23.01.2024 14:09
Die Diskussion um den Rundfunkbeitrag
epd Im Jahr 1954 zahlte man in der Bundesrepublik Deutschland für Hörfunk und Fernsehen umgerechnet 3,58 Euro, nach der jüngsten Erhöhung des Rundfunkbeitrags im Jahr 2021 waren es 18,36 Euro. Vor jeder Erhöhung kam es zu Auseinandersetzungen zwischen dem Regulierer, den politischen "Geldgebern", die stereotyp behaupteten, dem Volk sei dies nicht zu vermitteln, und den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, den "Geldnehmern", die sich durch den Artikel 5 des Grundgesetzes (Rundfunkfreiheit) und explizit durch die Verpflichtung auf eine "Grundversorgung" und eine "Bestands- und Entwicklungsgarantie" in den Rundfunkurteilen des Bundesverfassungsgerichts geschützt sahen.
Der Rundfunkbeitrag (früher Rundfunkgebühr) war und blieb bis heute, was der damalige HR-Intendant Werner Hess bei der Erhöhung im Jahr 1970 den "Brotpreis der Nation" genannt hat. Jetzt soll er nach dem kürzlich bekannt gewordenen Vorschlag der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) um drei Prozent steigen. Und wieder scheint ein Konflikt unvermeidbar. Doch diesmal geht es nicht einfach um Geld.
Ich habe die Gebührendebatte seit 1970 aus der Nähe beobachtet. Das Muster war fast immer gleich: Nachdem der Rundfunk seinen Mehrbedarf angemeldet hatte, fanden die politisch Verantwortlichen die Summe zu hoch und setzten stets noch einen drauf, es müsse gespart werden. Manche Politiker monierten dann Schwächen im Programm. Und immer gab es die Standardforderung, das System selbst müsse auf den Prüfstand. Und, etwas wolkig: Die Rundfunkanstalten müssten ihre Hausaufgaben machen.
Während vonseiten der Politik der Wille des Rundfunks zu Reformen bezweifelt wurde, verlegte sich der Rundfunk auf eine Reflex-Apologetik und zog sich in eine Wagenburg zurück. Nachdem dann schließlich alles gesagt und nichts getan war, kam es am Ende doch noch zu einer Verständigung mit den Ministerpräsidenten, die die Forderungen des Rundfunks mehr nolens als volens akzeptierten.
Mit der Gründung der KEF im Jahr 1974 wurde den Gebührendebatten zwar ein Rahmen gegeben, doch das hat Politiker - vergleichbar ihrem Umgang mit Berichten der Rechnungshöfe - nicht daran gehindert, die Vorschläge der Kommission zu ignorieren. So auch jetzt.
Doch etwas ist diesmal anders. Mehr denn je stellt sich die Frage, ob es einigen einflussreichen Politikern nur um die Verhinderung einer (maßvollen) Preiserhöhung und nicht doch eher um die Systemfrage geht. Darum nämlich, ob das real existierende Fernsehen wirklich noch gebraucht wird. Noch bevor die KEF überhaupt eine konkrete Summe genannt hatte, gab es öffentlich geäußerte Festlegungen gegen jede Art von Erhöhung.
Die Einlassungen der Politiker verrieten ein aggressives Desinteresse am gegenwärtigen Zustand des Fernsehens: So, als gäbe es die Inflation nur außerhalb der Medienwelt. So, als habe das gegenwärtige öffentlich-rechtliche Fernsehen ohnehin keine Zukunft, zumal ja die "neuen Medien" als Ersatz längst bereitstünden. So, als könne man durch Kranksparen dem Volk zu Diensten sein. Müsse man nicht endlich die Konsequenzen aus einer digitalen Zeitenwende ziehen? Und würde man dann nicht feststellen müssen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk bei Licht betrachtet längst reif fürs Rundfunkmuseum sei?
Es ist unbestreitbar, dass es viele Gründe und noch mehr Anlässe für Kritik am Fernsehen gibt - gute und auch eine Menge schlechte. Kein anderes Massenmedium zieht Tag für Tag so viel Kritik und Häme auf sich wie das Fernsehen. Kein Massenmedium eignet sich so gut als Sündenbock, dem man den gesellschaftlichen Müll aufladen kann.
