Kein medienpolitischer Paukenschlag - epd medien

03.06.2024 07:15

Sachsen-Anhalts Staatskanzleichef Rainer Robra (CDU) wünscht sich eine Änderung des Verfahrens zur Festsetzung der Rundfunkbeitragshöhe. Der frühere HR-Justiziar Jürgen Betz hält die Vorschläge des Medienpolitikers für unrealistisch und wirft ihm vor, aus der föderalen Verantwortungsgemeinschaft fliehen zu wollen.

Eine Antwort auf die Vorschläge von Rainer Robra zum Rundfunkbeitrag

Der Rundfunkbeitrag ist zum medienpolitischen Zankapfel geworden

epd Die Überraschung war groß. In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 16. Mai schlug Sachsen-Anhalts Staatskanzleichef und Medienminister Rainer Robra vor, die im Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag festgelegte dritte Stufe des Verfahrens zur Rundfunkbeitragsfestsetzung abzuschaffen. Also der Staatskanzleichef jenes Landes, das im Jahr 2020 die Erhöhung des Rundfunkbeitrags torpediert hatte und auch schon 2023 - zusammen mit weiteren fünf Bundesländern - mit dem nirgends fixierten und definierten Begriff der "Beitragsstabilität" erklärte: Egal, was die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) vorschlagen werde, eine Beitragserhöhung werde es nicht geben.

Wende in der Blockadepolitik?

Robras Idee ist auf den ersten Blick erfreulich, will er doch das leidige Thema der Rundfunkbeitragsanpassung aus dem politischen, teils populistischen Gezänk herausnehmen und es dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) überlassen, den auch aus seiner Sicht wichtigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit den von der KEF für erforderlich gehaltenen Finanzmitteln auszustatten. Und damit, wie er sagt, auch etwas für die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks tun.

Ist dies eine sensationelle Wende in der Blockadepolitik Sachsen-Anhalts und ein Votum für eine staatsferne Finanzierung des staatsunabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks? Oder doch eher eine Kapitulation vor der verfassungsrechtlichen Verpflichtung der föderalen Verantwortungsgemeinschaft der Länder, die mit der dritten Stufe die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch Festlegung der Höhe des Rundfunkbeitrags zu gewährleisten haben?

Robra hält die von den Ländern selbst im Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag festgelegte und vom BVerfG 1994 ausdrücklich bestätigte dritte Stufe für "dysfunktional", weil den Länderparlamenten nicht zugemutet werden könne, ohne konkreten Einfluss auf die Umsetzung der KEF-Empfehlung und den auf deren Grundlage von den Ministerpräsidenten geschlossenen Staatsvertrag einer Beitragserhöhung zuzustimmen. Er negiert damit allerdings die vom BVerfG in seinem Beschluss vom 20. Juli 2021 festgestellte "föderale Verantwortungsgemeinschaft der Länder", welche die Finanzierung sicherzustellen hat. Robras Aussage stellt somit eine Flucht aus der Verantwortung dar und ist verfassungsrechtlich sehr bemerkenswert, da sie auch die jahrzehntelange Rechtsprechung des Karlsruher Richter zur Rundfunkfinanzierung infrage stellt.

Aufgabe der Bundesländer

Nimmt man zugunsten Robras an, dass er die bei jeder von der KEF empfohlenen Beitragsanpassung bestehende Zerstrittenheit der Länder und die demgegenüber sehr klare Rechtsprechung aus Karlsruhe sieht und daher etwas für die Rundfunkanstalten tun möchte, dann stellt sich die Frage, ob seine Idee, wonach das BVerfG künftig generell die Höhe des Rundfunkbeitrags gemäß dem Votum der KEF verbindlich festlegen soll, überhaupt realistisch ist. Sie ist es nicht, und zwar aus folgenden Gründen:

  1. Das BVerfG hat die Bestimmung des inhaltlichen Auftrags und die daraus folgende Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stets als Aufgabe der Bundesländer verstanden, die die Gesetzgebungskompetenz dafür haben. Die Länder haben den Bestand und Entwicklung des Rundfunks sowie seine Finanzierung zu gewährleisten. Das wurde im Beschluss vom 20. Juli 2021 nochmals ausdrücklich bestätigt. Dass die Länder nur eine sehr eingeschränkte Möglichkeit haben, die Beitragshöhe abweichend vom KEF-Vorschlag festzulegen, ist der verfassungsrechtlich begründeten Staatsunabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geschuldet. Aber genau das wollen einige Länder nicht einsehen und wahrhaben.

