08.07.2024 08:51
Medienaufseherin Sommer zu Hetze im Internet
"So haben wir uns soziale Medien nicht vorgestellt." Als Direktorin der unter anderem für die Plattform Tiktok zuständigen Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein (MA HSH) bekam ich diesen Hinweis bereits mehrfach zu hören, auch von Vertreter:innen der für die Medienregulierung zuständigen Länder insbesondere in Bezug auf hetzerische und extremistische Inhalte.
Ich kann diese Erkenntnis als Nutzerin sozialer Medien auch absolut nachvollziehen. Geht es uns nicht allen so? Es macht sich ein zunehmend laut brüllendes Störgefühl bemerkbar: Dass da irgendwas ins Rutschen geraten ist. Leider lässt sich "Irgendwas" furchtbar schlecht regulieren. An die Frage, wie wir als Medienregulierung auf die zunehmende Polarisierung und Fragmentierung unserer gesellschaftlichen Diskussion reagieren können, tasten wir uns am besten über die klassischen Aufgabenreiche der Medienaufsicht, nämlich das Vorgehen gegen unzulässige Inhalte und die Sicherstellung der Einhaltung von Zulassungs- und Sorgfaltspflichten heran.
Wir beaufsichtigen das Internet gemeinschaftlich und arbeiten gut verzahnt in unserer föderalen Struktur zusammen.
Zentral für unser Vorgehen gegen Inhalte - und Inhalteanbieter:innen - sind die in Paragraf 4 des Jugendmedienschutzstaatsvertrags enthaltenen Vorgaben zu absolut unzulässigen Inhalten. Dazu zählen auch die Aufstachelung zum Hass oder die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.
Auf Grundlage des Jugendmedienschutzstaatsvertrags wurden von der MA HSH im vergangenen Jahr über 5.000 Inhalte geprüft. Soweit erforderlich haben wir die Fälle auch bei den Staatsanwaltschaften zur Verfolgung gebracht und mit einer Löschanregung oder -aufforderung gegenüber den Verfasser:innen oder den sozialen Medien verbunden. Und dies mit nur zwei festen Mitarbeiter:innen. Wir könnten mit wenig mehr Ressourcen also noch deutlich mehr erreichen und insbesondere stärker auf aktuelle Trends reagieren. Denn: Bei Hass im Netz ist zügiges Handeln erforderlich.
Ein Beispiel hierfür: Gemeinsam mit den anderen Medienanstalten haben wir nach dem terroristischen Anschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 binnen sechs Monaten etwa 1.300 Rechtsverstöße an die Europäische Kommission gemeldet. Das zeigt: Dort, wo wir zuständig sind und die entsprechenden Ressourcen haben, setzen wir neue gesetzliche Vorgaben, auch aus Europa, schnell um. Wir beaufsichtigen das Internet gemeinschaftlich und arbeiten gut verzahnt in unserer föderalen Struktur zusammen. Zudem kooperieren wir mit Staatsanwaltschaften und Strafverfolgungsbehörden sowie mittlerweile über 130 Beratungsstellen in Hamburg und Schleswig-Holstein im Einsatz gegen Hass und Hetze.
"Jeder gelöschte Inhalt ist auch ein Einschnitt in die Meinungsfreiheit des Einzelnen."
Angesichts der Menge an minütlich neu hochgeladenem Content mag all das nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Aber einer, der zischt und dampft und ein weithin sichtbares Signal sendet: Für Hass und Hetze ist auch im Digitalen kein Raum.
Wir müssen - und werden - weiter intensiv gegen Hetze vorgehen. Denn die Zahl derer, die online Hass begegnen oder Angst haben, ihre Meinung zu äußern, ist weiterhin hoch - zu hoch. Das ist besorgniserregend und nicht akzeptabel.
Und dennoch: Wir müssen und werden weiterhin in jedem einzelnen Fall genau hinschauen und verschiedene Rechtspositionen abwägen. Denn jeder gelöschte Inhalt ist auch ein Einschnitt in die Meinungsfreiheit des Einzelnen, der gerechtfertigt sein muss.
Natürlich müssen wir uns daher Fragen stellen lassen, ob wir "so eklige Aussagen und Meinungen" nicht unterbinden können. Die Antwort ist: Nein - solange diese als legal einzuordnen sind, können wir das nicht. So ist das mit der Demokratie: Sie verlangt uns ab, einiges auszuhalten.
"Auf sozialen Medien ist noch ein weiter Weg zu gehen."
Doch gerade bei Kindern und Jugendlichen müssen wir sicherstellen, dass sie nur das aushalten müssen, was ihnen altersentsprechend zuzumuten ist. Denn sie haben ein Recht darauf, sich unbeeinträchtigt zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu entwickeln. Dafür müssen sie auch die Fähigkeit entwickeln, ihre jeweilige Lebenswelt - und soziale Medien sind ein fester Bestandteil davon - kritisch zu bewerten. Hierfür benötigen sie altersgerechte Orientierung.
Auf sozialen Medien ist hierfür noch ein weiter Weg zu gehen, insbesondere mit Blick auf die Altersklassifizierung der Inhalte und eine wirksame Altersabfrage.
Genauso steht auch der Rundfunk in der Verantwortung, Kindern und Jugendlichen Orientierung zu bieten.
Wie kann es da sein, dass eine Zulassung beispielsweise eines Radiosenders auch an jemanden erteilt wird, der einer extremistischen Partei nahesteht? Wieso unterbinden wir nicht ganze Programme, anstatt umständlich die gesendeten Inhalte zu prüfen?
