24.06.2024 07:42
Erich Salomon wurde vor 80 Jahren in Auschwitz ermordet
epd Er braucht nicht nur Geduld und Stehvermögen, sondern auch Chuzpe, um an seine Bilder zu kommen. Als deutsche und französische Minister in Den Haag über die deutschen Kriegsschulden verhandeln, steht Erich Salomon stundenlang hinter einer spanischen Wand und fotografiert unbemerkt die Teilnehmer der Sitzung. Als der Mann mit der Kamera hinter dem Wandschirm schließlich doch entdeckt wird, ist es zu spät, um die Veröffentlichung der Fotos zu verhindern. Auf einer der Aufnahmen sieht man, wie einige Minister zu nächtlicher Stunde bereits tief in ihre Sessel gesunken und eingenickt sind.
Die Episode im Januar 1930 kennzeichnet die Arbeitsweise des Bildjournalisten Erich Salomon. Der französische Außenminister Aristide Briand (1862-1932) nennt ihn einmal scherzhaft den "König der Indiskretionen". So erzählt es Salomon in seinem 1931 erschienenen Bildband "Berühmte Zeitgenossen in unbewachten Augenblicken". Oft fotografiert er mit "versteckter Kamera". Wo er keine Erlaubnis erhält, verschafft er sich unerlaubt Zutritt oder greift zu einer List.
zitat: Eine ganz andere Wirkung als der nackte Text
Erich Salomon zählt zu den Pionieren der Pressefotografie und gilt als einer der Begründer der modernen Bildreportage. Anfang der 30er Jahre ist er auf dem Höhepunkt seines Schaffens angekommen. Der promovierte Jurist hat es innerhalb weniger Jahre zu internationaler Bekanntheit gebracht, erst seit 1928 ist der Autodidakt als professioneller Fotograf tätig.
Populäre Massenblätter wie die "Berliner Illustrirte Zeitung" des Ullstein-Verlages, die Ende der 20er Jahre eine Auflage von fast zwei Millionen Exemplaren erreicht, nutzen das noch junge Medium Fotografie, um ihre Auflagen zu steigern. Auch Salomon hat erkannt, dass das Bild zu einem der wichtigsten Faktoren im Journalismus geworden ist und "eine ganz andere Wirkung als der nackte Text" hat.
Salomon, am 28. April 1886 in Berlin geboren, entstammt einer wohlhabenden jüdischen Bankiersfamilie. Als Fotograf ist er ein begabter Quereinsteiger. Er hat sich zuvor in anderen Berufen versucht, unter anderem als Börsenmakler, Taxiunternehmer und Werbefachmann im Ullstein-Verlag, wo er zu fotografieren beginnt. Seinen Durchbruch als Pressefotograf hat er 1928 bei einem Prozess gegen einen Polizistenmörder. Heimlich macht er Aufnahmen im Gerichtssaal. Seine Kamera hat er unter einem Hut verborgen, in den er ein Loch für das Objektiv geschnitten hat.
Salomon macht sich rasch einen Namen als Bildberichterstatter. Seine Fotos seien "von einer bis dahin völlig unbekannten Intensität und Intimität des Blicks geprägt", so das Urteil des Fotoexperten Janos Frecot. Damit habe er den Bildjournalismus "auf ein neues Niveau" gehoben. Teil des Erfolges von Erich Salomon waren laut Frecot sein sicheres Auftreten und seine gesellschaftliche Gewandtheit. Er ist ein Mann von Welt, der mehrere Sprachen beherrscht. Zu vielen Terminen erscheint er im Frack oder im Smoking.
Ob im Reichstag, auf internationalen Konferenzen oder bei Sitzungen des Völkerbundes in Genf, stets ist der Mann mit der Halbglatze und dem wachen Blick hinter der runden Hornbrille auf der Jagd nach einem gelungenen Schnappschuss. Er verzichtet auf die üblichen gestellten Fotos von Personen in steifer Pose. Salomon beherrscht die Kamera und nutzt die modernste verfügbare Technik. Neue Kameras mit lichtstarken Objektiven ermöglichen ihm Fotos in geschlossenen Räumen ohne Blitzlicht.
Um nah am Ort des Geschehens zu sein, sucht er Kontakt zu führenden Politikern wie Reichstagspräsident Paul Löbe oder Reichskanzler Hermann Müller, die seine Arbeit unterstützen. Von Müller erhält er sogar ein Empfehlungsschreiben. Darin bescheinigt der Kanzler seinen Bildern "den Reiz vollkommener Natürlichkeit". So erlangt Salomon privilegierten Zugang zu den Räumen des Reichtstags oder zu internationalen Konferenzen.
Als fotografischer Beobachter des Zeitgeschehens sei Salomon oft geschickt in abgeschirmte Räume vorgedrungen, heißt es in einer Würdigung der Deutschen Gesellschaft für Photographie. Oft gelingen ihm Aufnahmen von prominenten Persönlichkeiten, ohne dass diese es bemerken. So sieht man Außenminister Gustav Stresemann während einer Zugfahrt nach Paris im Gespräch mit Mitarbeitern oder allein an einem Tisch im Reichstagsrestaurant. Durch eine halb offene Tür im Reichstag lichtet der Fotograf den Reichskanzler Müller bei einer Besprechung mit zwei Staatssekretären ab.
