Hauch von Ambiguität - epd medien

22.05.2024 08:20

In der ARD-Doku "Der Star-Anwalt: Christian Schertz und die Medien" bekommt Christian Schertz reichlich Gelegenheit zur Selbstdarstellung, findet Christian Bartels. Eine gewisse Grundspannung biete der Film seinen Zuschauern dennoch.

Medienanwalt Christian Schertz

epd Er ist "der bekannteste Presseanwalt Deutschlands", wird geliebt, gefürchtet, "vielleicht sogar gehasst", sagt Kommentarsprecherin Katja Straub. Dazu loben prominente Gesichter wie Günther Jauch, Karl-Theodor zu Guttenberg und "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo die Arbeit von Christian Schertz. Die größten Gesten vollführt Bestsellerautor Benjamin von Stuckrad-Barre.

Die 60-minütige Doku rollt ihrem Protagonisten einen roten Teppich aus, bevor Schertz erstmals auftritt. Der Off-Kommentar verspricht "eine ganze Welt, die sonst topsecret ist", bevor die Kamera ein wenig durch die unspektakulären Berliner Räumlichkeiten der Kanzlei Schertz Bergmann fährt. Sie vertritt "manchmal sogar Hollywoodstars". Es wimmelt von Superlativen.

Prägnante Oneliner

Mit Journalisten, die die Arbeit des Juristen kritisch sehen, habe man auch sprechen wollen, beteuert der Kommentar: "Doch kaum einer will reden", "manche haben Angst". Wer sich dann doch fand, wie di Lorenzo und Jana Simon von der "Zeit" sowie der wohl bekannteste Medienjournalist Stefan Niggemeier, hat in der Regel bereits mit Schertz zusammengearbeitet.

Dass der redselige Off-Kommentar allerhand Schertz-Äußerungen zitiert, gestattet dem Anwalt, kurz-prägnante Oneliner zu setzen. Weil er sich gerne am Schreibtisch, beim Telefonieren, beim Autofahren filmen ließ und so allerhand Schnittmaterial zusammenkam, können Sätze wie "Ich mach doch nur einfach meinen Job" gut nachhallen. Etwa die starke Zeile, es sei doch "so alt wie der Rock'n'Roll", dass Stars und ihre Fans Sex haben. Da geht es um den Rammstein-Sänger Till Lindemann, den Schertz' Kanzlei gegen zahlreiche Vorwürfe vertritt.

zitat: Moral und Recht - ist das eins?

Bei diesem Thema erwirbt sich die ARD-Doku, so prominenzversessen und dröhnend aufmerksamkeitsheischend sie auch daherkommt, gewisse Meriten. Wie die meisten Medien steht sie auf der Gegenseite, also aufseiten der Frauen, die Lindemann und Rammstein vieles vorwerfen, was sich, womöglich auch dank Schertz, bislang aber nicht als justiziabel erwiesen hat.

Dass der Protagonist hier die andere Seite vertritt, bringt eine Ambiguität in den Film, die sonst nicht zu den Stärken der ARD gehört. Es gibt einiges über Vorverurteilung und Verdachtsberichterstattung zu hören. "Moral und Recht - ist das eins?", fragt der Off-Kommentar und zitiert den offenbar von Schertz formulierten Begriff der "Zeitgeist-Moral", von der Journalisten sich nicht treiben lassen sollten. Selbst spricht der Jurist vom "puritanischen Adenauer-Deutschland". Dahin zurück wollen wir ja auch nicht wieder, oder? "Die Kunstfigur ist nicht die Privatperson, alles sehr kompliziert", bilanziert der Off-Kommentar zu Lindemann - und der letzte Halbsatz stellt klar, wie fern der Gedanke, komplizierte Dinge darstellen zu wollen, liegt.

Gewisse Grundspannung

Schließlich geht es dann um "die erste große Me-Too-Geschichte in Deutschland", die Vorwürfe sexueller Gewalt gegen Frauen, die der 2022 verstorbene Fernsehregisseur Dieter Wedel begangen habe. Wie "bisher nur wenige wissen", betont der Off-Kommentar, habe Schertz die Zeuginnen beraten und ihnen den Kontakt zur "Zeit"-Redaktion vermittelt, die sie dann veröffentlichte. Das war "die riskanteste Recherche, die wir je gemacht haben", setzt di Lorenzo einen weiteren Superlativ drauf. Stand Schertz hier also wieder auf der richtigen Seite?

Dieser durchgehende Hauch von Ambiguität sorgt für eine gewisse Grundspannung. Das muss man dem Film lassen. Die Schwächen wett macht er nicht. Wenn etwa Stuckrad-Barre, kaum dass er seinen Anwalt umarmt hat, performativ zu schwärmen beginnt, wird es geradezu langweilig. Weniger prominenzfixierte Filme hätten so etwas gekürzt, um Raum für Interessanteres zu gewinnen.

Zu kompliziert

Was der Film knapp über Schertz' Einsatz für Jan Böhmermanns "Schmähgedicht" gegen den türkischen Regierungschef Erdogan und dessen Klage mitteilt, bleibt ohne Vorwissen wenig verständlich. Außer Hollywoodstars vertrete Schertz auch Politiker, heißt es einmal. Dass er just die Bundesentwicklungsministerin bei einer mindestens merkwürdigen Klage gegen den gewiss zweifelhaften Julian Reichelt vertrat, die das Verfassungsgericht in deutlichen Formulierungen abwies, hätte erwähnt werden müssen, wie Michael Hanfeld zu Recht in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" kritisierte.

Vom zusehends mehr diskutierten Phänomen der Slapp-Klagen kann man auf einem Plakat einer Anti-Rammstein-Demonstration lesen. Was Schertz zu solchen "Strategic Lawsuits against Public Participation"-Einschüchterungsklagen sagt, wäre interessant gewesen und hätte über seinen Klientenkreis hinausgewiesen. Auch seine Meinung zu "Kill Till"-Plakaten, von denen dieselbe Demo-Szene eines zeigte, wäre von Interesse.

Aber klar, das wäre wieder kompliziert geworden und hätte womöglich nicht zur Selbstdarstellung des Anwalts gepasst. Und die spielt hier eindeutig die Hauptrolle.

infobox: "Der Star-Anwalt: Christian Schertz und die Medien", Dokumentation, Regie und Buch: Nora Binder, Kamera: Felix Landbeck (ARD/HR/RBB/MDR, 13.5.24, 22.50-23.50 Uhr und bis 12.5.26 in der ARD-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 22.05.2024 10:20 Letzte Änderung: 22.05.2024 16:34

Christian Bartels

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, Dokumentation, Bartels, Schertz, NEU

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