28.05.2024 10:16
Wie Selbstzensur im Lokaljournalismus wirkt
epd Journalisten, die in ländlichen Gebieten oder kleinen bis mittelgroßen Städten leben und arbeiten, sind nah an den Objekten und Themen ihrer Berichterstattung. Für viele ist genau das der Reiz ihrer Tätigkeit. Lokal- und Regionalzeitungen sind nach wie vor für die meisten Menschen die Hauptinformationsquelle für lokale Nachrichten und Politik. Der Lokalteil ist eines der meistgelesenen Ressorts, Studien belegen, dass Lokalzeitungen ein hohes Vertrauen bei der Leserschaft genießen. - Der Lokaljournalismus spielt eine wichtige Rolle bei der politischen Bildung, der Förderung des bürgerschaftlichen Engagements und der Aktivierung von Wählern. Kurz, er ist für die Demokratie von essenzieller Bedeutung.
Die Attraktivität des Berufs leidet jedoch stark. Ein wesentlicher Grund dafür ist die zunehmende Feindseligkeit gegenüber Journalisten. Vor zehn Jahren wurde das Wort "Lügenpresse" durch die "Pegida"-Bewegung erneut in die breite Öffentlichkeit gebracht, um gegen Medien zu hetzen. Der Begriff war bereits während des Ersten Weltkriegs ein zentrales Element der deutschen Propaganda, später spielte er in der Rhetorik der Nationalsozialisten eine wichtige Rolle.
Heute steht der Begriff geradezu exemplarisch für eine neue Verrohung im Umgang mit Journalisten in der Gegenwart. Der zunehmende Hass auf die Presse hat das Berufsbild verändert und wirkt sich auf die Pressefreiheit aus. Journalisten berichteten dem ECPMF, dass sie Berichterstattung an Orten meiden, an denen sie mit Anfeindungen oder sogar körperlicher Gewalt rechnen müssen. Einige sprachen von Selbstzensur.
Medienfeindliche Einstellungen lassen sich in verschiedenen Milieus und Proteststrukturen beobachten, zum Beispiel bei den sogenannten Montagsdemonstrationen in Sachsen und Thüringen. Auf diesen Demonstrationen versammeln sich neben Mitgliedern der AfD, die Medienfeindlichkeit auf allen politischen Ebenen schürt, und der Freien Sachsen auch Personen mit Russland- und Friedensflaggen. Gleichzeitig nehmen Menschen teil, die sich in Bürgerinitiativen zusammengeschlossen haben und entweder aktiv mit der extremen Rechten und verschwörungsideologischen Gruppen vernetzt sind oder diese zumindest tolerieren. Rechtsextreme Parolen und Symboliken sowie verschwörungsideologische Narrative einschließlich zur Schau gestellter Tötungs- und Umsturzfantasien - etwa in Form von Galgen für Politikerinnen - sind ebenso präsent wie Porträtfotos von Journalisten, die als Lügner diffamiert werden.
Angesichts der offen zur Schau gestellten Medienfeindlichkeit, die sich nicht auf Ostdeutschland beschränkt, überrascht es nicht, dass es im Umfeld dieser Demonstrationen immer wieder zu Angriffen auf Journalistinnen kommt. Diese Angriffe gehen nicht nur von organisierten Rechtsextremen oder Mitgliedern der rechten Hooliganszene aus. Auch Personen aus dem bürgerlichen Milieu, die für autoritäre Einstellungen offen sind, wenden sich im Umfeld solcher Versammlungen gegen Journalisten. "Die Medien" und Journalistinnen als Feindbild sind ein verbindendes ideologisches Element dieser Akteure und Bewegungen. Verbale und physische Gewalt gegen Medienschaffende gilt ihnen als legitim und bricht sich in Protesten Bahn, in denen sich die Beteiligten als Teil einer wirkmächtigen Gruppe begreifen.
