13.07.2024 08:20
Gespräch mit Jürgen Doetz und Eva Flecken über den privaten Rundfunk
Torben Klausa: Ich freue mich nun auf das erste Gespräch unseres Nachmittags und zwar mit zwei Personen, von denen Sie die eine heute bereits gesehen und vom anderen zumindest schon gehört haben. Gemeinsam mit beiden möchte ich gerne auf diese 40 Jahre zurückblicken und die Brücke schlagen in das, was uns heute als Herausforderungen in der Medienordnung und Medienwelt bevorsteht oder dem wir gegenüberstehen. Ich bitte auf die Bühne Eva Flecken und Jürgen Doetz. (…)
Herr Doetz, wir haben uns heute kennengelernt (…). Sie haben so diverse und verschiedene Stationen im Lebenslauf, dass Sie eigentlich bei der Veranstaltung alle verschiedenen Perspektiven bestreiten können als Ansprechpartner. Sie haben angefangen als Pressejournalist, waren Pressereferent, und dann stellvertretender Landesregierungssprecher in Rheinland-Pfalz, Sie waren Geschäftsführer der PKS Programmgesellschaft für Kabel und Satellitenrundfunk, in welcher Funktion Sie die legendären Worte 1984 sprachen. Sie waren jahrelang in der Geschäftsführung von Sat.1 und später ProSiebenSat.1 und 16 Jahre Präsident des Verbands Privater Rundfunk und Telekommunikation, der heute Vaunet heißt. Wenn Sie zurückblicken auf 1984 und die ganzen folgenden Jahre: Wie haben sich die Befürchtungen und Hoffnungen, die Leute dem Privatfunk gegenüber hatten und haben, verändert?
zitat: Ein Schub, der zumindest die technischen Voraussetzungen verbesserte
Jürgen Doetz: Also ich fange mal mit den Befürchtungen an. Die lauteste Stimme in meiner Erinnerung war die des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt am Beginn der Diskussion, der keine Gelegenheit ausließ, davor zu warnen, dass unsere Gesellschaft hintaumelt in eine Gefahrensituation, die schlimmer sei als die Atomkraftwerke. Gegen solche Argumente konnte man damals schwer ankommen. Aber es war irgendwo auch eine Motivation. Wenn jemand so losballert, kann das auch den Reiz fördern, was hinzustellen. Das hat dann natürlich zur Folge, dass jeder bessere Verband sich eine Medienkommission zuordnete und diskutierte, ob es das geben soll, das Privatfernsehen, wenn das so schlimm ist für die Gesellschaft.
Andere fingen damals aber schon an (…) zu sagen: Wir wollen aufgrund der technologischen Möglichkeiten, die es jetzt gibt … - die Voraussetzung für die Veranstaltung von privatem Rundfunk war, dass es mehr Verbreitungswege gibt als die bisherigen Verbreitungswege für ARD und ZDF, sprich terrestrische Frequenzen. Das war die Kabelentwicklung, die Satellitenentwicklung. Jeder reiste irgendwann mal nach Amerika, um zu gucken, wie da das Mediensystem funktioniert. So wie heute, wenn alle nach Kalifornien gehen müssen, um sich erklären zu lassen, wie die nächste Stufe gegangen ist. Aber es kam Bewegung rein in die ganze Diskussion mit dem Schlagwort "Wir wollen Programmvielfalt, wir wollen Anbietervielfalt, wir wollen Wettbewerb und wir wollen Arbeitsplätze". Das war die positive Erwartung, die es in Rheinland-Pfalz auch gab.