Nichts an dieser Kritik ist neu. Schon Mary Winn wusste, dass Fernsehen süchtig macht ("die Droge im Wohnzimmer"). Neil Postman sorgte sich, dass die Zuschauer sich "zu Tode amüsieren" könnten. Für Peter Winterhoff-Spurk schafft das Fernsehen "kalte Herzen". Für den Informatiker Joseph Weizenbaum war das Fernsehen - allerdings das US-amerikanische - "die größte kulturelle Katastrophe, die die Erde in der Zeit, an die wir uns erinnern können, erlebt hat". Der Kriminologe Christian Pfeiffer vertrat die Auffassung, Fernsehen mache ausweislich seiner Studien speziell Jugendliche "dick, dumm, krank und traurig" und benutzte zur Verstärkung seiner These einen Begriff aus der Psychiatrie: "Medienverwahrlosung". Der Medientheoretiker Peter Weibel sagte voller Abscheu: Die TV-Welt sei "ein Napf, in den jeder seine Abfälle spuckt". Und für Hans Magnus Enzensberger war Fernsehen nur noch ein "Nullmedium".
Doch es gab auch einen anderen, weniger radikalen Ansatz für Kritik, exemplarisch dafür war die Fernsehkolumne, die Walter Jens unter dem Pseudonym "Momos" von 1963 bis 1985 in der "Zeit" schrieb. Viele Medienseiten der Zeitungen und die kirchlichen und säkularen Branchendienste boten eine regelmäßige professionelle Fernsehkritik. Selbst die Objekte der Kritik, die Fernsehanstalten, leisteten einen Beitrag, der WDR mit "Glashaus", das ZDF mit "betrifft: fernsehen" und, von 1968 bis 2011, mit der jährlichen Veranstaltung der "Mainzer Tage der Fernseh-Kritik". Als Gegengewicht gegen eine Systemkritik wirkte eine inzwischen schier unübersehbare Zahl von Preisen, an ihrer Spitze der Grimme-Preis, der in diesem Jahr zum 60. Mal verliehen wird.
Doch zuletzt ist diese Art von Fernsehkritik schwächer geworden. Die "Mainzer Tage" gibt es nicht mehr. Zeitungen verzichten auf ihre Medienseiten. Die katholische "Medienkorrespondenz" wurde eingestellt. Dieser Verlust an kritischer Reichweite steht sicher auch, neben finanziellen Problemen, für eine nachlassende Attraktivität des Fernsehens. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und ihrer Medien hat sich immer mehr auf das Internet fokussiert.
Dieser Trend wurde unübersehbar, als Frank Schirrmacher im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" der Analyse des Internets jede Menge Platz einräumte. Ein Kenner von Künstlicher Intelligenz wie Andrian Kreye analysiert in der "Süddeutschen Zeitung" regelmäßig Neuigkeiten dieser revolutionären Entwicklung, im Feuilleton, nicht auf der Medienseite. Es ist offenbar interessanter, sich um die digitalen Neuigkeiten zu kümmern, als sich mit den Routineprodukten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu befassen, zumal die teuren fiktionalen langlaufenden Serien überwiegend von den Streamingportalen angeboten werden.
Das Fernsehen verfügt über Möglichkeiten und Qualitäten, die man bei anderen Medien vergeblich sucht.
Fernsehen wird im Licht der Digitalisierung für viele Beobachter zu einem Medium von gestern mit einer höchst ungewissen Zukunft, in das man weder Engagement noch Geld investieren sollte. Diese Einschätzung findet man auch bei Medienpolitikern. Doch es wäre kurzsichtig, das Fernsehen deshalb abzuschreiben. Es hat nicht nur nach wie vor ein großes Publikum. Es verfügt vor allem über Möglichkeiten und Qualitäten, die man bei anderen Medien vergeblich sucht.
Zwar erscheint ein Wechsel des Publikums vom Fernsehen zu sozialen Netzwerken oder den Streaminganbietern einleuchtend und daher unaufhaltsam. Vor allem für die junge Generation spielt das Fernsehen keine große Rolle mehr. Sie bedient sich für Information und Unterhaltung aus digitalen Quellen. Doch nicht nur die Erkenntnis, dass bisher kein Medium durch das Aufkommen eines neuen einfach verschwindet - das Buch etwa oder den Film gibt es trotz aller Unkenrufe noch immer -, sollte die Nachrufer vorsichtig machen.
Es sind vor allem drei Gründe, die zeigen, dass das Fernsehen noch lange gebraucht wird. Allerdings nicht im Zustand eines Läufers, der das Ziel zwar erreicht, doch anschließend zu Boden sinkt, in einem bewusst herbeigeführten dehydrierten Zustand.
Erstens hat das Fernsehen noch immer vielen viel zu bieten. Zweitens gibt es - abgesehen von der Zeitung - zurzeit kein anderes Medium, das die unübersichtliche Vielfalt und die Vielzahl der Botschaften aus dem Internet auf ihre Relevanz und Richtigkeit prüfen, ordnen und das Resultat verbreiten könnte. Eine Gesellschaft, die darauf verzichten müsste, würde eine Gesellschaft der vielen Blasen.
