Gefühlte Kritik - epd medien

21.06.2024 09:50

In ihrer Dokumentation "Im Griff der Upper Class" berichtet ARD-Korrespondentin Annette Dittert über die Verarmung eines Teils der britischen Bevölkerung und die Privilegien des Adels. Die Doku bietet pittoreske Ansichten aus der Welt der Reichen, macht aber nicht deutlich, wieweit diese tatsächlich für die Armut im Land verantwortlich sind.

Die Korrespondentin Annette Dittert berichtet seit Jahren für die ARD aus London

epd Die Krönung von Charles III., im vergangenen Jahr ein weltweites Medienereignis, verdeutlichte einmal mehr: die britischen Royals sind extrem populär. Dieser Glanz steht im Gegensatz zur bitteren Armut, von der laut Weltgesundheitsorganisation WHO 20 Prozent aller Briten betroffen sind. Tragen die Royals und mit ihnen die saturierte britische Aristokratie an dieser sozialen Schieflage eine Mitschuld? Diese These vertritt die Londoner ARD-Korrespondentin Annette Dittert. Gemeinsam mit Ko-Autorin Kira Gantner hat sie reportageartige Streiflichter, in denen der Glamour des britischen Adels und soziale Brennpunkte Nordenglands aufeinanderprallen, zu einer Dokumentation verarbeitet.

Ausgestrahlt wurde der Film in der ARD-Reihe "Weltspiegel Doku". In dem Format berichten Korrespondenten aus zahlreichen Ländern über Gesellschaft, Kultur und Politik. Dittert trifft zu Beginn in der nordenglischen Stadt Sheffield auf Menschen, denen man die prekäre Situation, in der sie leben, auf den ersten Blick nicht ansieht. Die Armut vieler Briten, die sich laut Dittert in den vergangenen Jahren verschärft hat, wird diskret bebildert, der Film verzichtet auf telegenen Elendsvoyeurismus. Doch Frauen erzählen, dass sie ihre Haare mit kaltem Wasser waschen. In manchen Gegenden Englands haben Menschen nicht einmal mehr das Geld, um ihre Toten angemessen zu bestatten.

Es glitzert und funkelt

Dann erfolgt ein Sprung in das hochherrschaftliche Schloss Holkham Hall, eine britische Sehenswürdigkeit. Dessen Besitzer, Sir Thomas Coke, empfängt Dittert mit coolem Understatement. Was der Adlige genau mit der Armut in Nordengland zu tun hat, erschließt sich nur indirekt durch die Bildauswahl. Um ihn herum glitzert und funkelt es. Solche kontrastreichen Eindrücke akzentuieren den Gegensatz zwischen Reich und Arm auf emotionale Weise. Auf die Armut seiner Landsleute angesprochen, erklärt Sir Thomas Coke, im Moment gebe es "viele, die nicht arbeiten, weil sie genug staatliche Unterstützung bekommen".

Konkreter wird die Kritik an der britischen Aristokratie bei einem Besuch in Wales, wo drei Millionen Menschen in Armut leben. Eine Vertreterin der Sozialistischen Partei deutet mit dem Finger auf einen Offshore-Windpark vor der Küste. An dessen Profiten ist Wales aber nicht beteiligt. Der Meeresboden vor der Küste, auf dem die Windräder stehen, gehört nämlich der Krone, die sich diese Pfründe vor Jahren schon sicherte. Im Gespräch mit einem Journalisten des "Guardian" erfährt Dittert, dass die Windsors alle Gesetze, die finanzielle Nachteile für sie haben könnten, schon vor ihrer Verabschiedung einsehen und auch verändern können. Doch ein konkreter Fall wird nicht angeführt.

Flegelhaftes Verhalten

Ein Höhepunkt des Films ist der Blick in das britische Oberhaus, in dem Aristokraten dank Geburtsrecht politischen Einfluss ausüben. Im März dieses Jahres wurde eine Bürgerliche feierlich in diese ehrwürdige Institution aufgenommen. In den Adelsstand erhoben, trägt die 27-jährige walisische Politikerin Carmen Smith nun den Namen Baroness Smith von Llanfaes. Die Mitte-Links-Politikerin wird ihre meist blaublütigen Kollegen, deren Durchschnittsalter bei 72 Jahren liegt, wohl aufmischen. Allerdings übt das House Of Lords seit langem schon nur noch beratende Funktion aus. Gesetze kann es nicht verhindern. Das hätte der Film deutlicher artikulieren können.

Dittert und Gantner werfen noch einen Blick auf die Universitätsstadt Oxford. Drei Viertel aller britischen Premierminister durchliefen dort die Kaderschmieden der Elite-Bildungseinrichtungen, auch Ex-Premierminister Boris Johnson. Als ehemaliges Mitglied der ebenso elitären wie berüchtigten Studentenverbindung Bullingdon Club tat er sich durch flegelhaftes Verhalten und Vandalismus hervor. Doch diese Stimmungsbilder sind begrenzt informativ.

Zu Gast in der prestigeträchtigen Oxford Union wirft der Film einen Blick auf die Tradition des berühmten Debattierclubs. In dieser Institution erprobten Generationen britischer Spitzenpolitiker das Reden. Tatsächlich gelernt werde hier, "inhaltliche Debatten als Schauspiel zu inszenieren", merkt Dittert despektierlich an. Es gehe nur ums Gewinnen - und "nicht darum, inhaltliche Ideale und Positionen zu vertreten". Vor der Kamera betonen zwei Studenten der Oxford Union, beide mit Migrationshintergrund, wie sehr die elitäre Einrichtung sich gegenwärtig verändere. Positiv hebt Dittert das Mansfield College hervor, die einzige Institution in Oxford, in der auch Angehörige unterer sozialer Schichten ihre Chance erhielten.

Ressentiment gegenüber der Oberschicht

Befinden sich die Briten also tatsächlich, wie der Titel behauptet, "Im Griff der Upper Class"? Ein Streetworker aus Burnley, einer der ärmsten Städte Englands, will das so nicht stehen lassen: "Wenn man die Monarchie wegnehmen würde und nur noch den Staat hätte, das wäre gefährlich." Auch Dittert votiert in ihrem Fazit nicht für eine Abschaffung der Aristokratie. Das wäre "das allerletzte, wonach den Briten momentan zumute ist". Lichtblicke gebe es schon: "Die britische Gesellschaft ist so viel diverser geworden."

Diese Bilanz mutet am Ende etwas vage an. Über die wirtschaftliche Entwicklung, die Verarmung der Briten erfährt man wenig. Inwiefern Aristokraten an dieser Verarmung schuld sind und die Unterschicht tatsächlich unter dem Brexit leidet, wird nur angedeutet. Der Film lässt sein Ressentiment gegenüber der Oberschicht wortreich anklingen, doch mit ihrer Bildauswahl vermitteln Dittert und Gantner eine eher gefühlte Kritik an der britischen Aristokratie. Kurzweilig ist die 45-minütige Doku dank vieler pittoresker Innenansichten aus der Welt des Adels durchaus. Nur die dramatische Musikuntermalung ist zuweilen gewöhnungsbedürftig.

infobox: "Im Griff der Upper Class", Dokumentation, Regie und Buch: Annette Dittert, Kira Gantner, Kamera: Erik Haasdonk, Kira Gantner (ARD/NDR, 16.6.24, 19.15-20.00 Uhr und in der ARD-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 21.06.2024 11:50

Manfred Riepe

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, Dokumentation, Dittert, Gantner, Riepe

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