Kein Wunder, dass sich Journalistinnen und Journalisten angesichts solcher Szenarien bedroht fühlen. Seit Beginn der Corona-Pandemie wurden in Deutschland deutlich mehr tätliche Angriffe auf Medienschaffende registriert als zuvor. Nach den Studien des ECPMF gab es zwischen 2015 und 2019 noch durchschnittlich rund 23 Angriffe pro Jahr. Diese Zahl stieg in den Jahren 2020 bis 2023 auf durchschnittlich 69 Angriffe pro Jahr. Auch nach dem offiziellen Ende der Pandemie bleibt die Zahl der Angriffe hoch.
Im vergangenen Jahr wurden Journalisten bei ihrer Berichterstattung angespuckt, geschubst, geschlagen und mit Steinen beworfen - meist im Umfeld von Demonstrationen. Andere wurden auf der Autobahn bei hoher Geschwindigkeit ausgebremst, damit sie die Kontrolle über ihr Fahrzeug verlieren. Ein Journalist fand in allen Reifen seines Wagens versenkte Schrauben. Mehrfach wurden Wohnorte von Journalisten aufgesucht und zum Ziel von Vandalismus.
Journalistinnen und Journalisten sind aber auch anderen Übergriffen ausgesetzt. Viele berichten, dass Beschimpfungen und Bedrohungen mittlerweile zum Berufsalltag gehören. Besonders gefährdet sind diejenigen, die außerhalb der Redaktionsräume recherchieren und berichten, vor allem von Demonstrationen der extremen Rechten, verschwörungsideologischer Bewegungen oder verschiedener sogenannter propalästinensischer Gruppen. Sie laufen ein höheres Risiko, körperlich angegriffen zu werden als Medienschaffende, die überwiegend im Büro arbeiten.
Journalistinnen, die über gesellschaftlich kontroverse Themen schreiben, sind wiederum häufiger Ziel von Hasskommentaren als jene, die weniger polarisierende Themen bearbeiten. Fachjournalisten, die sich mit Bewegungen beschäftigen, bei denen Medienfeindlichkeit ein zentraler Bestandteil der politischen Ideologie ist, werden eher aus diesen Gruppierungen angegriffen als etwa Reporterinnen, die in der Wirtschaftsberichterstattung tätig sind.
Hinzu kommt der Faktor Nähe. Während auswärtige Journalisten, die für die Berichterstattung an einen Ort kommen, diesen wieder verlassen, leben Lokaljournalistinnen meistens in ihrem Berichtsgebiet. Sie sind öffentliche und damit jederzeit identifizierbare Personen. Andrea Schawe, ehemalige stellvertretende Lokalchefin der "Sächsischen Zeitung" in Freital, sagte dem ECPMF: "Im Lokalen haben die Journalisten das Problem, dass die Leute wissen, wer du bist, wo die Redaktion ist und wie du aussiehst. Sobald du wegen des Jobs oder privat auf die Straße gehst, bist du in Kontakt mit deinem Leser." Ein Rückzug in die Anonymität ist im Lokalen somit kaum möglich, und das hat Folgen.
Betroffene Journalistinnen und Journalisten gehen mit Übergriffen und Drohungen unterschiedlich um. Während es aus den Medienhäusern verständlicherweise fast reflexhaft heißt, man lasse sich nicht einschüchtern, passiert genau das. Vor allem dort, wo Rechtsextreme den Raum beherrschen. Wenn extrem rechte Akteure zudem mit verschwörungsideologischen Bewegungen kooperieren und von weiten Teilen der Stadtgesellschaft akzeptiert werden, entsteht eine permanente Bedrohungslage für alle, die sich kritisch mit ihnen auseinandersetzen, das gilt für zivilgesellschaftliche Gruppen ebenso wie für Lokalpolitikerinnen oder Lokaljournalisten.
