Weit voraus - epd medien

08.07.2024 10:00

Die Arte-Dokumentation "Caspar David Friedrich - Die Entdeckung der Unendlichkeit" der Regisseurin Angelika Kellhammer ist kein Kunstseminar - das zahlt sich aus, meint Manfred Riepe, der stattdessen die kontemplative Annäherung schätzt.

epd Nicht gesammelt, nicht gezeigt, nicht geliebt: Im 19. Jahrhundert war der Maler von "Die Kreidefelsen von Rügen" nahezu vergessen. Unvorstellbar, denn heute gilt er als einer der berühmtesten Künstler dieser Epoche. Anlässlich seines 250. Geburtstages eröffnet eine Arte-Dokumentation neue Perspektiven auf Leben und Werk des großen Natur-Malers Caspar David Friedrich (1774-1840).

In ihrem Film nähert Angelika Kellhammer sich auf eine unerwartete Weise an den Maler an, nämlich über Wolken. Diese flüchtigen Formen am Firmament galten lange Zeit als Paradigma des Unfassbaren. Bis sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts präzise katalogisiert wurden: "Endlich Ordnung am Himmel!" sagte sich Goethe und bat den von ihm eigentlich nicht geschätzten Caspar David Friedrich, ihm doch ein Bild mit Wolken darauf zu malen. Obwohl er nichts mehr begehrte als von dem mächtigen Geheimrat geliebt zu werden, sagte der Künstler ab. Denn er wusste nur zu gut, dass man - so wie Goethe sich das offenbar vorstellte - Wolken nicht herauslösen konnte aus dem Zusammenhang, dem Himmel. Wenn er Himmel male, so Friedrichs Frau, dürfe man ihn nicht stören. Himmelmalen sei für ihn "wie Gottesdienst".

Skizzenartiger Blick auf die Biografie

Diese Anekdote, erzählt von dem Autor Florian Illies - dessen Monografie über Friedrich die Bestsellerlisten erklomm -, verdeutlicht die ästhetische Besessenheit, mit der der Maler sich seinen Motiven annäherte. Wie in einer TV-Dokumentation üblich verwebt Kellhammer diese Annäherung mit einem skizzenartigen Blick auf die Biografie des Künstlers sowie Einordnungen verschiedener Experten. Dabei entsteht zuweilen auch jener Eindruck, den wohl jeder einmal hatte, als er während des Besuchs einer Ausstellung auf eine Traube von Menschen traf, die einem Museumsführer lauschen: Mit großen verbalen Aufwand legt der Kunsthistoriker vergleichsweise überschaubare Zusammenhänge dar.

Solche Momente gibt es in "Caspar David Friedrich - Die Entdeckung der Unendlichkeit" eben zuweilen auch. Doch dieses intellektualisierende Gerede, über dessen unfreiwillige Komik sich Woody Allen in seinen Filmen diebisch amüsierte, bricht sich nur dann Bahn, wenn Caspar David Friedrich überfrachtet wird. Etwa mit dem Klimawandel. Interessante Akzente setzt der Film dagegen mit eingebundenen Porträts der finnischen Fotografin Elina Brotherus sowie des isländisch-dänischen Künstlers Ólafur Elíasson, in deren Schaffen das Werk von Caspar David Friedrich auf unterschiedliche Weise eine Schlüsselrolle einnimmt.

Gefühl des Schwindels

Die Dokumentation ist vielstimmig, verliert sich dabei aber nicht in Beliebigkeit. Teilweise erschlossen wird das schillernde Rätsel um die heute noch faszinierenden Motive dieses Künstlers, der auf den ersten Blick ja noch gegenständlich zu malen schien. Doch diese Gegenstände, vor allem die Natur in ihrer Unfassbarkeit, lösen sich unter Caspar David Friedrichs Pinselführung auf eine irritierende Weise auf. In "Der Wanderer über dem Nebelmeer" etwa schaut ein verloren wirkender Betrachter in einen Abgrund.

Das dabei entstehende Gefühl des Schwindels überträgt sich auf den Betrachter des Gemäldes. "Die gemalte Natur verwandelt sich in ein Gefühl", heißt es im Off-Kommentar. Doch über dieses Klischee eines romantischen "Gefühls", in dem alles in einem emphatischen Einerlei verschwimmt, geht der Film glücklicherweise hinaus. Im Gegensatz also zur konventionellen Sichtweise - wonach Gemälde wie "Der einsame Baum" eine romantische "Verbundenheit mit der Natur" ausdrücken würden (wie es im Arte-Programmheft heißt) - vermitteln die latente Angst und die Verunsicherung, die von den Motiven ausgeht, eher das Gegenteil von Verbundenheit. Die schon ein wenig gruselig anmutende "Abtei im Eichwald" oder die fröstelnde Erstarrung in "Das Eismeer" drücken eine Entfremdung von der Geborgenheit im Schoße der "Mutter Natur" aus.

Kamera malt Bilder nach

Sehenswert ist die Dokumentation, weil sie spürbar macht, inwiefern der Maler sich von der konkretistischen Abbildlogik, die die Natur bezwingen will, ein Stück weit entfernt. Friedrich wollte nicht die Natur schlechthin in einen Rahmen zwängen, sondern ihre Unfassbarkeit durchschimmern lassen. Weswegen er für Goethe auch keine Wolken wie Früchte auf den Teller eines Stilllebens servieren wollte.

Nein, ein Kunstseminar ist "Caspar David Friedrich - Die Entdeckung der Unendlichkeit" glücklicherweise nicht. Der Betrachter erhält ausgiebig die Möglichkeit, die faszinierenden Gemälde kontemplativ auf sich wirken zu lassen. Für Paul Georg Busse sind diese stimmungsvollen Bilder eine Steilvorlage, um die Motive mit der Kamera gewissermaßen nachzumalen. Der Film lässt durchblicken, inwiefern der Maler seiner Zeit offenbar weit voraus war. Obwohl hier und da Gemeinplätze anklingen, bleiben kostbare Momente in Erinnerung.

infobox: "Caspar David Friedrich - Die Entdeckung der Unendlichkeit", Buch und Regie: Angelika Kellhammer, Kamera: Paul Georg Busse, Produktion: Bayerischer Rundfunk (Arte/BR, 7.7.24, 16.45 bis 17.40, online bis 7.7.25)



Zuerst veröffentlicht 08.07.2024 12:00

Manfred Riepe

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), Arte, Riepe, Dokumentation, Friedrich, Maler

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