Es gab innerhalb der Union, die grundsätzlich positiv dieser Entwicklung entgegensah, auch eine andere Fraktion, das war die Gruppe "Wir wollen Schwarzfunk statt Rotfunk", die war stärker in Nordrhein-Westfalen beheimatet. Dass es in Rheinland-Pfalz stärker darum ging, Privatfernsehen anbieten zu wollen, hing natürlich auch damit zusammen, dass der dortige Ministerpräsident auch gleichzeitig Vorsitzender des Verwaltungsrats des ZDF ist und der natürlich eine andere Darstellung nach außen braucht als ein Hardliner. Also die Erwartungen waren gespalten, aber man wusste, es ist nicht zu verhindern, auch nicht, wenn Schmidt immer wieder dagegen donnerte. Aber was die Verkabelung und so weiter betrifft, war der Regierungswechsel in Bonn, als Kohl Schmidt nachfolgte, ein Schub, der zumindest die technischen Voraussetzungen verbesserte.
zitat: Das Gefüge zwischen Aufsicht und Regulierung hat sich verändert
Klausa: Vielen Dank. Das war schon der erste inhaltliche Rundumschlag. Auf die technischen Möglichkeiten kommen wir gleich noch zu sprechen. Eva, so ein neues Medium kann man vielleicht nicht verhindern, aber man kann und sollte es vielleicht auch regulieren. Wie ruckelt sich so was denn zwischen Kooperation und Konfrontation fest? Manchmal hat man den Eindruck, man versteht sich ganz gut mit Regulierungsbehörden, an anderer Stelle knirscht es dann wieder. Wie startet man so was?
Eva Flecken: Ich glaube grundsätzlich, Medien zu verhindern ist nie ein guter Ratgeber, ganz im Gegenteil. Man sollte eher schauen, dass man die Medienvielfalt sichert. Dazu gehört Anbietervielfalt, dazu gehört eine Vielfalt der Meinungen, also the more the merrier. Das Gefüge zwischen Aufsicht und Regulierung - es wird den einen oder anderen jetzt überraschen, dass ich 1984 nicht schon studierte Was-auch-immer war, ich habe das jetzt eher in der Retrospektive noch mal verfolgen dürfen - hat sich verändert. Zu Beginn ging es natürlich um knappe Kapazitäten. Einige der ehemaligen Direktoren sitzen ja auch hier, die wissen viel, viel besser als ich, was damit gemeint ist. Es gab ein rares Gut, da wollte auch Herr Doetz rein, ins analoge Kabelnetz. Und dafür brauchte es Regeln. Das war die Geburtsstunde der Regulierung, nämlich die Regulierung von knappen Ressourcen. Und das hat sich über die Jahre natürlich massiv verändert.
Es sind andere Regulierungsschwerpunkte hinzugekommen: Werbung, Programmaufsicht. "Arabella", "Big Brother", das waren schon große Aufreger. Also man kam auch im Bereich der Aufsichtstätigkeit zu neuen Fragestellungen, zu neuem Tätigwerden.
Durch die Digitalisierung ist, so ist mein Eindruck, auch dieses alte Spannungsfeld zwischen privaten Sendern auf der einen Seite und den strengen Medienwächtern auf der anderen Seite, eher dahin gekommen, dass man gemeinsam festgestellt hat: Wir haben neue Gatekeeper, und wie wollen wir uns denen gegenüber gemeinsam aufstellen, um Sorge zu tragen, dass auch die Medienanbieter, die es vielleicht schon ein paar Jahre länger gibt, noch eine Möglichkeit haben, auf diesen Wegen stattzufinden.
zitat: Die Denke, Rundfunk ist was Besonderes, hat sich damals auch bei den Privaten implementiert
Doetz: Sie müssen ja daran denken: Angesetzt waren wir als Kabelpilotprojekte. Was ist ein Kabelpilotprojekt? Wenn zwei verschiedene Meinungen da sind, keiner die Mehrheit hat und man sagt: okay, man vertagt die Entscheidung. Aber kein Mensch dachte, dass das vier Jahre hält. Das war die ursprüngliche Vision. Nach zwei Jahren hat man diese Schimäre vom Kabelpilotprojekt zu den Akten gelegt, weil die ersten Länder schon Gesetze hatten zur Einführung des privaten Rundfunks. Aber es war natürlich eine Position, wo man sich den Regeln des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht entziehen konnte, die da hießen Aufsicht. Wir waren, gerade auch wenn ich die älteren "Inspektoren" von damals hier sehe, immer in der guten Situation, dass sie sich bewusst waren, dass sie nicht die Entwicklung des privaten Rundfunks verhindern oder blockieren sollen.