Die Forscher Axel Salheiser und Matthias Quent beschreiben in einem Beitrag zum Sammelband "Lokal extrem Rechts: Analysen alltäglicher Vergesellschaftung" das Auftreten extrem rechter Gruppierungen, die sozial eingebunden sind, so: "Sie prägen das gesellschaftliche und politische Meinungsklima im Sozialraum mit ihren nationalistischen, rassistischen und antiliberalen Einstellungen und Alltagspraxen - sodass ganze Gemeinden, Städte oder gar Regionen als 'rechte Räume' gelten, in denen dies als 'normal' wahrgenommen wird."
Zwei langjährige Lokaljournalisten, die an solchen Orten in Sachsen leben und dort berichten, schilderten dem ECPMF ihre Situation und ihre Beobachtungen. Beide halten es für wichtig, sich neben der Berichterstattung über andere Themen auch mit den extrem rechten und verschwörungsideologischen Akteuren im Berichtsgebiet auseinanderzusetzen und über diese aufzuklären. Man müsse zeigen, wie sie sich vor Ort und auch überregional vernetzen und wer diese Personen wirklich sind, wenn sie sich harmlos geben. Gleichzeitig setze man sich damit einem erheblichen Risiko aus.
Ein Lokaljournalist erzählt: "Den in der Region und im Übrigen weit darüber hinaus agierenden Rechtsextremen bin ich als Medienschaffender längst aufgefallen. Und sie kennen und informieren sich untereinander. Meine Berichterstattung exponiert mich auf eine Weise, die aus meiner Sicht jetzt schon ein solches Gefahrenpotenzial in sich birgt, dass der Gedanke zumindest naheliegt, sich aus der Berichterstattung zurückzuziehen."
Artikel der Lokaljournalisten würden in Chatgruppen angefeindet, es habe bereits Verleumdungsklagen und einen Angriff auf ein Redaktionsbüro gegeben. Das bleibt nicht ohne Folgen. Beide Lokaljournalisten berichten, dass sie feststellen, dass die Themen Rechtsextremismus und rechte Ideologien in lokalen Publikationen oft ausgeklammert oder nicht mehr kritisch beleuchtet würden. Manche Lokalzeitungen würden gar nicht mehr darüber berichten.
"Diese Themen werden oft gemieden in den Redaktionen. Ich erlebe so was immer mehr, auch hier, wo ich arbeite, dass die Kolleg:innen das nicht anfassen", sagte einer der beiden. Ein Kollege aus seiner Redaktion sei schon einmal Opfer einer Sachbeschädigung geworden, er vermute, dass die Täter aus der rechten Szene kamen. Dieser Kollege habe sich damals entschieden, nicht mehr über dieses Thema zu berichten, er zensiere sich also selbst. Er wisse von weiteren Kolleginnen und Kollegen, denen es ähnlich gehe. Manchmal werde es nicht explizit gesagt, aber man merke, wenn Themen weggelassen würden. Er lese auch andere Lokalzeitungen aus der Region und bemerke, dass besonders dort, wo extrem rechte Bewegungen sehr aktiv und präsent seien, "eigentlich gar nicht über die berichtet wird".
Diese Erzählungen sind alarmierend. Wenn Lokaljournalistinnen erklären, dass sie oder Kollegen sich aus Sorge um ihre Sicherheit selbst zensieren, kann von Pressefreiheit an diesen Orten keine Rede sein. Auch Journalisten aus anderen Orten berichteten den Forschern des ECPMF, dass auch sie manchmal auf die Berichterstattung aus bestimmten Orten verzichten, weil sie das Risiko, angegriffen zu werden, für zu groß halten.
Insbesondere freie Journalisten, die im vergangenen Jahr überproportional von körperlichen Angriffen betroffen waren, verzichten auf die Berichterstattung an gefährlichen Orten, da sie die Folgen eines Angriffs alleine tragen müssen, wenn sie keinen Arbeitgeber hinter sich haben. Wenn sie physische oder psychische Verletzungen erleiden oder ihre Ausrüstung zerstört wird, kann dies existenzbedrohend sein.
