Nüchtern, hell, klar - epd medien

06.06.2024 08:10

"Festmachen" kann viele Bedeutungen haben. Doch die im Schifffahrtsmilieu spielende NDR-Miniserie drängt sich nicht prätentiös auf, sondern beobachtet einfach ganz genau, lobt Heike Hupertz.

Offizierin Malika (Salka Weber) tut alles für die Beförderung zur Kapitänin

epd Von Schifffahrtsromantik, von "Großer Freiheit Nr. 7", singenden Seeleuten auf der Reeperbahn und Frauen, die in Hafenstädten warten, bis ihr Matrose wieder Landgang hat, könnte die fünfteilige NDR-Mini-Seefahrtsserie "Festmachen" kaum entfernter sein. Obwohl es um die Faszination der Weite der See geht. Die Gegensätze von Meer und Land, Containerschiff und Hafenbetrieb spielen Hauptrollen in Hilke Rönnfeldts Serienarbeit für das NDR-Nachwuchsprogramm "Nordlichter".

Der beobachtende Stil und das genaue Hinschauen der dokumentarisch klarsichtigen Kamera von Jenny Lou Ziegel evozieren weder Sehnsuchtsemotion noch Freiheitspathos. Auch Drehbuch und Regie zeigen keine Absicht, die Figur der verschlossenen Schiffsoffizierin Malika (Salka Weber) zu erklären. Sie wird charakterlicher Prüfung unterzogen, wird in eine Art Bildungsroman- oder Fegefeuererfahrung geschickt, wird hin und her geschubst - und sie schubst vor allem selbst andere herum. Sie ist nicht einmal sympathisch, fordert keine Empathie heraus, nur ein gewisses Interesse. Zumindest zu Beginn.

Wie eine beiläufig begleitete Versuchsanordnung, so sieht "Festmachen" aus. Angenehm nüchtern, hell, klar, ohne Fisimatenten gestaltet. Naturalistisches Experiment. Ob einem das gefällt, ist Geschmackssache.

Notwendigkeit des Funktionierens

Die Serie hat aber noch andere Meriten. Eher selten behandeln hierzulande fiktionale Formate Arbeitswelten, zuletzt gab es einiges aus dem Bereich Paketauslieferungsgewerbe mit seinen Sub- und Sub-Sub-Unternehmerstrukturen und unzumutbaren Arbeitsbedingungen (auch als Krimi-Sujet). "Festmachen", zugleich "Work-Place"-Dramedy und "Sozialkompetenz-Coming-of-Age"-Geschichte, betrachtet beides genau - die strikt festgelegten Handlungs- und Steuerungsabläufe an Bord eines großen Container-Frachtschiffs und die Veränderungsbereitschaft der ehrgeizigen Einzelgängerin Malika. Die Serie schaut auf die Hierarchie und die Notwendigkeit des Funktionierens jeder einzelnen Person an Bord, die für Persönliches in der Arbeitszeit keinen Platz vorsieht.

Sie schaut aber auch genau auf die Abläufe, Techniken und die Bedeutung des Festmacher-Handwerks im Hafen, auf die Unbedingtheit gemeinsamen Handelns, nicht zuletzt aus Gründen der Sicherheit aller. Auf das Miteinander nicht wegen Disziplinierungserfordernissen, sondern als Einstellungssache. "Wie am Schnürchen" - das gilt auf See und an Land gleichermaßen, aber auf andere Weise.

Nachdem Offizierin Malika an Bord von ihrer Kapitänin (Sonja Richter) schon eine Weile mit Argwohn beobachtet wurde, weil sie ihre Vorgesetztenrolle allzu überheblich auszukosten scheint und schließlich die Befehlsmacht gegenüber dem Kadetten Piontek (Magnus Marlison) in einer Weise ausnutzt, die fast zu einer Katastrophe führt, ist Schluss mit offener See. Statt der Beförderung erwartet die ehemalige Überfliegerin des Nautik-Studiums nicht das Kapitänspatent, sondern die Bewährungsprobe an Land. Über den Sommer soll sie an der Hafenschleuse anpacken, als Teil der Festmacher Taue werfen und Schiffe sichern.

Sparsam eingesetzte Dialoge

Die sparsam eingesetzten Dialoge erläutern wenig, mit Worten wird hier kaum etwas ausgedrückt. Im Mittelpunkt der Szenen stehen Handlungen - und immer wieder Malikas sprachvermeidende Mimik. Diskutieren ist Sache der Figuren in "Festmachen" insgesamt nicht so. Bitter: Statt am Ziel ist Malika erst einmal wieder im Transit. Mitfühlen stellt sich kaum ein, eher Neugier. Die Neue gibt sich keine Mühe, den Chef Kort (Karsten Antonio Mielke) oder die Kolleginnen Tümay (Meryem Ebru Öz) und Magga (Nina Petri), geschweige denn die Kollegen Enno (Nils Rovira-Munoz), Harry (Jochen Nickel) oder Ludde (Peter Plaugborg) zu beeindrucken. Die Abneigung scheint gegenseitig, zunächst zumindest.

Hier nimmt sich "Festmachen" über die nächsten Folgen Zeit mit der Entwicklung der Beziehungen, ohne dabei auf der Stelle zu treten. Lange Fahrten durchs ausgedehnte Hafengelände, Warten auf die Schiffe, Handgriffe üben, Abläufe miteinander ausführen, die Neue ist dabei, wenn auch widerwillig. Nach und nach geschieht Öffnung. Es ist eine besondere Teamatmosphäre im Hafen, den man auch als Metapher sehen kann, wozu man aber nicht "dramatisch" gezwungen wird.

"Festmachen" drängt sich nicht auf, behauptet keinen Bedeutungsüberschuss, will nicht unbedingt doppelten Boden einziehen. Der nicht wertende Blick der Serie funktioniert. In der dargestellten Authentizität der Arbeitswelt scheint die universellere Erzählung von Selbstfindung und Fremdorientierung einfach mit eingeschlossen. Ihre persönliche Primus-inter-pares-Qualitätssteigerung erlebt Malika, als sie auch emotional mit den anderen Festmachern auf Tuchfühlung geht.

Gelegentlich erlauben die Lakonie und das Angebot der Freiheit der Interpretation in "Festmachen" gar eine Reminiszenz an "Warten auf Godot". Aber ein Schiff wird kommen. Der Blick auf diese feine, kleine, horizontöffnende Geschichte aus der Arbeitswelt des Verantwortung-Spürens lohnt sich.

infobox: "Festmachen", fünfteilige Miniserie, Regie und Buch: Hilke Rönnfeldt, Kamera: Jenny Lou Ziegel, Produktion: Leitwolf Filmproduktion (ARD-Mediathek/NDR ab 7.6.24; One, 7.6.24, 22.30-0.25 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 06.06.2024 10:10 Letzte Änderung: 06.06.2024 10:50

Heike Hupertz

Schlagworte: Medien, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, Rönnfeldt, Festmachen, Hupertz, NEU

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