20.06.2024 09:53
epd Es geht das Gerücht, dass beim Theater Kunst und Leben eins werden, besonders hinter den Kulissen. Wenn der Vorhang fällt, geht das Drama weiter. Opernregisseur Barrie Kosky, der schon die Berliner Komische Oper zum "Opernhaus des Jahres" führte, ausgewiesener Experte der produktiven Verbindung des Glitzernd-Schrillen mit dem Amüsierpotenzial von Oper und Operette, nimmt in der Miniserie "For the Drama" (ARD-Kultur) dazu Stellung.
Work-Life-Balance sei am Opernhaus Fremdwort, die Arbeit sei das Leben. Ob das auch für die Beleuchter und die Mitarbeiter der Theaterwerkstatt gilt, für Kulissenmaler und Kostümbildnerinnen, für Schreiner und Waffenmeister, Feuerwehrleute und Pförtner, die, in Schlaglicht-Ausschnitten bei den Vorbereitungen zur Aufführung der Operette "Die Fledermaus" von Johann Strauß gezeigt werden? Das kennen wir anders, die Gewerkschaften passen auf. Eine Aufführung ist das Produkt der Zusammenarbeit vieler. Nicht alle verstehen sich so, dass die Kunst das Leben regiert, Zeit und Geld egal sind.
Es ist eine romantische Vorstellung, die einen Zauber der Transformation noch über die banalsten, schlecht bezahlten Tätigkeiten im Theater legt. Von diesem Klischee, von dieser für die Kreativen zutreffenden Leidenschaft geht "For the Drama" aus. Doch was hier unterm Himmelsfunkenfirmament künstlerischer Inspiration und mit an sich wahnsinnig komischen Begleitumständen aufgeführt wird, sieht im Ergebnis ernüchternd aus.
Ende 2023 probt Barrie Kosky mit Vladimir Jurowski als Dirigent "Die Fledermaus" an der Bayerischen Staatsoper in München. Die Hauptrollen singen und spielen Georg Nigl (als Gabriel von Eisenstein) und Diana Damrau (als Gattin Rosalinde). Wir sehen eine Art Making-Off, auf einer Ebene.
Während beispielsweise Max Pollak als einer der Frösche steppt, während die Fledermäuse Eisenstein tanzend auf der noch unfertigen Bühne bedrängen und sich das Eifersuchts- und Verratdrama entfaltet, während Ouvertüre und Walzer den musikalischen Hintergrund liefern, spielt sich in den Seitengassen, im publikumsfreien Zuschauerraum, auf dem Klo, in der Kantine, in Garderobe und Maske das "Real-Life"-Drama ab, das in "For the Drama" im Mittelpunkt stehen soll. Es wird rumdiskutiert, geraucht, gerühstückt, geschmollt - Emotionen werden eher sparsam geäußert.
Die Handlung der "Fledermaus" spiegelt sich hier in einer aufgesetzten fiktiven Handlung, in der Gabriel (Eidin Jalali) und Rosa (Marie Nasemann) die Zweitbesetzung für Eisenstein und Rosalinde sind und als solche vor allem warten, bis sie dran sind mit Proben. Gabriel, ein selbstbezogener junger Mann, der sich ohne große Ambitionen in der Staatsoper eingerichtet hat, die er eigenem Bekunden nach liebt, vermutet, dass seine Partnerin ihn betrügt. Seine Rosa hat erst hörbar Sex in ihrer Garderobe, windet sich um eine Aussprache, bekommt die Nachricht, dass sie am Opernhaus Sydney ein festes Engagement als Erstbesetzung für die Königin der Nacht erhält und entdeckt fast gleichzeitig, dass sie schwanger ist.
Die Zweithandlung dieser Zweitbesetzung hört sich freilich wesentlich aufregender an als sie ist. Der Inszenierung der beiden "For the Drama"-Hauptdarsteller Eidin und Nasemann glaubt man die Bühnenpräsenz nicht. Ihren mit improvisiertem Text vorgetragenen Konflikten wohnt wenig Emotion inne, ihrem Streit kein Zauber der Leidenschaft, ihren Körpern und Stimmen wenig Überzeugungskraft.
Die Idee ist eigentlich charmant. Das Kulturinteressierten wohlbekannte "Fledermaus"-Zerwürfnis, von Barrie Kosky als Gllitzerspektakel und mit queerem Divenflair augenzwinkernd over the top gehoben auf der einen, die Doppelgänger-Verlebendigung des Paarkonflikts hinter den Kulissen auf der anderen Seite, das könnte unterhaltsam sein und mitreißend.
Der Durchführung, dem Buch, der Inszenierung und der Kamera merkt man aber leider den bescheidenen Zuschnitt und die gewollte Ernsthaftigkeit der Kulturvermittlung für Einsteiger übermäßig an. So wirkt die Szene, in der Gabriel Vladimir Jurowski nach dem Verhältnis von Musiktheater-Regisseur und Dirigent befragt, wie eine "Einführung zum Erfüllen des Kulturauftrags".
Alles in allem gibt es viel verschenktes Potenzial, dafür den Erklärbär-Modus. Von der Kosky-Inszenierung sieht man bloß gereihte Proben-Häppchen, die kaum Atmosphäre vermitteln. Das Zweitbesetzungspaar wirkt uninspiriert. Noch langweiliger sind bloß Pförtner Alf (Wilson Gonzalez Ochsenknecht) und Regieassistentin Sophie (Vivien König). Man sieht "For the Drama" allzu sehr das Bemühen an, Niedrigschwelligkeit mit Seriosität zu verbinden. Mehr Orlofsky mit Glitzerbart, ein größerer Auftritt von Beauty- und Makeup-Künstlerin Avi Jakobs in der Maske - mehr Drama, Baby, wäre einfach mehr gewesen.
infobox: "For the Drama", dreiteilige Miniserie, Regie: Ingo J. Biermann, Buch: David L. Brenner, Kristian Wolf, Kamera: Nina Wesemann, Chris Hirschhäuser, Produktion: Brenner & Mai Film (3sat/ARD-Kultur, 29.6.24, 21.55-23.25 Uhr sowie seit 20.6.24 bei ARD-Kultur und in der ARD-Mediathek)
Zuerst veröffentlicht 20.06.2024 11:53 Letzte Änderung: 21.06.2024 10:04
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), Brenner, Wolf, Hupertz, NEU
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