22.04.2024 10:20
"24 Stunden von und mit Joko & Klaas" bei ProSieben
epd Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf joggen durch Berlin, bereiten ihr Frühstück zu und schalten für eine halbe Stunde unkommentiert in die Steppen Namibias. Sie veranstalten einen Flohmarkt und zeigen eine ganze Samstagabendshow rückwärts. Was das Duo nach seinem Sieg in der Gameshow "Joko & Klaas gegen ProSieben" einen Tag lang auf ProSieben veranstaltet hat, wirft nicht erst in der Nachbetrachtung einige Fragen zu den Charakteristika des gegenwärtigen Fernsehens auf. Schon im Voraus gelang es dem Sender, Vorfreude auf die 24 von Joko & Klaas verantworteten Programmstunden zu wecken - ohne dabei wirklich konkret zu werden.
Doch was genau hat aus diesem mal mehr, mal weniger ereignisreichen Sendetag ein spannenderes Fernsehprogramm gemacht als das, was sonst bei ProSieben über den Sender geht?
Entscheidend für die Begeisterung am Programmplan von Joko & Klaas ist der Ausbruch aus festgefahrenen Fernsehkonventionen. Etablierte Sendeplätze und eine gewisse Berechenbarkeit geben dem linearen Fernsehen üblicherweise einen starren Rahmen, der dieses Medium einerseits verlässlich, andererseits aber auch erwartbar macht - und sicherlich leichter zu vermarkten. Diese über Jahrzehnte eingeübte Praxis haben Joko & Klaas aufgebrochen, als sie - von der täglichen ":newstime"-Ausgabe abgesehen - den gesamten Sendeplan durcheinanderwirbelten. Außer dieser einen Nachrichtensendung und den vielen Werbepausen blieb kaum was beim Alten.
Im Vorfeld verbreitete ProSieben ein Foto des "Programmzettels", auf dem der amateurhaft zusammengestellt wirkende, handschriftlich notierte Programmplan viele Fragen offen ließ. Auch das stellt einen erheblichen Bruch mit Fernsehkonventionen dar: Das sonst so durchgetaktete und in seiner Kleinteiligkeit nachvollziehbar kommunizierte Fernsehprogramm wich einer Aneinanderreihung von unpräzisen Programmpunkten wie "Frühstücken LIVE mit coolen Ideen" oder "Spielenachmittag!!! (für Jung & Alt!)". Schon war die Neugier geweckt und ein gezielter Einschaltimpuls gesetzt.
infobox: Ganz so spontan wie es den Anschein hatte, dürfte die Übernahme des Programms von ProSieben durch Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf nicht gewesen sein. Dennoch erzielte der Sender mit dem Überraschungsprogramm am Sonntag einen deutlich über dem Schnitt liegenden Marktanteil von 5,1 Prozent beim Gesamtpublikum. Der durchschnittliche Marktanteil lag im März bei 3,1 Prozent. In der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen lag der Marktanteil für den ganzen Tag bei 17,4 Prozent, der durchschnittliche Marktanteil lag hier bei 7,8 Prozent.
Neu ist dieses Vorgehen nicht: Seit 2019 hat das Duo bereits einige Male 15 Minuten Sendezeit an Mittwochabenden erspielt, deren jeweiliger Inhalt vorher nicht bekanntgegeben wurde. Bereits der vage Umstand, dass Joko & Klaas eine Viertelstunde lang Ungewissheit in die Primetime brachten, ließ aufhorchen. Gespannt wurde jeweils darauf gewartet, womit die beiden die tags zuvor erspielte Sendezeit diesmal wohl füllen. Der 24-stündige Programmtag als weitere Steigerung dieses Grundprinzips, an das man sich allmählich schon gewöhnt hat, funktionierte ähnlich, erstreckte sich nun aber über viele unterschiedliche Programmpunkte, die entsprechend deutlich größeren Spielraum für Experimente boten.
Dass es zur Erregung von Neugier, Spannung und Faszination offenbar schon genügt, einen Fernsehsender ohne allzu konkrete Ankündigungen aus seinen Konventionen ausbrechen zu lassen, sollte den Machern des Mediums Fernsehen zu denken geben: Ist das reguläre Programm so uninteressant, so verzichtbar, so egal, dass es nicht vermisst wird, dafür aber ein unkonkretes Überraschungsprogramm gern eingeschaltet wird?
Tatsächlich waren vor der Übernahme des Sonntagsprogramms durch Joko & Klaas fast ausschließlich Wiederholungen und ohnehin lang laufende Reihen für diesen Tag bei ProSieben vorgesehen.
Wer Fernsehen lediglich als sendererhaltende Maßnahme begreift, darf sich über Zuspruch für ein wie auch immer abweichendes Programm nicht wundern. Für Joko & Klaas als Programmdirektoren auf Zeit war es ein Leichtes, dort Einschaltimpulse zu setzen, wo sonst bloß Abschaltimpulse vermieden werden. Dem geschätzten Entertainer-Duo dürften die Stammzuschauer einen zusätzlichen Vertrauensvorschuss entgegengebracht haben. Tatsächlich trug der Tag unverkennbar die Handschrift des lange eingespielten Duos, das nicht bloß ein Programm aus etlichen ProSieben-Sendungen zusammengestellt hat, sondern selbst durch weite Teile des Programms führte - oft live.
