Prägnante Aussagen - epd medien

24.05.2024 09:19

In der ARD-Dokumentation "Wie gut ist unser Grundgesetz?" sprechen Frank Bräutigam und Sandra Maischberger mit Menschen aus ganz Deutschland über die Bedeutung des Grundgesetzes für die Demokratie und für ihr Leben. Dabei vermeiden sie übertriebene Zuspitzung oder verfassungsfeindliche Parolen.

Sandra Maischberger und ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam studieren das Grundgesetz in Berlin

epd Am Ende sitzen Sandra Maischberger und Frank Bräutigam wie zwei Touristen auf einer Treppe in Berlin. Hinter ihnen türmt sich der Reichstag auf. Vielleicht soll dieses Bild bedeuten, dass beide auf die mächtige Verfassung in ihrem Rücken vertrauen. Gleichzeitig blicken sie über die Kamera hinweg auf ein unbekanntes Ziel, ins Ungewisse sozusagen. Was wiederum zur angespannten Lage und allgemeinen Verunsicherung passt.

Er habe das Gefühl, es sei nicht die Zeit für "salbungsvolle Feiern", sagt Bräutigam zu Beginn, aber in seinem Fazit, das aus dem Off zu hören ist, klingt das "starke Presenter-Duo", wie der SWR es anpreist, selbst ein wenig salbungsvoll. "Die Werte des Grundgesetzes, die Demokratie, sie gilt es in stürmischen Zeiten immer wieder zu verteidigen", lautet Maischbergers Schlusssatz, der gewiss nicht falsch ist, aber auch in jeder Sonntagsrede zum 75-jährigen Bestehen des Grundgesetzes zu hören sein dürfte.

Die Talkshow-Moderatorin und der ARD-Rechtsexperte wollten einen "Stresstest" machen und das Grundgesetz gleichzeitig "mit Leben füllen", wie sie zu Beginn der Dokumentation betonen. Sie führen getrennt Interviews mit einem guten Dutzend Personen zu fünf Themenbereichen, ergänzt durch wenige, knapp präsentierte Ergebnisse einer Umfrage von Infratest dimap. Zwischendurch sieht man Maischberger und Bräutigam zu zweit an einem Tisch sitzen, ihr Dialog bildet die Überleitung zum nächsten Kapitel. Das gelingt vergleichsweise elegant, auch wenn Szenen, die vermeintlichen Redaktionsalltag simulieren, immer arg gestellt wirken.

Gewalt im digitalen Raum

In dem engen Korsett des 45-Minuten-Formats bleiben die fünf großen Themenfelder, mit denen sich locker jeweils eigene Filme füllen ließen, notwendigerweise Stückwerk, doch immerhin gibt es prägnante Beispiele und Aussagen. So berichtet der schwäbische Comedian Lukas Staier alias Cossu aus eigener Erfahrung davon, dass für viele Menschen eine dunkle Hautfarbe und Deutschsein immer noch nicht zusammengehören.

Zum Thema Meinungsfreiheit kommt außerdem Anna-Lena von Hodenberg vom Verein Hateaid zu Wort. Sie weist auf die "Gewalt im digitalen Raum" hin und auf eine steigende Zahl von Deepfakes. Die Opfer sind meist Frauen, Politikerinnen und Journalistinnen, deren Gesichter in Pornovideos montiert werden. Was man über die Täter weiß, bleibt ausgeklammert. Von Hodenberg fordert, die Plattformen zur Verantwortung zu ziehen.

Über die Enttäuschung im Osten und die Frage, warum nach der Wiedervereinigung keine neue Verfassung entworfen wurde, spricht Maischberger mit Schauspieler Jan Josef Liefers und dem früheren Bundespräsidenten Joachim Gauck.