Überzeugend begründet

Das BVerfG wird höchstwahrscheinlich nicht von seinem bisherigen Standpunkt abweichen, denn er ist ja überzeugend begründet. Wenn Robra das derzeitige Verfahren für dysfunktional hält, haben die Länder es doch selbst in der Hand, Robras Bedenken zu beseitigen, in dem sie festlegen, dass der Rundfunkbeitrag künftig indexiert wird. Das BVerfG hat eine solche Indexierung wiederholt für zulässig erklärt. Aber auch das wollen die Länder bislang nicht. Robra meint, damit werde der öffentlich-rechtliche Rundfunk überfinanziert und das rufe die EU-Kommission auf den Plan. Das ist unzutreffend, denn eine Indexierungsregelung ist gestaltbar und kann zum Beispiel auch Wirtschaftlichkeits- und Rationalisierungaspekte einschließen.

  1. Steuern und Abgaben wie der Rundfunkbeitrag bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Nirgends setzt das BVerfG selbst die Höhe von Steuern und Abgaben fest, schon gar nicht generell und auf Dauer, sondern es fordert dazu die zuständigen Gesetzgeber auf, wenn es bestehende Regelungen für verfassungswidrig hält. Das ist auch konsequent und logisch, weil dem Bürger sonst jeglicher Rechtsschutz verloren ginge, gegen gesetzgeberisches Handeln zu klagen. Das BVerfG kann der Bürger nach Robras Idee schwerlich gegen die vom Gericht selbst vorgenommene Festsetzung des Rundfunkbeitrags anrufen. Der Beschluss vom Juli 2021 und die Festlegung des Rundfunkbeitrags war eine einmalige, zeitlich begründete, dem Finanzierungsgewährleistungsanspruch der Rundfunkanstalten geschuldete Entscheidung, die nicht zur Normalität werden kann.

Novum im Verfassungsrecht

  1. Hinzu kommt, dass die Abschaffung der dritten Stufe eine Änderung des Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrags erfordert, der in Paragraf 7 die Zuständigkeit der Länder für die Beitragsfestlegung auf der dritten Stufe vorschreibt. Robra glaubt selbst nicht, dass dem alle 16 Länderparlamente zustimmen würden, schon gar nicht diejenigen, die Beitragsstabilität um jeden Preis fordern.

  2. Und schließlich: Wie soll das BVerfG zu Robras Idee ermächtigt werden? Durch den Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag? Das werden nicht alle 16 Länder mittragen. Oder durch eine entsprechende Ergänzung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG), für die der Bund zuständig wäre? Oder durch eine Art Selbstermächtigung des Gerichts, die Robra offensichtlich vorschwebt? Das wäre ein absolutes Novum im deutschen Verfassungsrecht. Hier wird das BVerfG nicht mitmachen. Denn es würde sich damit an die Stelle des Gesetzgebers setzen und damit auch seine Unabhängigkeit beschädigen. Es wird sich nicht vor den Karren der Länder spannen lassen, die ihrer föderalen Verantwortung - entgegen der Entscheidung vom Sommer 2021 - in verfassungswidriger Weise nicht nachkommen wollen.

Um den Preis eines Brötchens

Robras Idee ist kein medienpolitischer Paukenschlag. Sie ist letztlich ein Zeichen dafür, dass er aus der föderalen Verantwortungsgemeinschaft fliehen möchte, weil er diese seinerseits für unrealistisch hält. In Zeiten, in denen der unabhängige öffentlich-rechtliche Rundfunk nach breiter Ansicht, auch der des BVerfG, so wichtig ist wie nie zuvor ist, müssen die Länder ihrer Verantwortung für dieses auch verfassungsrechtlich so wichtige System gerecht werden und dürfen nicht auf das BVerfG verweisen, das ihnen ja klare, wenn vielleicht auch nicht beliebte Regelungen zur Finanzierung vorgegeben hat.

Es wundert nicht, dass bislang von keiner anderen Staatskanzlei Robras Idee aufgegriffen und unterstützt wird: Sie ist unrealistisch. Wenn ihnen der öffentlich-rechtliche Rundfunk wirklich wichtig ist, sollten die sechs Länder nicht weiter eine monatliche Beitragserhöhung um den Preis eines Brötchens verweigern, sondern lieber der Bevölkerung vermitteln, dass sie dafür ein sehr breites, vielfältiges und für unsere Demokratie wichtiges Gesamtangebot der Rundfunkanstalten erhält. Dann sind auch so moderate, nicht einmal die Inflation ausgleichende Anpassungen wie der aktuelle KEF-Vorschlag von 58 Cent fest für vier Jahre den Bürgerinnen und Bürgern leichter verständlich und akzeptabel zu machen, die ganz andere Preissteigerungen auf vielen Gebieten, gerade auch der Daseinsvorsorge, hinnehmen müssen.

Jürgen Betz Copyright: Foto: privat Darstellung: Autorenbox Text: Jürgen Betz war bis Januar 2017 Justiziar des Hessischen Rundfunks (HR).



Zuerst veröffentlicht 03.06.2024 09:15 Letzte Änderung: 03.06.2024 09:52

Jürgen Betz

Schlagworte: Medien, Rundfunk, Finanzen, Rundfunkbeitrag, Robra, Sachsen-Anhalt, betz, NEU

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