Mitten im Leben - epd medien

04.06.2024 14:15

"Wissenschaft zum Mitreden" verspricht das ZDF mit der neuen Reihe "Terra X Harald Lesch". "Raus aus dem Studio, rein in die Realität", so das Motto. Für Heike Hupertz geht diese Strategie nur bedingt auf.

Harald Lesch ist wütend

epd Der Begriff Populärwissenschaft hat in Deutschland einen Beiklang des Billigen, immer noch. Dabei ist der Vermittlungsgedanke, die Vermittlungsnotwendigkeit von Forschung in breitere Schichten spätestens seit der Aufklärung, vor allem aber mit dem Aufstieg des Bürgertums als ein Muss der gesellschaftlichen Weiterentwicklung zentral. Populärwissenschaft in Deutschland hatte und behält den Beigeschmack der "Volkserziehung" bis heute.

Dabei blieb und bleibt, neben der Informationsvermittlung, die Bildung ziemlich die einzige Aufgabe der Öffentlich-Rechtlichen, die in den aktuellen Reformvorschlägen sakrosankt ist. Nicht nur das. Konsens scheint, dass das Feld der Wissensvermittlung ausgebaut werden muss. Für die Wissensgesellschaft, die eine starke Demokratie auch sein muss, liegt hier eine wichtige Aufgabe. Aber wie ist sie zu lösen? So viel hat man gelernt: Der professorale Duktus, das Dozieren vom Katheter, ist selbst im - anscheinend - notorisch besserwisserfreundlichen und autoritätsgläubigen Deutschland obsolet. Ich erkläre dir die Welt? Nein, danke. Ich hole dich ab, dort, wo du stehst? Ja bitte, so lautet das Rezept seit einiger Zeit.

Lockere Ansprache, korrekter Gehalt

Dann kam Youtube, vielmehr der Erfolg von naturwissenschaftlichen Erklärvideos bei Jugendlichen. Lockere Ansprache, korrekter Gehalt: Auf jemanden wie die Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim, Youtube-Hit mit naturwissenschaftlichem Hintergrund, hatte das Fernsehhauptprogramm - des ZDF - nur gewartet. Formate wie unterhaltende Wissenschaftsshows, etwa mit Eckart von Hirschhausen, harren der Weiterentwicklung und dem Feintuning.

Das ZDF hat aber noch eine weitere Wunderwaffe der populären Erklärung, seit Langem: Harald Lesch. Der ist zwar ein Professor, aber kein professoraler. Harald Lesch kann erklären, aber belehrt nicht. Wie bei jedem guten Wissensvermittler ist sein Sprachgestus ein aufzeigender, kein nötigender. Lesch ist humorig, locker, steht nicht stocksteif vor der Kamera und macht nicht den Eindruck der Herablassung. Ihm fällt kein Zacken aus der Krone, wenn er Zusammenhänge anschaulich macht.

Mit Lesch und der "Terra X"-Formatfamilie hat das ZDF sich im Bereich der Populärwissenschaft ein erfolgreiches Kompetenzcenter geschaffen. Ein wichtiger Markenkern, der in einer gewissen durchformatierten, leicht flexiblen Machart besteht und verschiedene Präsentatoren hat. Cicerones, denen man Kompetenz abnimmt, und die jeder für sich auf je andere Weise authentisch wirken. Leute, die nie ein Buch von Christopher Clark in der Hand hatten, mögen seine Sendungen zu Religionswissenschaft oder seine "Welten-Saga". Mai Thi Nguyen-Kim spricht die Jüngeren an, ist Älteren manchmal zu flapsig, und Harald Lesch kümmert sich um den Mittelbau der breit Interessierten.

Ein wenig Dynamisierung

Anscheinend ist Lesch dabei nicht mehr zeitgemäß genug, denn jetzt gibt es einen Relaunch seiner "Terra X"-Auftritte, der freilich ein wenig zögerlich und nicht besonders aufregend wirkt. Als hätten externe Berater auf die Notwendigkeit der Verjüngung hingewiesen, gleichzeitig aber davor gewarnt, die Marke zu beschädigen. Also heißt die neue Reihe wenig überraschend nun "Terra X Harald Lesch". Die Veränderungen werden vollmundig bepriesen. "Wissenschaft zum Mitreden" solle es geben: "Professor Harald Lesch zeigt noch deutlicher die Relevanz von Wissenschaft und Technologie für die Gesellschaft und unser aller Leben". Dazu gehe es "raus aus dem Studio, rein in die Realität, wo Wissenschaft täglich erlebt und hinterfragt wird". Das klingt nicht nach Neuerfindung, sondern ein wenig Dynamisierung.