Drittens und vor allem gehört dieses Fernsehen zu den wenigen gesellschaftlichen Akteuren, die einen substanziellen Beitrag zur Integration der Gesellschaft schaffen, jedenfalls, wenn es auskömmlich finanziert wird - eine Leistung, die gerade durch die vielen Teilöffentlichkeiten, die durch das Internet entstehen und auch wieder vergehen, wichtiger denn je geworden ist.
Noch immer kann das Fernsehen einen Satz auf sich beziehen, mit dem Niklas Luhmann seinen schmalen Band über die "Realität der Massenmedien" 1995 eingeleitet hat: "Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien."
Es ist längst nicht nur im Abbilden, sondern auch im Ausbilden und Herstellen von Wirklichkeit, im Einsammeln von Bildern und Botschaften diesseits der sozialen Medien eine Macht, stilbildend, sprachschöpfend, einflussreich, wirkungsvoll, auch wenn noch immer und wohl auch in Zukunft zu wenig davon bekannt ist, wie das funktioniert.
Fernsehen ist längst selbst eine Form und ein Ort von Wirklichkeit. Es schafft längst Realitäten, die nichts mehr von dem ontologischen Vorbehalt übrig lassen, das sei ja, bei allem Respekt, nur die Realität in einem Medium, also zweitklassig.
Fernsehen dringt mit seinen Bildpartikeln in alles ein, was sich sehen lässt. Mach dir ein Bild: Etwa vom Tod? Oder von der Ökonomie? Oder von der Globalisierung?
Da sollte sich niemand täuschen: Wahrscheinlich ist es ein Fernsehbild. Man mag es noch so satthaben, man mag es noch so verachten, ignorieren, kleinreden, sich ärgern, verwünschen - es hilft nichts: Man nimmt ihm damit nichts von seiner Macht und seinen Möglichkeiten.
Fernsehen ist noch immer ein Fenster zur Welt.
Fernsehen als Plattform, deren Programme mittlerweile auf ganz unterschiedlichen Bildschirmen verbreitet werden - im Zweifel auch auf einem iPhone - ist in einer bildersüchtigen Gesellschaft wie der unseren nach wie vor eine wesentliche Quelle für Bilder. Für Bilder aus aller Welt. Für Bilder aller Genres, vom Laienvideo bis zur teuer produzierten Fiktion. Es transportiert diese Bilder nicht nur. Es generiert sie auch. Zurückhaltend oder auch aufdringlich. Auf alle Fälle pausenlos. Es gibt kein Leben (mehr) außerhalb von Fernsehbildern.
Fernsehen ist noch immer ein Fenster zur Welt. Als Schlüsselloch für Spanner blieb es erfolglos. Noch immer beziehen vor allem ältere Menschen ihre Orientierung über den Lauf der Dinge kontinuierlich und überwiegend aus dem Fernsehen. Es gibt Menschen, die nach dem Aufstehen oder beim Betreten eines Hotelzimmers als Erstes die Fernbedienung suchen.
Bilder genießen, anders als Worte, einen Vertrauensvorschuss. Man hält sie bis zum Beweis des Gegenteils für authentisch, zumal, wenn man auch noch den Anbieter kennt, dem man traut, bei dem man sicher ist, dass er einem kein X für ein U vormacht, dass man keinem Fake aufsitzt. Es gibt noch immer diese ungeschriebene Verabredung von Fernsehen und Publikum: Was ich sehe, das gibt es.
Es gibt Bilder von Städten, von Landschaften, von Menschen, von Moden, von Geräten und so weiter, die für viele Menschen gleichwohl sehr ähnlich aussehen, weil sie aus derselben Quelle geflossen sind. Das gilt auch für die Musik und begründet etwa den Erfolg des Eurovision Song Contest, für die Sprache, für Mimik und Gestik. Vor allem Sprachfetzen aus der Sportberichterstattung dringen in die Alltagssprache ein.
Aber der versierte Zuschauer weiß inzwischen auch, dass die Bilder, die man in diesem Fenster sieht, ausgewählt, bearbeitet, manipuliert oder auch gefälscht sein können, dass mit ihnen Interessen verbunden sind, dass es keine unschuldigen Bilder gibt.