Der Anspruch war da: Wir wollen hier regulieren, wir wollen nicht irgendwelchen Wildwuchs haben, aber sie waren eigentlich immer Partner in diesem System. Und im Nachblick sage ich: Es wäre ohne die nicht alles so gelaufen, wie es gelaufen ist. Sicher gab es immer ein paar, die sagten: "Um Gottes willen, muss das jetzt auch bei uns sein, das ist doch unser Geld" und wie auch immer, aber die Denke, Rundfunk ist was Besonderes, hat sich damals auch bei den Privaten implementiert. Das ist eine Entwicklung, die bis zur heutigen Diskussion über Demokratie (…) hineinragt. (…)
Offiziell hat man natürlich immer gejammert. Sie müssen sich vorstellen, wir hatten sonntags keine Werbung aus Rücksicht auf die Gesellschaft. Wir beendeten jeden Abend das Programm mit der Nationalhymne, das war schon sehr staatstragend. Schon unser Anfang - gerade im Blick auf den Bundeskanzler - war: wir fangen mal an mit Händel, der Tag endet mit Beethoven. Was wollt ihr mehr? Sicher war das nicht das, was die Zuschauer erwartet haben - aber leidiges Thema. Aber grundsätzlich sind wir mit der Regulierung, was die Landesmedienanstalten betrifft, unter dem Strich ganz gut weggekommen. Schlimmer wurde es dann, als die Medienpolitiker nicht das gemacht haben, was sie hätten machen sollen.
Klausa: Ich nehme das als Lob mit und das Jammern können wir ja den Kolleg*innen überlassen, die nachher vielleicht noch auf diesem Panel sitzen. Das finde ich gut. Vielleicht, um einmal vom Zauber des Anfangs der Regulierung auf den Zauber des Anfangs des Sendens zu blicken: Wenn ich das richtig verstanden habe, haben Sie damals die PKS ohne besonders viel Erfahrung im Fernsehen auf den Weg gebracht und ein paar Schnupperwochen beim ORF in Österreich gemacht.
Doetz: Ein halbes Jahr ...
zitat: Die Vorgeschichte war nicht gerade sehr förderlich
Klausa: Ein halbes Jahr. Es klingt trotzdem aus heutiger Perspektive noch ein bisschen hemdsärmelig. Oder täuscht das? Tue ich Ihnen Unrecht?
Doetz: Es begann ja nicht gleich mit dem Knall, ich sag mal Knall mit Verzögerung in Ludwigshafen. Ich habe bei der PKS als 001 angefangen zwei Jahre vorher, was schon deutlich macht, dass es da Leute gab, für die Ludwigshafen eigentlich nur das Nadelöhr war, durch das man gehen musste, wenn man mal privaten Rundfunk in Deutschland anbieten soll. Wir hatten eine Vorgeschichte, die begann, wenn man so will, 1975. Da gab es eine Anstalt für die Ermittlung des Kommunikationsbedarfs in der Bundesrepublik Deutschland. Die hat festgestellt, es gibt Kabel, es gibt Satellit, das kommt irgendwann auch nach Deutschland und da sollte man doch vielleicht Erprobungsphasen machen. Und von 75 bis 84 hatten wir eigentlich eine ständige Diskussion, auf und ab, wie man das juristisch regelt, wie die Gesellschaft das verkraftet. Also es war nicht so, dass da irgendwo eine Landesmedienanstalt ein halbes Jahr vorher gesagt hat, lass uns mal an Silvester anfangen.
Die Vorgeschichte war nicht gerade sehr förderlich für den Enthusiasmus, aber das war der Politik geschuldet. Das hieß auch, dass man begriffen hat, es ist eine politische Entscheidung. Ein halbes Jahr vor dem Starttermin hat es das erste Mal eine Veranstaltung gegeben, wo dann die Bewerber eine Rolle spielten. Die durften sich in Schifferstadt vorstellen.
