Schmalz mit Mehrwert - epd medien

23.05.2024 07:47

Mit der Serie "Maxton Hall" biete Amazon Prime Video "Wolkenkuckucksheim-England für Deutsche", meint Heike Hupertz. Fast alles daran sei unrealistisch, zugleich aber schön und zielführend.

Wie geht es weiter mit Ruby (Harriet Herbig-Matten, r.) und James (Damian Hardung)?

epd Millionen schockschwärmende Jugendliche dürfen sich freuen. Schon kurze Zeit, nachdem die Privatschulserie "Maxton Hall" bei Amazon Prime Video gestartet ist, gibt es frohe Kunde. Nach dem "weltweiten Erfolg" wurde die Serie stehenden Fußes um eine zweite Staffel verlängert. Das kommt nicht überraschend: Die erste Staffel der Serie hört mit nicht nur einem, sondern gleich mehreren Cliffhangern auf. Der wichtigste, über die Folgen mit sorgfältigen Spannungsbögen aufgebaut, betrifft die Zukunft der Über-Intellektuellen Ruby Bell (Harriet Herbig-Matten) und Schnösel-Erbe James Beaufort (Damian Hardung). Bleibt es bei einer einzigen, vor der "Welt" versteckten Nacht in Oxford? Nachdem sich gleich danach die Kluft zwischen Julia und Romeo neu aufgetan hat? Nachdem das "Schicksal" sich mit "aller Himmelsmacht" gegen das Glück der Hauptfiguren stellt?

Noch mit anderem wird in den sechs Folgen erzählökonomisch sparsam wie geschickt anteasernd umgegangen. Wird Lydia Beaufort (Sonja Weißer), James' ebenfalls liebesverzweifelte Zwillingsschwester, vom grausamen Vater Mortimer (Fedja van Huet) gedemütigt, von der Mutter Cordelia (Clelia Sarto) im Stich gelassen, ihre Schwangerschaft durchziehen und das Baby von Lehrer Graham Sutton (Eidin Jalali) tatsächlich bekommen? Wird es klappen mit Oxford, Ruby Bells Sehnsuchtsort? Wird der nette Betreuungsstudent Jude (Gustav Schmidt) zu einer Gefahr für James? Wird James weiter gentlemanlike verzichten und "leiden wie ein Hund", natürlich mit äußerlich unbewegtem Gemüt, als Stereotyp der Engländer?

Küsse im Kellerverlies

Wird dieses quasiroyale Paar, "Ein Herz und eine Krone" fürs junge Publikum, geadelt durch die Stärke und Ernsthaftigkeit ihrer Empfindung, wieder Küsse tauschen im - Achtung, Symbol - Kellerverlies der Schule "Maxton Hall", wo der Sicherungskasten angebracht ist? Vor allem aber: Wird sich herausstellen, dass der Privatchauffeur der Beaufort-Kinder, der geheimnisvolle Percy (Hyun Wanner), der eigentliche Vater der Zwillinge ist und die Grausamkeit des Vater-Tyrannen ihre Grundlage im Wissen hat, für die nun am Hirnschlag hingeraffte Mutter nur zweite Wahl gewesen zu sein?

Das alles will man wissen, zumindest die erfolgreich erreichte Zielgruppe. In der Sprache der Pressemitteilung: "Maxton Hall" erreichte die "größte globale Zuschauerzahl eines nicht amerikanischen Titels in der Startwoche in der Geschichte von Prime Video". Ein Instant-Hit also, der "in mehr als 120 Ländern und Territorien auf Platz 1 der Prime Video Charts landete". Darüber hinaus weist die UFA Fiction auf eine "Publikumswertung von 95 Prozent bei Rotten Tomatoes" hin.