Die Pressefotografie wurde durch ungestellte Bilder wie die von Salomon während der Reparationskonferenz in Den Haag "einerseits demokratischer und authentischer, andererseits aber auch rücksichtsloser und zynischer", wie der Kultur- und Medienwissenschaftler Hans-Dieter Kübler schreibt. "Solche Fotos markieren eine völlige Umkehr der publizistischen Behandlung von Autoritäten in der Öffentlichkeit", analysiert Kübler.
"Mit seinen Porträts prominenter Persönlichkeiten bediente er nicht nur die Neugier der Leserschaft, sondern auch die Erwartungen der illustrierten Presse, die die Society-Fotografie als Mittel zur Auflagensteigerung entdeckt hatte", schreibt der Historiker Andreas Biefang. Die von Salomon entwickelte Bildsprache sei leicht verständlich und konsumierbar gewesen, was zu seinem Erfolg beim Publikum beigetragen habe. Vor allem habe die Zeitgenossen aber der fotografische "Blick hinter die Kulissen" fasziniert.
Salomons Schwarzweißaufnahmen sind ein Panorama der Zeitgeschichte der späten Weimarer Republik. Neben Politikern nimmt er Künstler und Intellektuelle auf, wie den Maler Max Liebermann, den Theaterkritiker Alfred Kerr, den Komponisten Richard Strauss und die Dirigenten Bruno Walter und Wilhelm Furtwängler.
Auch bei Reisen nach England und in die USA entstehen viel beachtete Aufnahmen. Im Internierungslager Ellis Island vor den Toren New Yorks fotografiert er illegale Einwanderer und deren Kinder. Der Boxer Max Schmeling, der sich zum Training in den USA aufhält, zählt ebenso zu den von Salomon abgelichteten Prominenten wie der Zeitungsverleger William Randolph Hearst. Auf einer Bilderserie sieht man die Filmschauspielerin Marlene Dietrich, die bäuchlings auf dem Bett liegend aus Hollywood mit ihrer Tochter in Berlin telefoniert.
Als die Nationalsozialisten im Januar 1933 an die Macht kommen, bedeutet das eine jähe Zäsur für die berufliche Existenz des jüdischen Fotografen. Zusammen mit seiner aus den Niederlanden stammenden Frau Maggy und dem jüngeren Sohn Dirk geht er ins Exil nach Den Haag. Dort gelingt ihm nach einer längeren Zeit der Krankheit und Depression ein beruflicher Neustart und er erhält wieder Aufträge. Als erster Bildjournalist bekommt er 1936 die Erlaubnis, Debatten im niederländischen Parlament zu fotografieren. Sogar vom niederländischen Königshaus darf er Aufnahmen machen.
Doch Salomons berufliches Comeback ist nicht von Dauer. Die Besetzung der Niederlande durch die Deutschen im Mai 1940 beendet endgültig seine Arbeitsmöglichkeiten. Die Familie muss untertauchen, wird aber 1943 von der Gestapo aufgespürt und verhaftet. Über die Umstände ihrer letzten Lebensphase und Deportation ist wenig bekannt. Über Westerbork und Theresienstadt führt ihr Weg in die Gaskammern von Auschwitz. Das Rote Kreuz vermerkt den 7. Juli 1944 als Tag der Ermordung von Erich Salomon, der nur 58 Jahre alt wird.
Als einziges Familienmitglied überlebt Salomons älterer Sohn Peter Hunter (eigentlich Erich Otto Salomon, 1913-2006) in London den Holocaust. Er kann nach dem Krieg einen erheblichen Teil des von Erich Salomon versteckten Bildmaterials retten. Das Land Berlin hat den fotografischen Nachlass Salomons 1980 erworben. In der Fotografischen Sammlung der Berlinischen Galerie werden mehr als 10.000 Glas- und Filmnegative, Diapositive und Reproduktionen aufbewahrt und wissenschaftlich erschlossen.
Vor der langjährigen Wohnung der Familie Salomon in der Hölderlinstraße 11 in Berlin-Charlottenburg erinnert seit 2006 ein Stolperstein an den berühmten Fotografen, zwei weitere wurden für seine Frau Maggy und Sohn Dirk verlegt. Jedes Jahr vergibt die Deutsche Gesellschaft für Photographie den Dr. Erich Salomon-Preis.
Copyright: epd-bild/Heike Lyding Darstellung: Autorenbox Text: Jürgen Prause ist Redakteur in der epd-Zentralredaktion.
Zuerst veröffentlicht 24.06.2024 09:42 Letzte Änderung: 25.06.2024 11:33
Schlagworte: Medien, Fotografie, Geschichte, Salomon, Prause, NEU
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