Fernsehen ist noch immer das Medium der weltbewegenden Ereignisse. Gestützt vor allem durch seine Fähigkeit, Ereignisse weltweit gleichzeitig zu präsentieren. Besonders augenfällig: der Sport und die großen Katastrophen. Es versammelt, darin immer noch Leitmedium, fallweise so gut wie die ganze angeschlossene und anschlussfähige Menschheit aus einem einzigen Anlass, ganz im Sinne von Marshall McLuhans elektronischem Lagerfeuer.
Von Anfang an waren es solche versammelnden Ereignisse, deren Inszenierung nicht selten den Liturgien der großen religiösen Feiern folgten. Fast könnte man sagen: an ihre Stelle traten. Ich erinnere mich an das Wunder von Bern, an die Beerdigung von Konrad Adenauer und John F. Kennedy, an die Krönung von Elisabeth II. An den 11. September 2001, an den Tsunami 2004, an den 24. Februar 2022 und den 7. Oktober 2023. Und es gibt Ereignisse, die sich hinziehen wie die Orange Revolution in der Ukraine, wie Corona. Ob die Menschen das wollen oder nicht: Indem Fernsehen versammelt, integriert es. Selbst beim Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker.
Fernsehen ist auch noch immer eine sprudelnde Quelle für Unterhaltung. Es produziert und verbreitet die großen Geschichten. In diesem Medium, das so oft schon schlechtgeredet wurde, werden die Mythen der Neuzeit tradiert, von der Heimat über die Stadt bis zu den lebensrettenden Helden, den Kommissaren, den Chefärzten in ihren Kliniken, die wie eh und je über Tod und Leben entscheiden. Es ist wohl wahr, nicht alle Geschichten sind wirklich gut. Aber wer sucht, findet jederzeit genug gute, alte und immer wieder auch neue, im Zweifel in einer Mediathek. Es gibt - sieht man einmal von den Computerspielen ab - kein Medium, das dem Fernsehen diese Rolle des großen Geschichtenerzählers streitig machen könnte.
Man muss sich das Fernsehen nicht schönreden. Dafür gibt es zwischen all dem Guten viel Déjà-vu und Langeweile. Man muss das Fernsehen nicht lieben, obwohl es immer wieder die schönsten Gründe dafür gibt. Man sollte ihm nur gerecht werden.
Es gehört zu den Basistätigkeiten des Journalismus, Informationen aller Art zu sammeln und zu bewerten: wie relevant ist etwas, wie sehr nur Behauptung und wie sehr Faktum. Das macht die News-Shows des Fernsehens zum Nadelöhr, das Informationen passieren müssen, die für sich in Anspruch nehmen können, "richtig" zu sein. Da ist das Fernsehen in seinem Element. Diese Rolle, für die es keine Feiertage gibt, muss es noch viel stärker spielen, je mehr die sozialen Netzwerke ihr Publikum finden, je schwerer zu sagen ist, ob die Botschaften nicht Fake News sind, dreiste Lügen oder banale Verschwörungstheorien. Es gibt bisher abgesehen von den großen Zeitungen, die sich den Aufwand dieser Generalrecherche leisten können, kein anderes Medium, das diese Aufgabe der Relevanzermittlung übernehmen könnte.
Bündelt man diese besonderen Qualitäten, stehen sie für eine Leistung, die viel beschworen wird und für wenig Geld zu haben ist: die Integration der Gesellschaft. Man kann es nicht genug betonen: Fernsehen integriert eine Gesellschaft und ist darin mit dem Internet nicht vergleichbar. Es stärkt die Inklusion auf eine Weise, die nur ein Massenmedium schafft. Es sind vor allem die Bilder, die diese Inklusion stützen.
Ich folge in diesem Fall Peter Sloterdijk, der diese Leistung, bezogen auf die Genese eines Imperiums, beschreibt: Dass eine Horde, die direkt miteinander kommuniziert, zusammenhält, ist kein so großes Wunder wie die Tatsache, dass ein Imperium medial zusammenhält. Im Grunde genommen müssen die Menschen zusammengezaubert werden. Das aber ist Sinn und Funktion der Bilder. Sie zaubern Menschen in Gemeinschaften zusammen.
Was "gutes" Fernsehen für eine Gesellschaft bedeutet, in der es Anzeichen für eine Spaltung gibt, ist kaum zu überschätzen. Robert McChesney hat in seinem 1999 erschienenen Buch "Rich Media - poor Democracy" das amerikanische Fernsehsystem schon damals als Totengräber der Demokratie ausgemacht. Das Resultat der unter der Präsidentschaft von Ronald Reagan einsetzenden Deregulierung durch die Aufsichtsbehörde Federal Communications Commission (FCC), nach der jeder, der genug Geld hatte, einen Fernsehsender zu betreiben, sich einen Sender gekauft und sein Programm gesendet hat, hat die Bildung ideologisch geprägter Gruppen forciert. DerPublic Broadcaster PBS wurde gleichzeitig ausgehungert.