Die "Systemverächter" werden mehr

Bräutigam arbeitet die Corona-Pandemie mit konkreten Fällen und Urteilen des Bundesverfassungsgerichts auf - ein überzeugendes Konzept, in dem auch Stephan Harbarth, der Präsident des Gerichts, die jeweiligen Urteile noch einmal erläutert und begründet. Es ging um die Schulschließungen, gegen die eine Initiative in Karlsruhe vergeblich geklagt hatte, und um das Fehlen verbindlicher Regeln für eine Triage. Das Bundesverfassungsgericht hatte Carola Nacke aus Pirna recht gegeben, die aus Sorge um ihren behinderten Sohn bis nach Karlsruhe gezogen war. Ihr juristischer Erfolg hat sie sichtlich in ihrer demokratischen Grundhaltung bestärkt, wie sich im Gespräch mit Bräutigam zeigt.

Im Kapitel "Gleichheit" bringt Maischberger eine junge Sängerin und einen älteren Mann zusammen, um die gesellschaftliche Entwicklung im Umgang mit Homosexualität generationenübergreifend - und musikalisch - zu veranschaulichen.

Abschließend haben unter der Überschrift "Diktaturfestigkeit" die Mahner das Wort: FDP-Politiker Gerhart Baum weist auf eine wachsende Zahl von "Systemverächtern" hin. Und Verfassungsblog-Gründer Maximilian Steinbeis hat schon im Jahr 2019 das Szenario eines rechtspopulistischen Systemabsturzes entworfen.

Angenehm sachlich

Bei den auf kurzen Ausschnitten reduzierten Interviews stellt sich allerdings schnell der Eindruck von mangelnder Tiefe ein. Wichtige Themenfelder wie Klimawandel und Migration oder auch die aktuelle Debatte um die Schuldenbremse oder ein Reizthema wie das Karlsruher Urteil zum dritten Geschlecht bleiben außen vor. Sie hätten den Rahmen gesprengt, aber zumindest in der Mediathek wäre eine etwas ausführlichere Darstellung möglich gewesen.

Im linearen Programm bereitete die Doku das Feld für die anschließende Talkshow "Hart aber fair" vor. Zwar zitierte Moderator Louis Klamroth ab und zu den Film, insbesondere einige Ergebnisse der Umfrage, doch angesichts des aktuellen Urteils des Oberverwaltungsgerichts Münster rückte die AfD in den Mittelpunkt, die in der Dokumentation erfrischenderweise kaum erwähnt wurde. Das Publikum dürfte den sprichwörtlichen Elefanten im Raum dennoch kaum übersehen haben. Bei "Hart aber fair" nahm er in Gestalt von Beatrix von Storch, der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der AfD im Bundestag, Platz. Sie bot das übliche Schauspiel der Rechtspopulisten, die sich als die wahren Opfer und die eigentlichen Verteidiger der demokratischen Grundordnung zu inszenieren versuchen.

Im Gegensatz zur Talkshow bleibt der Tonfall des Films angenehm sachlich. Maischberger und Bräutigam vermeiden übertriebene Zuspitzung und auch Archivausschnitte, durch die populistische oder verfassungsfeindliche Parolen erneut eine Bühne bekommen hätten. Der Ernst der Lage ist vielen bewusst: Mehr als die Hälfte der Befragten stimmten bei der Umfrage der Aussage zu, die Demokratie sei derzeit durch extreme politische Kräfte "sehr stark" oder "stark" bedroht. Mehr als ein Drittel glaubt, man könne seine Meinung "eher nicht" oder "auf keinen Fall" frei sagen, ohne ernsthafte Nachteile zu haben.

Immerhin macht Hoffnung, dass 77 Prozent auf die Titelfrage, wie gut das Grundgesetz sei, bekundeten: "Sehr gut" oder "gut". Auch im Osten lag dieser Zustimmungswert bei 70 Prozent. Der Zustand der Verfassung wird in Deutschland offenbar mehr wertgeschätzt als die Verfassungswirklichkeit.

"Wie gut ist unser Grundgesetz?", Dokumentation mit Sandra Maischberger und Frank Bräutigam, Regie und Buch: Nina Bauer, Produktionsfirma: Vincent Productions (ARD/SWR, 13.5.24, 20.15-21.00 Uhr, und seit 6.5.24 in der Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 24.05.2024 11:19

Thomas Gehringer

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, KSWR, Dokumentation, Maischberger, Bräutigam, Bauer, Gehringer

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