Flecken: Wie viele Bewerber gab es?
Doetz: Hundert, aber es hatte natürlich einen Reiz, dass Beckenbauer kam und sein Manager was von Sportkanal redete. Also insgesamt war das so ein Schuss Goldgräberstimmung. Aha, da kommt jetzt was, in Amerika ist das privat, da kann man Geld verdienen. Das war ganz lustig, aber das Problem war, dass erst Mitte Dezember, also 14 Tage vor dem Start die Versammlung der Anstalt für Kabelkommunikation beschlossen hat, wer jetzt die Frequenzen in Ludwigshafen nutzen darf.
Gut, wir waren ganz gut vorbereitet. Wir wussten, dass das klappen wird. Wir hatten unsere Arbeit gemacht mit den Verlagen, da hatte die Politik so eine Zwangsheirat organisiert, Zeitungsverlage plus Kirch ist gleich ein Kanal. Aber die Vorgeschichte war so angelegt, dass die Probleme deutlich wurden, dass es viel Enthusiasmus bei denen gab, die direkt beteiligt waren, aber bei uns hieß es: Endlich! Also nicht 'Wow, ganz toll!' Endlich war es so weit, nach diesen anderthalb Jahren. Das war, wenn man elf Jahre als Journalist gearbeitet hat, dann bei Ministerpräsident Vogel Beamter auf Lebenszeit ... - unter heutigen Gesichtspunkten hat das einen anderen Stellenwert. Ich bin da raus, weil ich nicht wie andere Pressesprecher beim ZDF landen wollte (...).
Klausa: Da haben Sie ja Glück gehabt, das ZDF ist Ihnen erspart geblieben …
Doetz: Der Vorschlag Doetz kam bei Kirch durch den Programmdirektor des ZDF an …
zitat: Es muss diskriminierungsfrei sein
Klausa: Eva, wir haben schon über die Knappheit der Ressourcen gesprochen, die Goldgräberstimmung hat Herr Doetz gerade angesprochen. Man hört, es gibt Ähnlichkeiten und große Unterschiede zu der Situation, in der wir jetzt gerade stecken. Man hat einerseits das Gefühl, es ist sehr viel Goldgräberstimmung in digitalen Medien, Telemedien und so weiter, andererseits ist da nichts, was knapp wäre - vielleicht die Aufmerksamkeit des Publikums. Wie ist das aus deiner Perspektive? Lässt sich der Zauber des Anfangs der Regulierung damals und heute vergleichen oder würdest du sagen, das ist was ganz anderes?
Flecken: Ich glaube, die Regulierung 1984 oder für einige von uns ein bisschen später hat erst mal in der Praxis relativ wenig mit dem zu tun, was wir heute machen. Das hat viele Gründe, aber es hat natürlich auch was damit zu tun, wie sich die Medienwelt heute darstellt. Ich weiß gar nicht, ob alleine Aufmerksamkeit das knappe Gut ist. Es gibt zum Beispiel immer so was wie einen ersten Bildschirm oder es gibt die erste Seite von Suchergebnissen. Wenn man so möchte, ist auch das knapp, denn es gilt das alte Sprichwort, was auf der zweiten Seite ist, ist bestens versteckt. Ich glaube, daher gibt es schon weiterhin Analogien und aus guten Gründen neue Regulierungsadressaten. Dass sich die Regulierung ändert, dass wir im Hinblick auf Verhältnismäßigkeit nicht sagen, wie damals bei den analogen Kabelplätzen: Du kommst rein und ihr 99 kommt nicht rein, sondern dass man Grundsätze festschreibt. Das heißt, es muss diskriminierungsfrei sein, die Art und Weise, wie aggregiert und selektiert wird, muss transparent sein. Der Gedanke dahinter ist eigentlich der gleiche.
