Was uns zufällt - epd medien

29.05.2024 09:37

Eva Meyer und Eran Schaerf haben ihr BR-Hörspiel "Europa, halbnah. Obwohl wir wieder da sind, werden wir doch nie zurückkehren" dem ägyptischen Schriftsteller Waguih Ghali gewidmet, dessen 1964 erschienener Roman "Snooker in Kairo" zu einem Schlüsselwerk für die Protestierenden der "Arabellion" wurde.

epd Die vier Freunde Ram, Font, Edna und Levy sind Ägypter koptischer, jüdischer und muslimischer Herkunft. Sie erleben Mitte des 20. Jahrhunderts die sozialen Veränderungen ihres multiethnischen Landes. Auf unterschiedliche Weise hadern sie mit ihren trotz allem festgezurrten Klassenzugehörigkeiten, ihrer Selbstwahrnehmung, den ethnischen oder religiösen Identitäten, die ihre Individualität mal dominieren, dann wieder Schutz vor ihr bieten. Kosmopoliten sind sie, doch entwurzelt, enttäuscht, von sich selbst und den Freunden, angeekelt und verliebt.

Der ägyptische Schriftsteller Waguih Ghali schrieb seinen Roman "Snooker in Kairo" (auf Englisch: "Beer in the Snooker Club"), nachdem er 1958 als Kommunist nach England geflohen war. Sein Pass lief ab, er ging nach Deutschland, aber auch hier wurde er nicht heimisch und kehrte nach London zurück. Elegant, eloquent und gewinnend soll er gewesen sein. "Schleichend habe ich mein natürliches Selbst verloren", heißt es in seinem Buch. "Ich bin nur noch eine Figur in einem Roman oder in einem anderen Produkt der Fantasie; bin der Schauspieler in meinem eigenen Theater; bin der Zuschauer in meinem eigenen improvisierten Stück." 1969 nahm sich Ghali in London das Leben.

Schlüsselwerk der "Arabellion"

Sein Roman wurde vor wenigen Jahren neu aufgelegt und zu einem Schlüsselwerk für die Protestierenden der "Arabellion". Dass über ein, zwei Ecken letztlich alles zu allem anschlussfähig ist, seien es Zeiten, Ethnien oder politische Ideen, mit diesem Gedanken spielen Eva Meyer und Eran Schaerf in ihrem Ghali gewidmeten Hörspiel der Reihe "Europa, halbnah". Der spröde Titel "Obwohl wir wieder da sind, werden wir doch nie zurückkehren" ist einer der vielen plaudernd zerquälten Sätze aus "Snooker in Kairo".

Die Berliner Filmemacherin und Autorin Eva Meyer und der in Berlin lebende israelische bildende Künstler Eran Schaerf, deren gemeinsame Filme Elfriede Jelinek einmal mit "Strichcodes" verglichen hat, gehen nicht psychologisch-forschend vor. Sie sampeln, sie spielen. Sie verwenden die Regeln des Dominospiels als Kompositionsprinzip. Das klingt abstrakt und ist es auch. Wer genau legt fest, welche Steine zum Einsatz kommen und welche Zahlen welchen Textfragmenten zugeordnet sind? Das bleibt opak, doch genau darum scheint es zu gehen.

Narrative Geschmeidigkeiten

Man sollte das Hörspiel deshalb wie ein Musikstück mehrmals hören, dabei immer weniger auf narrative Geschmeidigkeiten oder Identifikationsangebote achten als auf wiederkehrende Signalworte und -sätze. Zusammen mit Suchan Kinoshitas meist wie Zäsuren eingefügten, betont einfachen Synthesizer-Tonfolgen, die aufsteigen, absteigen, dann wieder monoton verharren, erschließen sich nicht nur Struktur und Rhythmus. Es öffnen sich auch Türen, die beim ersten Hören womöglich verschlossen geblieben waren.

