Echtes Erkenntnisinteresse - epd medien

15.05.2024 08:53

In der Podcast-Reihe "Integration. Wir schaffen das - nur wie?" stellt der Deutschlandfunk Fragen, die in Politik-Talkshows nur selten zu hören sind. Zu Wort kommen auch die, über die meist nur geredet wird: Geflüchtete.

In der "Hart aber fair"-Ausgabe vom 11. März hat Moderator Louis Klamroth etwas Kluges gemacht: Zum Thema des Abends - "Asylpolitik: Das muss jetzt passieren" - sprachen nicht, wie sonst üblich, nur Politiker von ihren sehr theoretischen Überlegungen zu Migration. Stattdessen kamen auch diejenigen zu Wort, die in dieser Sache tatsächlich aus der Praxis berichten können: ein Bäckermeister, der Geflüchtete ausbildet, einer dieser Auszubildenden und Arif Abdullah Haidary, der 2015 aus Afghanistan nach Deutschland kam und heute beim Bayerischen Flüchtlingsrat tätig ist.

Auch bei denen, die keine politische Berichterstattung verfolgen, könnten da die sprichwörtlichen Glocken läuten. 2015 war das Jahr, in dem Altkanzlerin Angela Merkel jene berühmten Worte sprach, die bei ihren Parteikollegen, in den migrationspolitischen (Schein-)Debatten und damit auch bei den Hörerinnen und Hörern bis heute nachhallen: "Wir schaffen das!"

Abweichung von der Norm

Klamroths Sendung nur deshalb hervorzuheben, weil zur Sache - Migration und Integration - beide Seiten zu Wort kommen, das heißt Politiker und Geflüchtete, ist im Grunde ein Lob über den grünen Klee, schließlich wurde hier nur das journalistische Handwerk beherzigt. Dennoch lohnt es sich, darauf zu schauen, weil die Aussagen von Haidary und auch der Titel des Deutschlandfunk-Podcasts "Integration. Wir schaffen das - nur wie?" verdeutlichen, dass sich die mediale Debatte hierzulande seit 2015 kaum weiterentwickelt hat.

Die vier Episoden liefern kontextualisierte Fakten und Hintergrundwissen zu dem, was in Medien und öffentlich-rechtlichen Gesprächsrunden nur scheinbar verhandelt wird. Die Ausgabe von "Hart aber fair" vom März ist in diesem Themenkosmos sicherlich keine singuläre Ausnahmeerscheinung, aber doch eine Abweichung von der Norm.

Ausgangspunkt der vier jeweils rund 20-minütigen Episoden des Podcasts ist die Geschichte einer armenischen Familie, die drei Jahre nach Merkels Appell an die Bevölkerung nach Deutschland kam. Der Weg von Mutter Hayastan, ihren Söhnen Narek und Khoren, Tochter Ani (heute 31, 21 und 15 Jahre alt) bildet, von ihrer Ankunft über die Unterbringung in einer Sammeleinrichtung bis hin zur eigenen Wohnung und ersten Erfolgen auf dem Arbeitsmarkt, den dramaturgischen Spannungsbogen des Podcasts.

Grundsätzliche Fragen

Die Familie ist nicht vor Krieg oder Vertreibung geflohen, sondern um bessere medizinische Versorgung für den schwer kranken Vater Garnik zu erhalten, der noch im Jahr der Ankunft starb. Es blieb der Wunsch nach einem besseren Leben in Deutschland, die Familie hält an ihrer neuen Heimat fest - als sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge. Aufenthaltsstatus: geduldet.

Ihre Stationen sind die jeweiligen Anknüpfungspunkte für das Deutschlandfunk-Team, um entsprechende Experten anzuhören. Dabei werden zahlreiche Fragen verhandelt, etwa wie das Leben in einer Sammelunterkunft wirklich ist, wo die Probleme beim Zugang zum Arbeitsmarkt liegen oder wie wichtig die Hilfe von Freiwilligen, von der Gesellschaft ist. Die Experten erläutern auch den aktuellen Wissensstand verschiedener Forschungsfelder, der dann wiederum von den Journalisten eingeordnet wird. Dabei ergeben sich Überlegungen, die auch den angesprochenen Talkshows gut zu Gesicht stehen würden: Wieso wird überhaupt eine Unterscheidung zwischen Wirtschafts- und Kriegsflüchtlingen gemacht? Darf die Suche nach einem besseren Leben, die Angst vor Armut, nicht Grund genug sein, sich andernorts ein neues Leben aufbauen zu wollen?

Der sehr nachrichtlich gehaltene Podcast gerät über die gesamte Laufzeit manchmal etwas trocken und wirkt nicht übermäßig aufklärerisch. Im Sinne der Meinungsbildung werden den Hörerinnen und Hörern Informationen an die Hand gegeben, Ausgangspunkt ist das eigene Erkenntnisinteresse. So gesehen sind diese vier Episoden innerhalb der "Systemfragen"-Reihe des Deutschlandfunks auch ein Kontrapunkt zu den Politik-Talkshows.

infobox: "Systemfragen: Integration. Wir schaffen das - nur wie?", vierteilige Podcastserie, Regie und Buch: Stephanie Gebert, Maximilian Brose, Paulus Müller, Kathrin Kühn (Deutschlandfunk, 25.4., 2.5., 9.5. und 16.5.24, jeweils 20.10-20.30 Uhr, und in der DLF-Audiothek)



Zuerst veröffentlicht 15.05.2024 10:53

Christopher Hechler

Schlagworte: Medien, Audio, Kritik, Kritik.(Audio), Podcast, Hechler

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