Klausa: Das Beispiel mit den digitalen oder den großen Plattformen finde ich ganz passend, weil es auch aufzeigt: Wir sind mal sehr lokal oder regional gestartet in den Ländern mit den jetzt 14 Medienanstalten. Manche sagen, das wirkt heute gegenüber großen globalen Konzernen ein bisschen aus der Zeit gefallen und es war auch relativ schnell mit Blick auf den privaten Rundfunk so, dass man nicht in einzelnen Ländern gesendet hat, sondern deutschlandweit Verbreitung gesucht hat. Wonach sucht man denn als Sender aus, wo man gerne reguliert werden möchte in Deutschland?
zitat: Das war Feilschen at its best, es war ein Jahrmarkt
Flecken: Das hat doch nichts mit dem Wirtschaftsstandort zu tun - oder?
Doetz: Ich sehe die nationale Verbreitung erst am Schluss, wir starteten natürlich regional. Der ganze Weg bis dahin war praktisch nur erfolgreich in einem föderalistischen Gemeinwesen zu regeln. Wenn eine Gruppe sich durchgesetzt hätte, wäre es so oder so schwierig geworden. So musste man irgendwann einen Kompromiss finden. Und das war meines Erachtens auch zwingend notwendig, aber dann ging es in den Ländern los. Wir waren in Rheinland-Pfalz. Die deutsche Satellitenverbreitung begann drei Monate später über einen Fernmeldesatellit nach München, dann kam schon mal Bayern dran. Und dann wurden die Kabelnetze erschlossen, aber es bedarf immer der Unterstützung der bis dahin vorhandenen Landesmedienanstalten.
Dann kam irgendwann die Entwicklung der terrestrischen Frequenzen. Das war der Schlusspunkt. Bis 1990 haben wir gebraucht, um eine Reichweite in Deutschland zu haben, wo man zumindest von einem flächendeckenden Angebot sprechen konnte, also von einer technischen Reichweite. Da wurde aber in den Ländern gefeilt, bis es nicht mehr ging, weil die Entscheidung über die terrestrische Verbreitung war Sache der Länder.
Wir sind gerade in Berlin: Die terrestrische Frequenz in Berlin war die umworbenste, weil die Reichweite groß war beim Sender vom Schäferberg. (...) Das war damals so ein harter Punkt. Und die Medienanstalt saß zusammen im Europa-Sender und hat Thoma angehört, hat mich angehört und was wir denn als Engagement im Land hier vorsehen können. Dann kam das Regionalprogramm irgendwann. Die Regionalprogramme verdanken ihre Geburtsstunde der terrestrischen Verbreitung als zweitem Verbreitungsweg (…). Und dann reichte es noch nicht so gut aus meiner Sicht für uns. (…) Ich bekam einen Hinweis: Du musst schon noch was drauflegen. Habe ich also in München bei Kirch angerufen und gesagt: Ich muss was drauflegen, kam die Rückmeldung: Egal, mach's. Dann habe ich Hege angerufen und habe gesagt: Eine Produktionsgesellschaft mit einem Volumen von 30 Millionen Mark lege ich drauf. Dann hatten wir die Berliner Frequenz, dann ging das in den Ländern so weiter.
In Sachsen, nach der Einigung, mussten wir dann sorbische Programme anbieten. In Schleswig-Holstein musste die dänische Minderheit bedient werden. Das war Feilschen at its best, es war ein Jahrmarkt. Am Schluss war man nicht mehr abhängig von denen und heute haben wir die Situation, wo die technische Verbreitung nicht mehr das Thema ist (…) Was damals mit dem Kabel begann, ist jetzt mit der Digitalisierung erneut ein Thema geworden: Technik treibt Inhalte. Am Anfang waren wir immer der Meinung: Content is King. Ich bin ganz stolz rumgelaufen und habe das jedem erzählt. Nur sehr erfolgreich war das nicht, weil wir irgendwann mit der Technik das Verbreitungsinstrument erarbeiten sollten. Also da ist einiges zu beobachten, was heute wieder Gültigkeit hat.
