Existenzielle Fragen - epd medien

07.05.2024 12:27

Die dreiteilige Doku-Serie "Ukraine - Als der Krieg in die Redaktion kam" in der Arte-Mediathek beeindruckt Christian Bartels mit bemerkenswerten Reflexionen zur journalistischen Arbeit.

Natalie Sedletska bei einer Redaktionskonferenz unter improvisierten Bedingungen in Lwiw

epd An Bildmaterial zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine herrscht kein Mangel. Deutsche Reporter sind, nachdem anfangs nur wenige ins Kriegsgebiet gereist waren, längst oft dort unterwegs. Selbstverständlich berichten ukrainische Journalisten vielfältig, natürlich zirkuliert russische Propaganda.

Diese Fülle macht es der dreiteiligen Doku-Serie zunächst nicht einfach. Filmautor Dominik Wessely zeigt die Kiewer Investigativredaktion "Schemes" des aus den USA finanzierten Radio Free Europe/Radio Liberty. In der ersten der jeweils gut 30-minütigen Folgen lernt man die moderierende Redaktionsleiterin Natalie Sedletska kennen und sieht, wie die Journalisten bei Kriegsbeginn ins westlicher gelegene Lwiw übersiedelten. Redaktionskonferenzen, Recherchen an Bildschirmen und Begrüßungen sind zu sehen. Das ist journalistischer Alltag, wie er nicht selten gezeigt wird.

Kamera hinter der Kamera

Die Doku-Serie unterscheidet sich zunächst nicht ungemein von vielem, was sonst aus der Ukraine oder über Journalismus berichtet wird. Überlebende Zeugen russischer Gewalttaten berichten, wie sie die Ermordeten zugerichtet fanden - vor der "Schemes"-Kamera, hinter der offenbar noch eine Kamera steht. Hier darf die Frage nach der Sinnhaftigkeit gestellt werden.

An Dichte gewinnt das Ganze, als der Reporter Dmytro Dzhulay nicht bloß erzählt, sondern auch zeigt, wie er zum Beruf kam. Als Praktikant machte er während einer Demonstration auf dem Maidan 2014 zufällig brisante Aufnahmen, zunächst von einer Polizeiattacke auf Demonstranten, dann auch davon, wie Demonstranten einen Polizisten töteten. Journalisten müssen immer alles veröffentlichen, was wichtig ist, lernte er damals.

Ganz andere Dilemmata zeigt vor allem die zweite Folge. Im Dorf Zdvyzhivka, nordwestlich von Kiew, wurden offenbar Massaker wie im bekannteren Butscha verübt. Dzhulay erfuhr von im Wald vergrabenen Leichen und findet dort einen einzelnen Schuh. Wie schwierig das Interviewen von Augenzeugen ist, zeigt exemplarisch das Gespräch mit einem Priester, der Tote fand, die offenkundig gefoltert wurden. Er schildert in Worten, wie sie aussahen. Bilder auf seinem Smartphone zeigt er dem "Schemes"-Reporter, der sie wiederum mit seiner Kamera fotografiert, was nicht ganz einfach ist, da sich im Display die Sonne spiegelt. Das wiederum zeigt die Filmkamera - nicht aber die ursprünglichen Fotos.

Ohne Emotionen

In der Doku-Serie geht es schließlich nicht um die konkrete Recherche zu einem der längst zahllosen Kriegsverbrechen, sondern grundsätzlich um die Arbeit der Reporter. Einerseits ist sie enorm schwierig, andererseits mit der nochmals erheblich schlimmeren Situation vieler Landsleute im Kriegsgebiet kaum zu vergleichen. Hierfür findet "Als der Krieg in die Redaktion kam" eindrückliche Bilder.

Wie bemerkenswert nüchtern die "Schemes"-Reporter sprechen, ohne dass Wut oder andere Emotionen, die sie angesichts vieler ermordeter und vergewaltigter Opfer empfinden müssen, deutlich werden, kann auch erstaunen. Haben sie solche Gefühle zu häufig oder gelernt, dass Wut bei ihrer Arbeit nicht hilft?

Um das Gefühl, dass sie im vergleichsweise sicheren Kiew "den echten Krieg" nicht erleben, und die Frage, ob ihre Arbeit der Ukraine mehr hilft, als es der Kampf an der Front täte, geht es in der dritten Folge. Wie steht es in einem über Jahre hinweg tödlichen Verteidigungskrieg um die - in Deutschland ja gerne und oft reflexhaft betonte - Wichtigkeit journalistischer Arbeit? Solche Fragen gewinnen noch mehr Wucht vor dem Hintergrund, dass dieser Krieg mitten in Europa stattfindet und die journalistische Arbeit im Kern dort so abläuft wie hier.

Und sie hallen nach, diese Fragen. Die nach der Sinnhaftigkeit dieser Doku-Serie stellt sich nicht mehr, denn "Als der Krieg in die Redaktion kam" wirft bemerkenswert existenzielle Fragen nicht nur, aber besonders auch zum Journalismus auf.

infobox: "Ukraine - Als der Krieg in die Redaktion kam", Doku-Serie, Regie und Buch: Dominik Wessely, Kamera: Sebastian Weis, Vanessa Schlesier, Produktion: DocDays (Arte/BR, seit 2.5.24 in der Arte-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 07.05.2024 14:27

Christian Bartels

Schlagworte: Medien, Kritik, Fernsehen, Krititk.(Fernsehen), Ukraine, Dokumentation, Wessely, KArte, Bartels

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