"Propaganda und Desinformation sind weder dumm gemacht noch offensichtlich."
Ganz einfach: Weil wir das zu Recht nicht dürfen. Weil wir auch die Aufgabe haben, Meinungen schützen, die uns nicht gefallen - solange sie zulässig sind. Entsprechend sind die Gründe, aus denen eine Zulassung versagt werden kann, eng und klar im Gesetz geregelt. Politische Parteien selbst können etwa keine Zulassung für einen Rundfunksender erhalten. Die Einstufung einer Partei als extremistisch oder eine entsprechende Nähe der Programmverantwortlichen hierzu ist aber noch kein medienrechtlicher Verwirkungsgrund. Es muss mindestens der konkrete Verdacht bestehen, dass sich diese Gesinnung dauerhaft in unzulässigen Inhalten manifestiert.
Und Propaganda und Desinformation sind vieles, aber weder dumm gemacht noch offensichtlich. Ganz gezielt bewegen sie sich im Grenzbereich des Zulässigen. Das macht ein Vorgehen wegen Verstößen gegen journalistische Sorgfaltspflichten in unserer Aufsichtspraxis extrem herausfordernd. Die in Paragraf 19 des Medienstaatsvertrages nun auch für journalistisch-redaktionelle Telemedien verankerte Verpflichtung zur Einhaltung journalistischer Sorgfaltspflichten ist der richtige Schritt gewesen - das erhoffte scharfe Schwert bei der Bekämpfung von Desinformation ist sie bislang aber noch nicht.
Die parlamentarische Debatte darüber, wie wir unsere demokratischen Institutionen wie das Bundesverfassungsgericht stärker gegen Populismus und Verfassungsfeinde schützen können, ist in vollem Gange. Auch, weil Millionen Menschen in Kundgebungen für Vielfalt und gegen Extremismus ein starkes Signal an die Politik gesendet haben.
Wir geben ausgewogenen Inhalten und Stimmen, die an Diskurs statt Polarisierung interessiert sind, mehr Raum.
Könnte, nein müsste diese Diskussion nicht auch um die Frage ergänzt werden, ob auch das Institut freier Medien ein stärkeres Fundament benötigt? Wir werden uns zeitnah der Frage stellen müssen, wie wir stärker dagegen vorgehen können, dass Meinungsfreiheit von demokratiefeindlichen Kräften missbraucht wird. Und dies, ohne den Fehler zu begehen, aus vermeintlich hehren Zielen die Meinungsfreiheit selbst abzuschaffen.
Neben dem - nicht immer einfachen und sicher noch nicht gänzlich zufriedenstellenden - Vorgehen gegen unzulässige Inhalte gibt es aber noch eine andere Möglichkeit: Wir geben ausgewogenen Inhalten und Stimmen, die an Diskurs statt Polarisierung interessiert sind, mehr Raum.
So haben die Landesmedienanstalten in einem im Medienstaatsvertrag angelegten Verfahren Medienangeboten einen sogenannten Public-Value-Status dafür verliehen, dass sie einen besonderen Beitrag für unsere Gesellschaft leisten - insbesondere auch, indem sie in journalistische Strukturen und Sendeformate investieren. Auf Benutzeroberflächen müssen diese Public-Value-Angebote schon jetzt leicht auffindbar sein, und ein Fokus unserer Aufsichtstätigkeit wird in den kommenden 18 Monaten darauf liegen, dass diese Vorgaben vollumfänglich umgesetzt werden.
infobox: Die Medienanstalt Hamburg Schleswig-Holstein (MA HSH) ist die gemeinsame Medienanstalt der Länder Hamburg und Schleswig-Holstein. Sie ist zuständig für die Zulassung von privatem Rundfunk und die Zuweisung von Übertragungskapazitäten. Sie beaufsichtigt Rundfunkangebote und Internetseiten sowie Angebote in Sozialen Netzwerken und auf Plattformen und befasst sich vor allem mit Verstößen gegen den Jugendmedienschutz und Werberegelungen.
Warum nicht auch auf sozialen Medien? Neben den klassischen Medien gibt es viele Influencer:innen, die transparent und sorgfältig arbeiten und ihren Communitys verlässliche Informationen bieten wollen. Damit können sie wichtige zusätzliche Zielgruppen erreichen und in den gemeinsamen Diskurs zurückholen. Menschen, die sich von traditionellen Medien nicht angesprochen fühlen. Über ein freiwilliges Bekenntnis zu Sorgfaltspflichten, verbunden mit einem entsprechenden Siegel, könnten die Inhalte dieser sogenannten Newsfluencer:innen dabei helfen, Brücken zu bauen statt zu polarisieren. Sie müssten hierfür von einem mehr am demokratischen Gemeinwohl als an Nutzungsdauer orientierten Algorithmus stärker berücksichtigt werden.
Wenn wir also weiter gezielt gegen Hass im Netz vorgehen, wenn wir unser Handwerkszeug mit Blick auf Desinformation nachschärfen, wenn wir uns der Diskussion über die Wehrhaftigkeit freier Medien stellen, wenn wir verlässlichen, brückenbauenden Inhalten mehr Raum geben, dann können wir der Gesellschaft ihre Stimme und offene Kommunikationsräume auch im Digitalen wiedergeben.
dir
Zuerst veröffentlicht 08.07.2024 10:51 Letzte Änderung: 08.07.2024 10:52
Schlagworte: Medien, Dokumentation, Sommer Hamburger Mediensymposium, Internet, Hass, NEU
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