Emanzipationsgeschichte einer Kleinstadtfrau - epd medien

29.09.2024 12:05

Im ZDF-"Herzkino"-Film "So weit kommt's noch" spielt Annette Frier wie immer notorisch sympathisch ihre Rolle. Auch große Fragen werden in diesem seichten Unterhaltungsformat aufgeworfen.

Bärbel Schmitz (Annette Frier) findet einen mysteriösen Zettel in einem Hemd

epd Protagonistin dieses ZDF-"Herzkino"-Films ist Frau Bärbel Schmitz (Annette Frier). Beschäftigt am Empfang der "Rheinland Logistics", wohnhaft in einem Kaff bei Köln in dem von den Eltern ererbten Haus. Bärbel hat drei Kinder, zwei davon sind schon aus dem Haus. Ehemann Lutz (Henning Baum) sitzt längst nur noch allein im Hobbykeller, träumt von den Weltmeeren und bastelt Modellboote.

Da flattert Frau Schmitz ein Zettel ins Haus, der ihr Leben verändern wird. Er befindet sich in einem Hemd aus Bangladesch, einem Verlegenheitsgeschenk für den Ehemann, zu dem Frau Schmitz nicht mehr viel einfällt. Jemand bittet um Hilfe für seine Familie, er sei arm und brauche Medikamente für sein hustendes Kind.

Geld vom Segelboot-Sparkonto

In Frau Schmitz gerät eine Seite zum Klingen, sie will dem Unbekannten helfen. Dabei versucht sie gar nicht erst wirklich, ihren Wunsch mit dem geistig abwesenden Ehemann zu besprechen. Mit ihren erwachsenen Kindern und ihrer Mutter versucht sie es durchaus, blitzt aber ziemlich ab. Allerdings bekommt sie von der Mutter einen dahingesagten Satz mit auf dem Weg. Man sage doch: "Wer einen Menschen rettet, rettet die ganze Welt".

Daraufhin ist für Bärbel Schmitz die Sache klar. Mithilfe eines NGO-Mitarbeiters, der enorm an Kevin Kühnert erinnert (Matti Schmidt-Schaller als Noah), wächst die "kleine Frau" aus der Provinz über ihre ganze Bärbel-Schmitzigkeit hinaus und findet den Verfasser des Hilferufs. Sie hat einen Videocall mit ihm, schickt Geld - und entdeckt, dass hinter der Geschichte noch eine ganz andere Geschichte steckt. Schließlich holt sie das dennoch existierende kranke Kind und dessen Mutter nach Deutschland.

Ihren Ehemann ist sie auf ihrem Weg allerdings losgeworden, denn der fand es nicht so gut, dass sie ungefragt von seinem Segelboot-Sparkonto Geld für ihr verheimlichtes Projekt abgehoben hatte. Doch das Herzkino wäre nicht das Herzkino, stünde er am Ende nicht wieder vor der Tür, wo seine Frau mit Mutter und Kind aus Bangladesch zusammenwohnt.

Vom Hosenschlitz überfordert

Was für ein merkwürdiger Film. Er beginnt ausgesprochen zotig, wobei für das Derbe hier die Oma zuständig ist und im Verlauf des Films auch bleibt (Jutta Speidel). Gleich zu Beginn blökt sie, ihre Tochter Bärbel sei technisch so unbegabt wie der Vater, der mit seinem Reißverschluss am Hosenschlitz technisch überfordert gewesen sei. Ist das der Humor, von dem das ZDF denkt, dass er bei den Bärbel Schmitzens vor dem Bildschirm ankommt?

Wer daraufhin abgeschaltet hat, verpasste einen Film, der eigentlich eine ganz andere Grundfarbe hat - manchmal wirkt er fast wie ein modernes Märchen, dabei erzählt er zugleich die Emanzipationsgeschichte der kleinen Kleinstadtfrau. Und wirft, als wäre das nichts, ganz ungeniert die richtig großen Fragen auf: Stimmt das spätestens seit "Schindlers Liste" berühmte Talmud-Zitat? Rettet die Welt, wer ein Menschenleben rettet? Mal will der Film komödiantisch sein, dann meint Frau Schmitz es aber auch wieder ernst.

Die ganz große Frage bleibt zwar offen, doch da Annette Frier so notorisch sympathisch ist, wie sie ist, ist man automatisch auf ihrer Seite. Dabei ist ihr Verhalten eigentlich daneben, mal ganz abgesehen davon, ob das Geld als Spende bei einer professionellen Hilfsorganisation nicht fairer investiert gewesen wäre.

Ein irgendwie verwirrender Film, bei dem man nie so richtig weiß, woran man ist. Immerhin aber auch ein Versuch, in einem eher schlichten Unterhaltungsformat die komplexen Probleme der Welt nicht einfach auszublenden.

infobox: "So weit kommt's noch", Fernsehfilm, Regie und Buch: Rupert Henning, Kamera Josef Mittendorfer, Produktion: Bantry Bay Prouductions und WHee Film (ZDF, 29.9.24, 20.15-21.45 Uhr und seit 21.9.24 in der ZDF-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 29.09.2024 14:05 Letzte Änderung: 30.09.2024 11:38

Andrea Kaiser

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Fernsehfilm, Kaiser, Henning, NEU

zur Startseite von epd medien