"Er wusste, dass er als Schriftsteller nur ein Thema hatte, sich selbst", schreibt Diana Athill, Ghalis Lektorin bei Andre Deutsch, als "Snooker in Kairo" zum ersten Mal veröffentlicht wurde. Weil das Erzähler-Ich, das sich als "Du" anspricht, immer wieder um das "Wahre" und "Echte" ringt, dieses bei sich selbst und bei anderen vermisst, könnte eine heutige Hörerschaft etwas allergisch auf all die Stichworte reagieren. Es braucht schon auch ein wenig polithistorischen, postkolonialistischen Hintergrund, um dieses Kreisen ums eigene Befinden in seiner Bedingtheit zu erfassen. Dann wird klar, dass das Leiden an sich selbst ein Leiden unter Klassismus (auch dem eigenen), Rassismus (auch dem eigenen), Orientierungslosigkeit und Liebesunfähigkeit ist, ein Überdruss auch an der eigenen Person.

Lakonie und Humor treten in den Hintergrund

Es gibt kaum eine Handlung, kaum eine Aussage, die der Erzähler, Ram, unbefangen vollführt. Stets überprüft er, geht er in die Introspektion, bei sich und den Freunden: "Spielt Font wirklich gern Domino mit dem Kaffeehausbesitzer oder passt es lediglich in das Bild, das er von sich haben will?" Der Erzähler spaltet sich auf, in den einen, "der an allem sich beteiligt", und den anderen, "der beobachtet". Echtes gibt es, da ist er sich sicher: "Aber bist du dir sicher, dass eine echte und wahre Situation nicht vortäuscht, die zu sein, die sie vorgibt?"

In ihrem Hörspiel lassen Meyer und Schaerf die Lakonie und den Humor, die Waguih Ghalis Buch ausmachen, in den Hintergrund treten. In ihrer verdichteten, mit Wiederholungen und Fragmentierungen arbeitenden Montage wird vielmehr das fruchtlose und selbstquälerische Kreisen um sich selbst zum Ereignis. Samir Fuchs' Stimme tastet sich mit warmem, melancholischem Timbre Stein für Stein, Gedanke für Gedanke voran. Beobachtungen der Außenwelt, meist ist es ein Blick durchs Fenster, bleiben, wie hinter dickem Glas verschanzt, eingetrübt wohl auch durch den Whisky, den der Erzähler sich unentwegt einschenkt, in einem Tonfall ergebener Selbstzerstörung, der aber noch spöttisch an die Möglichkeit des gebildeten Lebemanns erinnert, der er sein wollte, sein musste - den er verachtete.

Beklemmend aktuelles Gefühl

Sätze aus dem 1964 erschienenen Buch treffen auch heute noch einen Nerv: "Die Kultiviertheit Europas hat etwas Gutes und Natürliches in uns getötet, es ein für alle Mal getötet (…) unwiederbringlich. Heute ist mir bewusst, dass wir beide, Font und auch ich, das Beste verloren haben, was wir je besessen haben: das Geschenk unserer Geburt gewissermaßen; etwas, das unbeschreiblich ist, aber gesetzt und geheimnisvoll und vor allem natürlich." Wie mag ein solcher Text auf Menschen wirken, die heute wieder ihre Heimat verlassen müssen? Oder doppelt enttäuscht zurückkehren - vom Exil und vom Zustand des Herkunftslandes?

Die von Meyer und Schaerf sorgsam ausgewählten und gesampelten Worte Waguih Ghalis schaffen ein beklemmend aktuelles Gefühl für den unauflösbaren Widerspruch zwischen der Sehnsucht, wahrgenommen zu werden als die Person, die man "natürlicherweise" ist, und dem Drang, einer auf Selbstinszenierung und Selbstbehauptung angewiesenen Aufmerksamkeitsökonomie einfach durch Entzug zu entgehen - vielleicht, weil auch der Erzähler erkennen muss, dass es ein "natürliches Selbst" nicht gibt, sondern immer nur Zuschreibungen, eigene und fremde.

infobox: "Europa, halbnah. Obwohl wir wieder da sind, werden wir doch nie zurückkehren", Hörspiel, Regie und Buch: Eva Meyer und Eran Schaerf, Musik: Suchan Kinoshita (Bayern 2, 24.5.24, 20.00-22.00 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 29.05.2024 11:37 Letzte Änderung: 31.05.2024 10:08

Cosima Lutz

Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), Hörspiel, KBR2, Meyer, Schaerf, Lutz, NEU

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