produziert wieder Motorräder, es gibt Spielzeug zu kaufen.

Dann unterbrechen der Publizist Harald Jähner und die Historikerin Katja Hoyer die persönlichen Rückschauen und geben ihre Einschätzungen ab. Jähner erklärt, dass sich seinerzeit niemand in der Bevölkerung für das Grundgesetz interessierte, es ging allen nur um das tägliche Brot. Die Westalliierten aber hatten es eilig damit, den von ihnen besetzten Teil Deutschlands in ihr Bündnis einzubinden und machten Dampf. Im Osten waren die Sowjets noch für die Wiedervereinigung, allerdings unter dem Vorzeichen von Hammer und Sichel, und das kam für den Westen nicht infrage. Also entstand auch in der "Ostzone" ein eigener Staat. Weltweit war es unruhig. Mao machte in China eine Revolution, in Korea drohte Krieg.

Voller hübscher Einfälle

Diese kleine Doku ist voller hübscher Einfälle - so, wenn Jördis zu Beginn das Kleid ihrer Oma flickt, dessen Geschichte wir später erfahren. Oder wenn ein Straßenhändler ein aufgezogenes kleines Auto laufen lässt - seinerzeit ein Mirakel. Im Westen entfaltet sich, wir kennen das, das Wirtschaftswunder, im Osten herrschen Zwang und Mühsal, eine Konsumgesellschaft entsteht dort nicht. Auf den "Reisen" von Jördis und Maria werden die altbekannten Topoi noch einmal lebendig, zugleich entstehen Allusionen Richtung Gegenwart. Krieg ist heute zurück und das Jungsein seit der Nachkriegszeit auch nicht einfacher geworden.

Dennoch: Katja Herr gelingt es, ihrer Doku eine heitere, eine freundliche Note mitzugeben, ganz im Sinne von Oma Ingrid, die davon erzählt, dass ihre eigene Großmutter, bei der sie aufwuchs und die im Krieg fast ihre gesamte Familie verlor, ihren Lebensmut immer wieder neu anzufachen wusste. Der Untertitel der Doku lautet ja: "Zwei Familien und ihre Träume", und darauf wird auch immer wieder angespielt: Was werden wir alles tun, wenn erst der Mangel und das Provisorium ein Ende haben, wenn erst die Mauern und Zäune nicht mehr stehen? Nun ist es so weit, aber die Welt lebt nicht im Frieden. Um Auswege zu finden, das legt der Film nahe, kann es nicht verkehrt sein, mit scharf eingestellter Linse zurückzublicken, ebenso persönlich wie politisch.

infobox: "ARD History: 1949 in Ost und West. Zwei Familien und ihre Träume", Regie und Buch: Katja Herr, Kamera: Jürgen Rehberg, Produktion: Kinescope Film (ARD/BR/MDR/NDR/Radio Bremen, 13.5.24, 23.50-0.35 Uhr und bis 13.5.25 in der ARD-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 24.05.2024 10:59 Letzte Änderung: 24.05.2024 11:00

Barbara Sichtermann

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), Dokumentation, KARD, Sichtermann, NEU

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