Über allem eine Schwere - epd medien

10.08.2024 08:00

In dem experimentellen Dokumentarfilm "Mutter" von Carolin Schmitz kommen acht Frauen zu Wort - wiedergegeben in einer Figur, gespielt von Anke Engelke. Der Film sprengt Sehgewohnheiten, schreibt Elisa Makowski.

Anke Engelke in "Mutter"

epd Wie fühlt es sich an, Mutter zu sein? Ist es eine weitere Rolle, eine Funktion im Leben einer Frau oder ist es gar eine lebensverändernde Sicht auf die Welt? Reiht sich Mutterschaft in die Biografie ein wie das Ende der Ausbildung oder ein Umzug in eine neue Stadt? Oder ist es gar eine Zäsur, die das Leben einteilt in ein Davor und in ein Danach?

Wie unterschiedlich sich diese und andere Fragen zum Thema Mutterschaft beantworten lassen, das zeigen die acht Zeugnisse von Müttern zwischen 35 und 75 Jahren, die die Grundlage für die experimentelle ARD-Dokumentation "Mutter" von Carolin Schmitz darstellen. Der Film ist anders konzipiert, als man es erwarten würden. Die Frauen stehen nicht vor der Kamera und zeigen ihr Gesicht, sie leihen lediglich ihre Stimmen, die im Original eingespielt werden. Verkörpert werden sie im wahrsten Sinne des Wortes durch die Schauspielerin Anke Engelke, die die Berichte in nur einer Figur verdichtet.

Fragmentarischer Flickenteppich

Wie man sich vorstellen kann, ist das auf den ersten Blick sehr ungewohnt, denn die Stimmen der Mütter wechseln sich innerhalb des Filmes mehrmals ab, so entsteht ein biografischer Flickenteppich. Anfangs stellt sich das drängende Bedürfnis ein, die acht Frauen akribisch auseinanderzuhalten, um die Anschlüsse nicht zu verpassen. Doch schnell gibt man sich dem großartigen Spiel Engelkes hin. Die Frauen erzählen so ehrlich und ungeschönt von ihrem Mutter-Sein, dass man nicht nur einmal Gänsehaut bekommt.

Mutter zu sein ist natürlich eine sehr individuelle Angelegenheit, aber sie ist auch mehr als das. Die Erfahrung ausschließlich zu individualisieren, wird dem Phänomen nicht gerecht. Dies nimmt die Form des Filmes gelungen auf: Die Figur, die Engelke in dem Film ist, stellt mehr dar als nur eine Frau, eine Mutter, ein Leben mit Kind.

Mit Anke Engelke steht und fällt das Experiment. Wir schauen dabei zu, wie sie Alltägliches verrichtet, doch sie gibt jeder Handlung eine individuelle Note - durch Mimik, Gestik, Körpersprache. Ganz groß ist ihre Fähigkeit, durch lediglich Nuancen der Mundstellung den unterschiedlichen Dialekten eine eigene Entsprechung im Gesicht zu geben. Die Fallhöhe, die dabei entsteht, wirkt das ein oder andere Mal komisch, Engelke biedert sich aber nie an und - noch wichtiger - zieht die Frauen und ihre Geschichten nie ins Lächerliche.

Momente des Glücks

Über allem schwebt eine gewisse, dem Thema aber durchaus angemessene Ernsthaftigkeit, gar Schwere - selbst dann, wenn eine Mutter beispielsweise aus vollem Herzen bekennt: "Die Geburt meines Sohnes, ich sage bis heute, das war der größte Glücksmoment in meinem Leben. Was Größeres ... Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich noch einmal etwas Größeres erlebe."

Heißt Mutter zu sein vielleicht, die flüchtigen Momente des Glücks festhalten zu müssen, weil der Alltag als Ehefrau, Getrennterziehende und/oder Mutter, die einer Erwerbsarbeit nachgeht, immer eher von einer nie enden wollenden Verantwortung, Fürsorge und Befriedigung von Bedürfnissen anderer geprägt ist? Die Auswahl der Zeugnisse spielt dabei natürlich eine entscheidende Rolle: Die Frauen sind allesamt stark und selbstbewusst - auch darin, die gesellschaftlichen Erwartungen an Mütter nicht zu erfüllen und trotzdem zu vermitteln, dass auch dies eine Version von Mutterschaft sein kann. Unabhängig von dieser lebensfüllenden Aufgabe nehmen sich die Frauen auch noch anders wahr und verwirklichen sich: Als Geschäftsinhaberin, Richterin und/oder Frau, die sich nach der Trennung vom Vater der Kinder noch einmal neu entdeckt in einer neuen Beziehung, zeitweise Tausende Kilometer getrennt von ihren Kindern.

Der Film von Schmitz, der 2022 bereits als Kinofilm lief, ist eine ganz besondere Annäherung an ein Thema voller Emotionen und Ambivalenzen, mit denen gekonnt gespielt wird. Grandios verkörpert von Anke Engelke, die wieder einmal ihren schauspielerischen Facettenreichtum beweist.

infobox: "Mutter", Dokumentarfilm, Regie und Buch: Carolin Schmitz, Kamera: Reinhold Vorschneider, Produktion: Sutor Kolonko (ARD/WDR, 12.8.24, 23.35-1.03 Uhr sowie ab 10.8.24 in der ARD-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 10.08.2024 10:00 Letzte Änderung: 12.08.2024 15:13

Elisa Makowski

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, Schmitz, Mutter, Makowski, Engelke, NEU

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