Jeder Teil der Gesellschaft - es gibt inzwischen faktisch nur noch zwei - bekam das Fernsehen, das er wollte, seinen "Me-Channel", wie der Wirtschaftswissenschaftler Eli Noam schrieb.
Auch mit dem Blick auf eine solche Entwicklung (und McChesney kannte Fox News noch nicht!) ist es vor allem die Leistung der Integration, die die Verantwortlichen in Deutschland ins Zentrum einer zeitgemäßen, auf Gemeinsamkeit setzenden Medienpolitik rücken müssen. So gesehen ist Erhöhung der Haushaltsabgabe alles andere als eine fiskalische Angelegenheit, ein Feilschen um ein paar Groschen, das altbekannte und ärgerliche Spiel von Druck und Gegendruck. Oder gar eine Quittung für den RBB-Skandal (gerade so, als hätte es nie einen Mautskandal gegeben, der, abgesehen von einem gewaltigen finanziellen Verlust, provozierend folgenlos blieb).
Die Haushaltsabgabe ist nicht vergleichbar mit Markenbutter oder Blumenkohl, deren Preise im Übrigen zuletzt weit mehr als um drei Prozent gestiegen sind, ohne dass es bisher zu Aufständen der Bevölkerung gekommen wäre.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk braucht eine angemessene Finanzierung.
Vor allem aber eignet sich die Haushaltsabgabe nicht als ein Testfall für die Anwendung des Mythos von der sparsamen schwäbischen Hausfrau. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk braucht, wenn er leisten soll, was er leisten kann, eine angemessene Finanzierung. Dies zu ermitteln hat sich auch diesmal die KEF alle nur denkbare Mühe gegeben. Ihren Vorschlag infrage zu stellen und damit abzulehnen, wäre eine unverzeihliche, aus Kurzsichtigkeit geborene Torheit.
Integration entsteht nicht durch Bekenntniszwang oder die Verpflichtung auf eine undefinierbare Leitkultur. Sie entsteht durch eine gemeinsame Sprache und gemeinsame Bilder. Beides bereitzustellen, ist die tägliche Aufgabe von Massenmedien. Dazu müssen sie in der Lage sein und in diese Lage müssen sie versetzt werden. Das haben sie den sozialen Medien noch immer voraus. Und das hat seinen Preis. Der, solange man von Rundfunk redet, noch immer bescheiden ist. Es kann ja sein, dass ein so sinnvolles Zukunftsprojekt wie ein Medienhaus eines Tages wirklich realisiert wird. Und das Fernsehen unter dem Dach dieses Hauses wohnt. Aber es sollte dann nicht ein Fernsehen sein, das seine Möglichkeit aus finanziellen Gründen, dehydriert und mit Atembeschwerden geplagt, nicht mehr wahrnehmen kann.
Fernsehen und Medienpolitik koexistieren auf der komplizierten Basis einer Doppelbindung. Jeder ist der Kontrolleur des anderen und wird zugleich vom anderen kontrolliert. Diese Doppelbindung lädt zu Machtproben ein. Ein Fingerhakeln zwischen beiden scheint so überflüssig wie schier unvermeidlich. Im Zweifel handelt es sich um einen Konflikt zwischen dem angeblichen Willen des Volkes und dem tatsächlichen Willen der Verfassung. Das Bundesverfassungsgericht hat auch in diesem Fall die Zuständigkeit, den Konflikt zu lösen. Doch kann man so lange warten? Denn der Rechtsweg ist nach einem Wort des Verfassungsrichters Ernst Gottfried Mahrenholz der einzige Weg, der in Jahren gemessen wird. Auch deshalb ist er nur eine ultima ratio. Eine prima Ratio allein würde auch in diesem Kampf reichen.
Titel: Norbert Schneider Copyright: Uwe Voelkner / FOX Darstellung: Autorenbox Text: Norbert Schneider war von 1993 bis 2010 Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen. Von 1976 bis 1981 war er Direktor des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP) in Frankfurt am Main, von 1981 bis 1986 Direktor für Hörfunk und Fernsehen beim Sender Freies Berlin. Er publiziert regelmäßig in epd medien.
Zuerst veröffentlicht 23.01.2024 15:09 Letzte Änderung: 23.01.2024 15:20
Schlagworte: Medien, Rundfunk, Fernsehen, Rundfunkbeitrag, Schneider, NEU
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