Märchen- und Verkleidecharakter

Bei näherer Betrachtung ist der in der PR-Prosa als überragend dargestellte Erfolg nicht verwunderlich. Was sich liest wie übelster Schmalz, zeigt sich beim Hinsehen als Schmalz mit Mehrwert in Perfektion, als "Schmalz plus". Mit Motiven und Spannungsbögen, die im Unterhaltungsbereich und in Fällen der Gefühls- und Nachvollziehbarkeitserzeugung einfach immer wieder funktionieren. Mit einer Geschichte, die alles zurechtklaubt, was im romantischen Zweierbereich zu haben ist, und es gekonnt kalkuliert für die Zielgruppe aufbereitet. Mit einem sehr gut ausgewählten Cast (Casting Patrick Dreikauss und Emrah Ertem), mit effektiv in Szene gesetzten Hauptdarstellern, die ihr Handwerk verstehen und mehr zu zeigen haben als emotionale Wallung und angewandte Hormongesteuertheit. Dazu kommen hochwertig wirkende Production Values (Production Design Isabel von Forster) und Kostüme (Gabriela Reumer), die Entscheidendes zum - ganz leicht ironisch angehauchten - Märchen- und Verkleidecharakter der Geschichte beitragen.

Eine "moderne Liebesgeschichte" ist die deutsche Originalproduktion "Maxton Hall" freilich nicht. Eher das maximale Gegenstück zu "Para - Wir sind King", einer Serie, in der junge Frauen in Berlin, die mehr vom Leben wollen, als den passenden Typen abkriegen, der sie doch nur wieder enttäuscht, ihren eigenen Weg suchen und dabei aus eigener Kraft reich werden wollen.

Historie trifft auf Jugendgeschmack

"Maxton Hall" dagegen spielt in einem symbolisch zurechtfantasierten Wolkenkuckucksheim-England für Deutsche mit quasimittelalterlichen Feudalstrukturen und einer Oberschicht, die auf teuren Privatschulen ihren Habitus pflegt und in Oxford aufs Elitecollege Balliol geht, um nach mehrjähriger Praxis in Dinieren und Netzwerken Premierminister zu werden - oder eben das dynastische Traditionshaus und Bekleidungsimperium Beaufort zu übernehmen. Historie trifft gewollt cheesy auf Jugendgeschmack.

Charles Dickens "Große Erwartungen" wirkt dabei gegen "Maxton Hall" geradezu übermodern. Im Bezug auf die Gesamtgeschichte der Jugendserie kann man eher an den empfindsamen Roman "Clarissa Harlowe" von Samuel Richardson (1748), der von einer misshandelten Unschuld handelt, an "Aschenputtel", an den öffentlich zelebrierten Zärtlichkeits- und Familienkult Königin Victorias und Prinzgemahl Alberts, an "Country Life" und die Wohnzeitschrift "Period Homes", an Cotswolds- und Herrensitzschwärmerei, an die Blumenprints von Laura Ashley, an Cottagegärten, an Lady Di und Prince Charles und an William und Catherine denken. Und, ganz wichtig, an Hogwarts, nur eben ohne Zauberei. Maxton Hall, eine Art Schloss mit Zinnen und Türmen, antiken Holztüren und Schuluniformen in Hot Pink, auch für die jungen Männer, ist einer der Hauptdarsteller. Die Rolle des Quidditch wird von der Sportart Lacrosse eingenommen, die böse Stiefmutter ist Beaufort-Patriarch Mortimer.

Unterhaltung und Spaß

Die Serie will dabei deutlich nichts anderes sein als Märchenfantasie, Luftschloss, an den Boden gebunden mit den für Heranwachsende typischen Fragen nach Fremd- und Selbstbestimmung. Unterhaltung und Spaß, angereichert mit "Wo ist mein Weg" und "Was zählt im Leben", ein wenig Konsum- und Kapitalismuskritik, die Fiktion "Arm, aber glücklich", das Reden vom "moralischen Kompass", die manipulativen Versuchungen von Einfluss, Macht und Reichtum, alles bekannt.

Für Ruby Bell also, von Harriet Herbig-Mattern zauberhaft-augenzwinkernd kniebestrumpft und selbstbewusst dargestellt, ist zunächst Oxford alleiniges Ziel der Träume. Der Vater (Martin Neuhaus) durch einen Unfall im Rollstuhl, die Mutter (Julia- Maria Köhler) hart schuftend, die Schwester (Runa Greiner) immer heiter und mit Schneiderinnentalent gesegnet, sie alle wohnen in einer Blumentapeten-Musterausstellung und haben sich furchtbar, furchtbar lieb. Ruby selbst steht im Bus für Schwangere auf, schreibt freiwillig Essays zu jedem gelesenen Buch, hält sich als arme Stipendiatin in der Eliteschule unter dem Radar. Bis sie Lydia knutschend mit dem Lehrer erwischt, James ihr erst Geld und dann seinen Körper anbietet, um ihr Schweigen zu erkaufen. Ruby verzichtet, zweifach. Der junge Mann ist moralisch irritiert, persönlich verwirrt.