Klausa: Ich finde es spannend, dass Sie sagen, das war ein Jahrmarkt. Ich nenne es mal freundlich: der Wettbewerbsgedanke im föderalen Deutschland. Wie viel Jahrmarkt ist denn heute noch übrig? Oder: Was muss ich drauflegen? Das hat so was von Fischstand.
Flecken: Ich sehe ganz nervöse Gesichter bei meinen Kollegen. Das ist der Zeitpunkt, an dem ich für alle sage: Nee, so läuft das nicht mehr. Insofern hat die Digitalisierung und dass wir es eben nicht mehr mit knappen Kapazitäten zu tun haben, was Gutes, damit solche Feilschereien nicht mehr passieren. Ich kann von knappen Kapazitäten berichten, denn natürlich haben wir noch UKW-Frequenzen, in Berlin, die wirklich sehr heiß umgarnt sind denn wir haben noch immer um ein Vielfaches mehr Anträge, als wir an Frequenzen vergeben können. Da spielen andere Dinge eine Rolle, ich kann mir nicht vorstellen, dass da jemand 30 Millionen - bei UKW sowieso nicht - drauflegen musste. Das funktioniert heute sehr nach dem, was das Gesetz vorgibt, nämlich Vielfalt. Wenn es gewisse Farben beispielsweise schon gibt, dann bekommt halt jemand anders den Zuschlag, um es sehr kurz zusammenzufassen.
Klausa: Ich bohre nicht nach. Ich finde den Jahrmarkts-Gedanken trotzdem sehr spannend. Um das Ganze ein bisschen grundsätzlicher zu bespielen, Sie haben es schon angeschnitten, Themen wie Meinungsbildung, Demokratie … Welche Rolle haben diese doch sehr abstrakten Werte denn in Ihrem unternehmerischen Alltag gespielt? Sie haben gesagt, es hatten alle damals das Gefühl, man ist schon was Besonderes als Rundfunk, aber wie äußert sich das?
zitat: Privatfernsehen ist nicht nur irgendwelcher Schmuddel, hier geht es um seriöse Informationsprogramme
Flecken: Darf ich das noch um eine Frage ergänzen? Wären Sie eigentlich lieber heute Chef eines Senders oder war 84 schon der richtige Zeitpunkt?
Doetz: Sagen wir mal so, um niemand zu beunruhigen, die richtige Reihenfolge für mich war das schon. Aber noch mal das Grundsätzliche. Ich habe etwas aus der Werkstatt erzählt, aber natürlich war das Selbstbewusstsein schon da, dass wir jetzt praktisch Meinungsvielfalt in Deutschland erreichen. Wenn Sie so wollen, das duale System hat den Anfang in Ludwigshafen, dann gab es die zweite Säule. Das war auch für die ganze weitere Entwicklung eine Triebfeder, die einen auch intern immer wieder beschäftigt hat. Man hatte Gesellschafter, die natürlich das Finanzielle an die erste Stelle rückten. Man kam aber selbst mit einem politischen, inhaltlichen Ansatz in die ganze Diskussion. Jeder Gesellschafter hätte gern die Regionalgesellschaften abgeschafft, aber für mich war das eine der prägenden, notwendigen Voraussetzungen in der Verankerung in der Bundesrepublik. Weil die Kollegen, die diese Gesellschaften leiteten, auch die waren, die in der Politik nachweisen konnten, Privatfernsehen ist nicht nur irgendwelcher Schmuddel, sondern hier geht es um sehr seriöse Informationsprogramme.
Natürlich hatten wir auch mal einen Vorstandsvorsitzenden, der sich hinstellte bei Medientagen und erklärte: Das Zwingende ist, bitte, liebe Landesmedienanstalten, wir wollen keine Nachrichten mehr senden. Herrgott, waren wir froh, wie der vom Acker gejagt wurde. Und es war auch ein ganz gutes Zusammenspiel damals. Es gab sicher schwarze Schafe, sicher finden Sie Zitate, wo sie gesagt haben: Was soll der Schwachsinn? Wir können doch nicht von Programmvielfalt reden, wenn es eigentlich nur ums Kassieren geht. Das sind Diskussionen, die kann ich heute genauso führen.
