Gebrochener Abtrünniger - epd medien

25.05.2024 08:00

Drei Jahre nach dem Zweiteiler "Im Netz der Camorra" zeigt das ZDF jetzt das Finale: "Der Gejagte" mit Tobias Moretti ist ein atmosphärisch dichter Film über einen Abtrünnigen der Mafia.

MatteoDeCanin (Tobias Moretti) mit seiner Tochter Laura (Antonia Moretti) in "Der Gejagte - Im Netz der Camorra"

epd Angesichts der Ausstrahlungsgeschichte dieses 2022 gedrehten Films könnte der Eindruck entstehen, das ZDF habe nicht so recht an ihn geglaubt: Immerhin sind seit der TV-Premiere des Zweiteilers "Im Netz der Camorra", den er fortschreibt, fast drei Jahre vergangen; bereits im Dezember 2022 wurde "Der Gejagte" auf Servus TV gezeigt, im Januar 2023 dann auf Magenta TV. Und nun erst läuft das 90-minütige Finale auch im ZDF.

Beim Sehen bestätigt sich solche Skepsis allerdings nicht: Erstaunlich schnell ist der Zuschauer wieder drin in der Geschichte des ehemaligen neapolitanischen Mafia-Mörders Lorenzo (Tobias Moretti), der seine verbrecherische Vergangenheit hinter sich gelassen und unter dem Namen Matteo DeCanin als Weingutbetreiber in Südtirol ein neues Leben begonnen hatte. In den von Andreas Prochaska inszenierten ersten beiden Teilen bekam er ungebetenen Besuch seiner alten "Freunde", wurde erpresst und erneut zum Täter.

Matteo trinkt zu viel

Den blutigen Showdown auf einer Berghütte überlebten er, Ehefrau Stefania (Ursina Lardi) und Tochter Laura (Antonia Moretti) nur knapp. Zu Beginn des dritten Teils befindet er sich in einem Zeugenschutzprogramm auf einer ligurischen Insel und steht kurz vor einer wichtigen Aussage gegen seinen ehemaligen Clan.

Nachdem der Vorspann gezeigt hat, wie Stefania in einer Tiefgarage von einer Autobombe zerfetzt wurde, wird klar, dass die Stimmung zwischen Vater und Tochter auf dem isolierten Eiland zum Zerreißen gespannt ist. "Die Zeit steht still", beschreibt Laura aus dem Off ihren Gemütszustand. Matteo trinkt zu viel und zwingt sie zu Schießübungen.

Obwohl Autor und Regisseur gewechselt haben, knüpft "Der Gejagte" bruchlos an die Qualitäten der Vorgängerfilme an. Wie dort sind auch hier die Plot-Versatzstücke klassisch: Laura will ausbrechen und mit ihrer Freundin Chiara (Clara Wolfram) durch Lateinamerika reisen. Sie flieht von der Insel, wird von der allgegenwärtigen Camorra gekidnappt und als Köder und Druckmittel gegen ihren Vater eingesetzt.

Moretti ist eine Schau

Wie in den ersten beiden Teilen kommt es aber nicht so sehr auf das "Was" an, sondern auf das "Wie": auf die Atmosphäre, die Dichte, die Figurenzeichnung. Rick Ostermann, der mit Moretti auch den Smarthome-Thriller "Das Haus" gedreht hat (Kritik in epd 50-51/21), erweist sich als würdiger Nachfolger Prochaskas.

Lang und wohlkomponiert sind die Kameraeinstellungen, reduziert die Dialoge, fahl wirkt das Licht. Und natürlich ist Tobias Moretti erneut eine Schau als gebrochener Abtrünniger, dessen letzter Selbstbehauptungswille darin besteht, zumindest seiner Tochter ein Leben zu ermöglichen. Bei dem Gedanken an einen Glücksmoment mit Stefania werden seine Augen feucht, aber seine Gewaltreflexe funktionieren noch einwandfrei. Dem ersten Mafiakiller, der auf die Insel vordringt, bricht er mit routiniertem Griff das Genick - und begibt sich auf einen finalen Feldzug, um Laura zu befreien.

Große Figur

Matteos Gegenüber auf der Seite des Gesetzes ist weiterhin der rechtschaffene Carabiniere Erlacher, den Harald Windisch mit zerknittertem Don-Quijote-Charme ausstattet. Mit einer Kollegin (Katia Fellin) in Mafiadiensten an der Seite, kommt er meistens einen Schritt zu spät und bewahrt doch Ethos und Würde. Matteos Opponentin im Camorra-Lager wiederum ist die hochschwangere Clanchefin Antonia Romano (Gerti Drassl), die einst in ihren heutigen Feind verliebt war und fast zu bedauern scheint, dass dieser aus ihrer Sicht vom rechten Weg abgekommen ist.

Nach dem allerletzten Shoot-out ist die Geschichte des Matteo DeCanin dann wirklich auserzählt - groß genug, um diesen späten Nachhall verdient zu haben, war die Figur aber allemal.

infobox: VOR-SICHT: "Der Gejagte - Im Netz der Camorra", Thriller, Regie: Rick Ostermann, Buch: Stefan Brunner, Kamera: Ralph Kaechele, Produktion: Satel Film, Good Friends Filmproduktion (ZDF/Servus TV, 3.6.24, 20.15-21.45 Uhr, sowie seit 25.5.24 in der Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 25.05.2024 10:00

Peter Luley

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Thriller, Moretti, Ostermann, Brunner, Luley

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