Beim Thema "Streit ums Auto" sieht das so aus: Zu Beginn klingelt das Filmteam beim "Terra X"-Büro, mehrfach, zunehmend genervt. Der Zuschauer kennt das aus zahlreichen Presenter-Dokus: Moderatoren rütteln an Türen von Konzernzentralen und klingeln sich ergebnislos die Finger blutig. Doch heute gibt es keine spontane Stellungnahme zu Missstand XYZ. Auch hier öffnet niemand. Wie versprochen, ist Harald Lesch nicht zu Hause, sondern draußen, im Stau, mitten in unserem Leben.

Wie die meisten wird auch Lesch irgendwann wütend, schlägt auf das Lenkrad. Stillstand und Gefühle werden vom Beifahrersitz gefilmt. Später läuft er am Stau entlang und erklärt zum Lärm der luftverpestenden Motoren dies und das zum Thema Verkehrswende. Er stoppt an einer Haltestelle, wo er aufmerksam den Fahrplan studiert. Doch es dauert noch, bis der Bus kommt. Harald Lesch wartet. Und redet, über den ÖPNV und seine Herausforderungen. Wir sind dabei, warten mit und könnten uns ärgern über die Frequenz des Transports.

Stauvermeidende Ameisenkolonien

Der Film bekommt so einen Hauch von Dokudrama, also der Form, in der dokumentarische Darstellung und fiktionales Nachstellen einander erhellen sollen. Doch die schauspielerischen Qualitäten von Harald Lesch sind begrenzt, seine gespielte Lässigkeit ist eher kontraproduktiv. Interessanter wird es da, wo Einspieler das instinktive Stauvermeiden von Ameisenkolonien erläutern, oder wo das Verkehrsberuhigungskonzept von Barcelona als Beispiel dafür genommen wird, wie sich Menschen ihre Stadt zurückerobern. Ansichten der Sagrada Familia hübschen den Binnenbeitrag auf.

Auch die Archivaufnahmen aus Köln, vor allem die der Nachkriegszeit, in der die autogerechte Stadt auf das zerstörte Weichbild gesetzt wurde, sind erhellend. Das sind allerdings Formatbestandteile, die Harald Leschs "Terra X" seit Langem sehenswert machen. Das Neue, die unablässige Bewegung des Professors draußen, "unter den Menschen", scheint eher ein belangloser Gimmick zu sein, mag aber funktionieren.

Stuben- und Studiohocken hat also ausgedient. Jetzt muss der glaubwürdige Wissensvermittler auch ein Erlebender sein, Emotionen wie Wut vermitteln und, auch das ausgiebig gefilmt, der Expertin Kaffee zubereiten und kredenzen, wenn man dann doch einmal im Büro ankommt. Was nichts zur Sache tut, aber vom guten Umgang miteinander reden soll. Zum Ende allein räumt Harald Lesch dann noch auf, seine gedruckten Bücher. Sie werden gestapelt, weggelegt und nur mehr als Armstütze oder Anlehnmittel verwendet. Ob man beim Relaunchen bemerkt hat, dass das gedruckte Buch nicht nur bei TikTok bei jungen Leuten plötzlich wieder hoch im Kurs steht? Vielleicht ist bald wieder eine Veränderung des Formats fällig. Ob konzentriertes Sitzen dann das neue Gehen ist? Oder lässiges Lümmeln? Wir werden sehen.

infobox: "Terra X Harald Lesch ... und der Streit ums Auto", Regie: Saskia Weisheit, Buch: Liyang Zhao, Kamera: Thorsten Eifler u.a. (ZDF, 21.5.24, 22.45 - 23.15 Uhr, und bis 17.5.29 in der ZDF-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 04.06.2024 16:15 Letzte Änderung: 04.06.2024 16:29

Heike Hupertz

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), Dokumentation, KZDF, Lesch, Hupertz, NEU

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