Der Programmtag wechselte zwischen gewöhnlicher Fernsehpraxis und unkonventionellen Ideen hin und her. Den Livestrecken mit Joko & Klaas in Berlin haftete etwas Anarchisches an. Ein nächtlich entzündetes Indoor-Feuerwerk mag tatsächlich Funken von Anarchie versprühen, doch die Übertragung des morgendlichen Joggens oder des Einkaufs im Späti ist eigentlich nur ungewöhnlich, weil dies eben nicht in einer Instagram-Story oder einem Twitch-Livestream geschieht, sondern im Fernsehen. Livestrecken etwa aus den Straßen einer Großstadt sind als sogenannte IRL-Livestreams ("In Real Life") online längst üblich. Ihre Echtzeit-Ästhetik hat bereits Einzug ins lineare Fernsehen gehalten, zum Beispiel in der HR-Reihe "Tobis Städtetrip".
Erstaunlich viele der 24 Programmstunden haben Joko & Klaas letztlich mit recht konventionellen Fernsehmitteln gefüllt. Zusammenschnitte einstiger Rubriken ihrer Comedyshow "Circus Halligalli" mögen nach wie vor sehr unterhaltsam sein und haben mit ihrer hohen Schlagzahl an Pointen dem Programmablauf sehr gut getan. Sie hätten in dieser Form aber auch genauso gut im Sommerloch-Programm gesendet werden können. Origineller waren amüsante Ausschnitte aus Daily Talks und "Taff"-Ausgaben der 1990er Jahre und ein Ranking der "schlimmsten Momente" der Sendergeschichte. All diese Archivschnipsel führten vor Augen, wie sehr sich Fernsehshows stilistisch und inhaltlich verändert haben.
Zu den experimentellen Höhepunkten des Programmtags gehörte die Livesendung, die Joko & Klaas am Vormittag im Studio des "Sat.1-Frühstücksfernsehens" veranstaltet haben und die nicht nur auf ProSieben, sondern auch in Sat.1 zu sehen war. Zeitweise war es dem Publikum daher möglich, durch Zappen zwischen beiden Sendern als Regisseure des Fernsehfrühstücks selbst zu entscheiden, ob sie lieber Klaas am Frühstückstisch oder Joko in der Küche verfolgen wollten, ehe einzelne Zuschauer im Studio eintrafen, um ihren Trödel an die Moderatoren zu verkaufen.
Dass so lange Live-Strecken von mehr als 90 Minuten Länge ohne die in anderen stundenlangen Livesendungen obligatorischen Einspieler und Beiträge unterhaltsam bleiben, spricht für die talentierten Protagonisten und unterstreicht einmal mehr den Ausnahmecharakter dieses Programmtags.
Das machte sich auch beim besonders komischen "Spielenachmittag" bemerkbar, bei dem Joko & Klaas mit Late-Night-Sidekick Jakob Lundt und Rapper Sido eine Runde des Kartenspiels Uno im Berliner Olympiastadion spielten. Eine zusätzliche Spielregel (die Spieler durften nicht "ich" sagen) sorgte dafür, dass die Runde gerade einmal eine Runde spielte und aus dem Lachen gar nicht mehr herauskam. So wurde aus dem kleinen Kartenspiel ein großer Spaß in absurd riesigem Setting.
Zur Primetime testeten Joko & Klaas "Ein sehr gutes Quiz (mit hoher Gewinnsumme)". Darin traten drei Kandidaten gemeinsam an, in jeder Fragerunde musste sich ein Kandidat opfern, um die Frage zu beantworten. Stimmte die Antwort, waren alle drei Kandidaten eine Frage weiter. Stimmte sie nicht, flog der beantwortende Kandidat allein raus und ein Nachrücker kam ins Spiel. Das Preisgeld von 100.000 Euro erhielt derjenige, der die 25. Frage als erster richtig beantwortete. Diese Spielmechanik, die noch in der laufenden Livesendung verfeinert wurde, führte die Kandidaten auf dem langen Weg zur entscheidenden 25. Frage in den spannenden Zielkonflikt zwischen Kooperation und Konkurrenz - und sehr oft ins Aus.
Als neues Showkonzept des Tages hat dieses Quiz das Potenzial, zum eigenen Format zu werden. Senderchef Hannes Hiller erkannte dies und bot den Moderatoren noch in der laufenden Livesendung telefonisch weitere Folgen an. So tragen die 24 Stunden bereits jetzt erste Früchte, als hätte sich ProSieben vom eintägigen Kurzurlaub nachhaltig inspirieren lassen. Die schmerzliche Rückkehr des Senders aus dem Urlaub zurück in den gewöhnlichen Alltagstrott können aber auch Joko & Klaas nicht abwenden.
Immerhin aber haben sie bewiesen, dass es nicht erst Sportevents wie der Eishockey-WM bedarf, um die Gewohnheiten eines Fernsehprogramms auf unterhaltsame Weise durcheinanderzubringen. Programmmacher sollten sich nach diesem denkwürdigen Sendetag mehr denn je zutrauen, nicht bloß Übertragungsrechte zu kaufen, um Events hinterherzurennen, sondern das Programm selbst zum Ereignis zu machen.
Copyright: Foto: Fernsehserien.de Darstellung: Autorenbox Text: Lukas Respondek ist Fernsehkritiker und Redakteur bei "fernsehserien.de" und "TV Wunschliste".
Zuerst veröffentlicht 22.04.2024 12:20 Letzte Änderung: 22.04.2024 15:38
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Programm, ProSieben, Winterscheidt, Heufer-Umlauf, Respondek, BER, NEU
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