Kants moralischer Imperativ

Im Schulunterricht wird Kants moralischer Imperativ durchgenommen, aus dem Off geben James und Ruby immer wieder passende Kalenderspruchweisheiten zum Besten. Was als "Krieg" der Privilegien und Wertvorstellungen beginnt, wird zur "magischen" Anziehung, als beide in viktorianischen Kostümen für eine geplante Spendengala posieren. Sex allerdings gibt es erst in der letzten Folge in Oxford, die züchtige Person spart sich auf. Merke: Wer liebt, für den wird Sex zu wichtig, um nebenbei erledigt zu werden.

Positiv ist zu vermerken, dass in "Maxton Hall" die Vorstellung von der lebensverändernden Wichtigkeit von Bildung hochgehalten wird. Bildung für alle, Meritokratie - das wird im Rahmen des Unterhaltungsansatzes zumindest auch als Problem aufgegriffen. Während Sex als bedeutungsloser Konsum in den entsprechenden Szenen in Klischeebildern abgehandelt wird und romantischer Neu-Puritanismus mittendrin fröhliche Urständ feiert, ist die Inszenierung des ersten (und einzigen) Akts zwischen Ruby und James doch bemerkenswert. In warmes Licht getaucht, wird dem erotischen Vorspiel von Ruby und James visuell viel Bedeutung gegeben, in einer kurzen, gar nicht peinlichen Szene ist zu sehen, dass James ein Kondom benutzt. (Erster) Sex ist hier einvernehmlich, sicher, vertraut, fröhlich und einfach eine tolle Erfahrung. Nach der beide super gelaunt, bester Dinge und sehr verliebt sind.

Schön und zielführend

Das mag, wie fast alles an "Maxton Hall", unrealistisch sein, altertümlich ist es nicht. Sondern schön und zielführend. Wenn Jugendliche, die quasi ständig Zugang zu mehr Pornografie und dargestellter Erniedrigung haben, als gut für jemanden sein kann, Sex in diesem Licht sehen und sich vielleicht als Anspruch und Grundlage intimer Begegnungen merken, fein.

"Maxton Hall" mag den hemmungslosen Liebeskitsch zwar neu beleben, aber die Serie hat hier einen Punkt. Antiquiertheit trifft Respekt. Der Mann, der zu seinen Gefühlen steht, der unsicher ist, der sich ändern will, ist hier männlich. Die Frau, die der Intellektualität den Vorzug gibt und die Gemeinschaft schlauer Frauen im Frauencollege sucht, ist hier weiblich. Von Genderdebatten ist das weit entfernt. Die Idee der ideengeschichtlichen Bewegung der Romantik bleibt aber, cool umgesetzt: Du kannst dich verändern, indem du im Andern das siehst, was dir fehlt. Schwärmerei kann als Mittel der Kritik wirkungsvoll sein. Royalität ist Einstellungs- und Ansichtssache. Ansonsten gilt: Viel Spaß bei "Maxton Hall".

infobox: "Maxton Hall - Die Welt zwischen uns", sechsteilige erste Staffel, Regie: Martin Schreier, Tarek Roehlinger, Head-Autorin: Daphne Ferraro, Writers Room: Marc Schießer, Marlene Melchior, Zoe Hagen, Nina Rathke, Anna Schimrigk und Juliana Lima Dehne nach dem Jugendroman von Mona Kasten, Kamera: Christof Wahl, Produktion: UFA Fiction (Amazon Prime Video, seit 9.5.24)



Zuerst veröffentlicht 23.05.2024 09:47 Letzte Änderung: 23.05.2024 09:54

Heike Hupertz

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KPrime, Schreier, Roehlinger, Hupertz, NEU

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