So entstehen blinde Flecken in der Berichterstattung. In mehreren Orten treten eindeutig rechtsextreme Akteure zu Wahlen an, etwa auf Stadt- oder Kreisebene. Die interviewten Lokaljournalisten berichten, dass eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Personen, ihren Ansichten und Hintergründen nur selten stattfindet. Über Vernetzungen von Akteuren und Bewegungen werde ebenso wenig berichtet. Die rechtsextremen Akteure wiederum lernen daraus, dass sie durch Einschüchterungen und Angriffe auf externe und lokale Journalisten unliebsame Berichterstattung verhindern können und nehmen weiteren Raum ein.
Bei den Kommunalwahlen in Sachsen im Juni werden vielerorts rechtsextreme Akteure antreten. Die Lokaljournalisten nehmen an, dass einige von ihnen in ihren Gemeinden in die Gemeindevertretungen und Stadträte gewählt werden. Aus dieser demokratisch legitimierten Position heraus hätten diese Personen dann mehr Macht und Ansehen, auch bei Menschen, die sie bisher nicht kannten. Auch Diffamierungen und Übergriffe auf Journalisten würden dann weiter zunehmen, befürchten sie.
Tätliche Angriffe, die sichtbarer sind, seien aber nur die Spitze des Eisbergs, so die Journalisten. Diese würden öfter bekannt und bekämen dadurch mehr Aufmerksamkeit. Doch "das, was wir erleben, das sind Sachen, die spielen sich eigentlich unter der Decke ab. Das kriegt eigentlich gar keiner mit", erklärt einer der beiden Lokaljournalisten.
Wie sich eine solche Bedrohungslage langfristig auswirkt, ist schwer zu erkennen. Phänomene wie eine veränderte Berichterstattung oder Selbstzensur aus Angst vor Anfeindungen sind schwer wahrzunehmen. Es scheint plausibel, dass Journalisten nicht gern öffentlich darüber sprechen, schließlich passt das nicht zum Berufsethos. Den zitierten Lokaljournalisten war es wichtig, dass sie nicht namentlich genannt werden. Nicht nur aus Sicherheitsgründen, sondern auch wegen ihrer Arbeitgeber.
Der Chefredakteur der "Ostthüringer Zeitung", Nils Kawig, sagte nach wiederholten Angriffen auf einen seiner Reporter im vergangenen Jahr: "Im Moment gehe ich noch davon aus, dass die Kollegen, die es bisher getroffen hat, sich davon nicht einschüchtern lassen. Aber unsere Sorge ist, dass so eine schleichende Angst innerhalb der Belegschaft entsteht." Deshalb habe man sich nach den Angriffen an die Polizeibehörden gewandt und um intensive Beratung gebeten. "Wir wollen verhindern, dass es so eine schleichende Angst gibt. Eine Angst, über die keiner sprechen will. Wir wollen demonstrieren, nach innen, in die Belegschaft hinein, aber eben auch nach außen, dass wir uns nicht einschüchtern lassen wollen", so der Chefredakteur.
Manche Redaktionen bieten inzwischen Sicherheitstrainings für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an. Letztlich sind weitere niedrigschwellige Angebote wichtig, damit sich Mitarbeiter trauen, ihre Bedenken zu äußern, damit Redaktionen gemeinsam mit ihnen einen Umgang mit der Bedrohung finden können.
Copyright: Foto: Privat Darstellung: Autorenbox Text: Patrick Peltz ist Referent für Monitoring und Forschung beim Europäischen Zentrum für Presse- und Meinungsfreiheit (ECPMF) leitet die Studie "Feindbild Journalist:in" seit November 2023.
Zuerst veröffentlicht 28.05.2024 12:16 Letzte Änderung: 29.05.2024 13:00
Schlagworte: Medien, Journalismus, Studien, Thüringen, Sachsen, ECPMF, Peltz, NEU
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