Interessantes Spiel - epd medien

05.06.2024 10:45

Der "Tatort: Letzter Ausflug Schauinsland" mit den Freiburger Kommissaren Franziska Tobler und Friedemann Berg spielte mit den Krimi-Konventionen und brach sie zugleich. Es war der letzte neue "Tatort" vor der Sommerpause. Erst am 18. August ist wieder ein neuer Film der Krimireihe im Esten zu sehen.

Die Kommissare befragen die Ärztin der forensischen Psychiatrie, Gisela Tausendleben

epd Guckt noch jemand "Tatort"? Ja, natürlich, viele, oft fast zehn Millionen Menschen, doch der Hype ist vorbei. In zehn Jahren wird man den Krimikult vom Sonntagabend vermutlich als Übergangsphänomen betrachten. Einst hatte sich die Gesellschaft mithilfe der ARD parallel zum Verlöschen ihrer ehemaligen TV-"Lagerfeuer" wie "Wetten, dass..?" mit dem allsonntäglichen Krimi noch einmal ein Gemeinschaftserlebnis geschaffen. Und Gesprächsstoff für den ersten Tag der Woche im Büro. Vorübergehend.

Denn die Aufspaltung in Grüppchen schreitet voran. Längst redet man am Kaffeevollautomaten nur mit den beiden Kolleginnen, mit denen man sich über die dritte Staffel von "Bridgerton" und Phänomene wie eine britische PoC-Königin oder eine Übergewichtige als "Love Interest" austauschen kann. Während drei weitere Kollegen (m/w/d) verständnislos daneben stehen - Bridger... - was? Oder, wie schon seinerzeit an der Filtermaschine, über Fußball reden. Wovon man selbst wiederum nichts versteht.

Effektvolles filmisches Mittel

Die Marke "Tatort" hat eine lange Tradition, ist aber angestaubt. So fürchtet man sich bereits vor 90 Minuten Langeweile, als der Freiburg-Krimi gleich am Anfang ein Genre-Klischee nach dem anderen abzuliefern scheint: Frauenleiche im Kofferraum, Kriminalbeamte in weißen Ganzkörperstramplern am Tatort, Gerichtsmedizin. Schon beginnt man einzudämmern, da wird man plötzlich wach. Nanu? Die üblichen Gespräche ("Wo waren Sie zur Tatzeit?" - "Wann haben Sie die Verstorbene zuletzt gesehen?") werden einfach ratzfatz hintereinander geschnitten. Die Genre-Konventionen werden von Regisseur Stefan Krohmer nur zitiert. Ah, dann waren die Langeweiler-Motive vom Anfang wohl auch nur Zitate?

Es entspinnt sich eine mittel interessante Krimigeschichte mit einem wohltuend untypischen Ende: Die Täterin kommt ungestraft davon. Bleiben wir beim Ende, denn hier läuft die Regie zu Form auf: Während sich die Kriminalbeamten - Eva Löbau als Franziska Tobler und Hans-Jochen Wagner als Friedemann Berg - die Lügengeschichte der Verdächtigen anhören müssen, sieht man im Bild, was sich im Widerspruch dazu wirklich ereignet hatte. Ein so einfaches und effektvolles filmisches Mittel, dass man sich wundert, dass es nicht viel häufiger eingesetzt wird.

Die Mörderin Gisela Tausendleben (Ulrike Arnold) schiebt ihre Tat auf ihren drogensüchtigen Chef, der sich praktischerweise gerade umgebracht hat. Tatsächlich hing er mit drin, doch die Mörderin war sie: eine Hochstaplerin, die in der forensischen Psychiatrie als angebliche Ärztin Patienten betreute, Medikamente verordnete und Prognosen erstellte. Das Mordopfer - eine externe Gutachterin - war dem Duo auf die Schliche bekommen. Was sie als Leiche im Kofferraum enden ließ.

Genug falsche Spuren

Der Täter war also nicht etwa der gewalttätige Psychiatrie-Insasse Hansi Pagel (Rüdiger Klink), auch sein erwachsener Sohn (Anton Dreger), der nicht wollte, dass der Vater mithilfe der externen Gutachterin womöglich freikommt und erneut seine Familie tyrannisiert, war es nicht. Unschuldig war ebenso der Zimmergenosse (Bekim Latifi) von Pagel, der immer wieder einen Drachen sieht und seinen Mitbewohner unbedingt behalten wollte. Falsche Spuren gab es also genug, um vor dem Fernseher "Tatort"-typisch mitzuermitteln.

Das südwestdeutsche Kommissar-Duo - männlicher Brummbär nebst beflissener weiblicher Fachkraft - ist hinreichend bekannt, diesmal war es in der "Tatort"-typischen Nebenhandlung damit beschäftigt, den - wörtlich zu verstehenden - Dachschaden von Friedemann Berg zu beheben und dafür die richtige Sorte Ziegel aufzutreiben. Der von Rüdiger Klink gespielte Gewalttäter und Vergewaltiger Pagel, der wegen seines nicht wörtlich zu verstehenden Dachschadens im Maßregelvollzug war, sprach Dialekt und wirkte auch sonst recht authentisch. Ulrike Arnold kaufte man die wackere Ärztin genauso ab wie die Hochstaplerin, die sich hinter dieser Fassade verbarg.

Was Stefan Krohmer hier nach einem Drehbuch von Stefanie Veith abgeliefert hat, lässt sich als ein interessantes Spiel mit den "Tatort"-Konventionen verstehen. Selbst an den "Tatort"-typischen Zusammenfassungen für die nicht so aufmerksamen Zuschauer per Erklärdialog zwischen den Kommissaren fehlte es hier nicht. Dieser "Tatort" hielt so gut wie alle Konventionen ein - und verstieß zugleich gegen sie. Wenn "Tatort" nach mehr als 1.200 Folgen überhaupt noch geht, dann womöglich nur so.

infobox: "Tatort: Letzter Ausflug Schauinsland", Krimi, Regie: Stefan Krohmer, Buch: Stefanie Veith, Kamera: Andreas Schäfauer (ARD/SWR, 20.5.24, 20.15-21.45 Uhr und bis 19.11.24 in der ARD-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 05.06.2024 12:45

Andrea Kaiser

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, KSWR, Tatort, Krimi, Veith, Krohmer, Kaiser

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