Natürlich geht es heute nicht um technische Reichweiten, wir haben eine ganz andere Technologie, aber wir diskutieren über Förderung oder welche Rolle spielt das für die Demokratie? Natürlich hat in Ludwigshafen die Demokratie keine Rolle gespielt. Und wenn ich zehn Jahre zurückdenke an Medientage, da haben wir nicht über unsere demokratische Verantwortung gesprochen, das war alles so selbstverständlich.
Wir haben in den letzten zehn Jahren gemerkt, so verdammt selbstverständlich ist es gar nicht, wie wir alle wohl gehofft oder gemeint haben. Wenn ich das, was ich heute gerne zu dem Thema sage, vor fünf Jahren gesagt hätte, wäre ich als Schwarzmaler hingestellt worden. Weiß der was, was wir nicht wissen? Das ist der entscheidende Wandel. Und dann treibt mich auch um, wenn ich heute Mittag auf dem Weg hierher von einer neuen Jugendstudie höre, wonach 60 Prozent der jungen Generation pessimistisch sind und damit auch anfällig sind für die AfD. Wer, wenn nicht die Medien, müssen hier ihren Beitrag leisten.
Diese Diskussion stand am Anfang nicht. Wir waren für Vielfalt. Das war die legitime Begründung. Dann wollten wir erfolgreich sein, das war auch in einem privatwirtschaftlichen Unternehmen selbstverständlich. Aber diese demokratische Notwendigkeit ist erst vor dem Hintergrund der Veränderung innerhalb der gesellschaftlichen Diskussion deutlich geworden. Aber deswegen wird sie nicht weniger, sondern mindestens genauso wie bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten - wir sind ein Teil des gesamten Systems - verantwortlich wahrgenommen. (…) All das überlagert meines Erachtens, wenn wir über Zukunft reden, über Finanzierung, über Regulierung. Die Themen hatten wir nicht. Wir hatten die Notwendigkeit, wir wollen hier in der Bundesrepublik ernst genommener Teil eines dualen Systems werden. Das haben wir, glaube ich, ganz ordentlich geschafft.
Klausa: Das ist das perfekte Schlusswort. Das würde ich so auch unterschreiben. Das haben sie außerordentlich gut geschafft. Und um die Demokratie kümmern wir uns tatsächlich hoffentlich alle grundsätzlich in den nächsten Wochen, Monaten, Jahren und heute Nachmittag auf den anderen Panels auf jeden Fall auch. In jedem Fall herzlichen Dank für diesen, ich will mal sagen, wilden Ritt durch 40 Jahre. Und ich würde sagen, wir sehen uns dann einfach 2064 hier wieder und feiern, dass es mit der Demokratie geklappt hat und sind gespannt auf den nächsten Medienwandel.
infobox: Torben Klausa ist Journalist und leitet den Bereich Digitale Öffentlichkeit beim Thinktank Agora für Digitale Transformation. Eva Flecken ist Diretorin der Medienanstalt Berlin-Brandenburg und Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten. Jürgen Doetz ist Journalist und Medienmanager. Von 1982 bis 1992 war er Geschäftsführer der Programmgesellschaft Kabel- und Satellitenrundfunk (PKS), von 1985 bis 2004 war er Geschäftsführer des Privatsenders Sat.1 und von 2000 bis 2004 Vorstand Medienpolitik und Regulierung bei der ProSiebenSat.1 Media AG. Von 1996 bis 2012 war er Vorsitzender des Verbands Privater Rundfunk und Telemedien, der heute Vaunet heißt.
rid
Zuerst veröffentlicht 13.07.2024 10:20
Schlagworte: Medien, Dokumentation, Flecken, Doetz, Klausa, DLM, Symposium
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