Superheldin als Rächerin - epd medien

03.12.2024 10:29

Die Serie "Angemessen Angry" auf RTL+ erlaubt ihren Protagonistinnen Wut als Handlungsmotiv. Bei aller gebotenen Ernsthaftigkeit, die das Thema Vergewaltigung verlangt, sind die fünf Folgen zugleich witzig.

Amelie (Marie Bloching, r.) und Kim (Sophie Yukiko Hasters) sind wütend

epd Ein ganz normaler Tag in einem Berliner Luxushotel. Der Geschäftsführer (Bernhard Schütz) teilt den Angestellten mit, Sicherheit am Arbeitsplatz, das habe höchste Priorität. Deswegen komme nun eine Klausel in alle Verträge. Angestellte müssten sich nicht von Promis mit Gegenständen bewerfen lassen. Ab nächsten Monat. Bis dahin heiße es: Ducken! Die Dienstleistung Kofferpacken wird weiter angeboten.

Während Zimmermädchen Amelie (Marie Bloching) in ihrer Uniform mit kurzem Rock und Schürzchen Sexspielzeug bei den Hemden eines männlichen Gasts verstaut, ohne mit der Wimper zu zucken, schaut ihr der Mann aus dem Sessel zu. Nackt. Amelies Freunde, die Escort-Lady Jo (Shakiba Eftekhari-Fard) und der schwule schwarze Sicherheitsmann Tristan (Bless Amada), können ein lustiges Lied singen von den Übergriffigkeiten im Hotel.

Jeder Mann ist ein Vergewaltiger

Beim Ärztekongress herrscht unter den Teilnehmern "Freiwild"-Stimmung. Auch bei Amelies Liftbegegnung Marcus (Laurence Rupp), der später von "Flirtsignalen" spricht, vom "einvernehmlich aufgefassten Spiel mit dem Gefährlichen" und den Klassiker bringt: Dass sie zwar Nein gesagt, aber Ja gemeint habe. Damit kommen diese Männer immer durch, zumindest in dieser Serie von Elsa van Damke (Regie und Buch) und Jana Forkel (Buch) bei RTL+.

Jeder Mann ist ein Vergewaltiger, diese Sicht nimmt die fünfteilige Serie "Angemessen Angry" als Arbeitsgrundlage. Es geht hier nicht um juristisch grundierte Ausgewogenheit, sondern um Wut und um Selbstjustiz. In der Realität zeigen geschätzt nur zehn Prozent der Vergewaltigungsopfer eines Jahres die Taten an, nur acht Prozent der Anzeigen führen tatsächlich zu Verurteilungen. Die hier präsentierten Zahlen mag man genauer ansehen wollen, aber die Spielgrundlage der Fiktion leuchtet ein: Sie basiert auf de Einsicht, dass es nicht zielführend genug ist, auf strukturelle Ungerechtigkeit mit Ausgewogenheit zu antworten.

Die Lösung in "Angemessen Angry": Auf die Vergewaltiger mit Gebrüll. Auf die Zuschauer mit Witz. Mit Self-Empowerment. Zweifel am gezeigten Rachefeldzug werden erst in den Folgen vier und angemeldet. Da schlägt die Serie leisere Töne an, die diese sehenswerte bitterernste Satire zum differenzierteren Abschluss führen und echte Freundschaft feiern.

Äußerlich sichtbare Verwüstung

Amelie wird von Marcus in die Teeküche gedrängt und vergewaltigt. Plötzlich springt das Porzellan aus den Schränken, die Verwüstung der Frau wird äußerlich sichtbar. Ihre Welt zerspringt. Seit der Vergewaltigung hat Amelie als Nebenwirkung Superheldinnenkräfte. Wenn sie Männer berührt, hat sie Visionen von sexualisierter Gewalt, die diese Männer begangen haben.

Gesellschaftlich Relevantes wird von Kamerafrau Doro Götz visuell geschickt eingebaut. Zur Polizei gehen? Besser nicht. News und Artikel überziehen plötzlich den Bildschirm, Sensationsberichterstattung über prominente #MeToo-Fälle und Opferschmähungen. Kurz schaut Amelie bei der Polizei vorbei, wo zwei männliche Beamte mit Formularen und Formulierungen kämpfen.

Nasreen (Jasmin Shakeri), die Assistentin des Geschäftsführers, nimmt Amelie mit zu einer Gerichtsverhandlung, bei der der wegen Vergewaltigung Angeklagte in einer Art Parodie mit dem Titel "Wer wird freigesprochen?" auf harmlos machen darf. Er kommt frei, dank des teuren Anwalts, und plant mit Freddy (Gustav Schmidt), dem Neffen des Hotelgeschäftsführers, gleich die nächste K.O.-Tropfen-Sause.

Hass ist keine Lösung

Ernsthaft wird es in der Selbsthilfegruppe bei Leiterin Eileen (Odine John). Hier sprechen die Betroffenen im Privaten, im Halbdunkel im Stuhlkreis. In diesen Szenen ist die Serie angemessen konzentriert und respektvoll. Bevor sie wieder männlicher Grenzverletzung mit Superheldinnenpower begegnet.

Schnell, frech, jung, aber mit generationenübergreifenden Botschaften - so lässt sich "Angemessen Angry" beschreiben. Amelies Oma Ursel (Christiane Ziehl) weiß: "Es ist nicht jeder Mann ein Sittenstrolch, aber jeder ist mit einem befreundet, verwandt oder zusammen." Superheldin Amelie trendet als #Hysteria bald auf Social Media, als sie Videos mit erpressten Geständnissen der Peiniger hochlädt.

Doch Hass ist keine Lösung. Was dann? Hier kriegt "Angemessen Angry" die Kurve, ohne die Radikalität der Serie zu verraten. Anders als einige Produktionen der vergangenen Jahre, darunter "Nichts, was uns passiert" mit Emma Drogunova oder "Bis zur Wahrheit" mit Maria Furtwängler und Damian Hardung oder die Serie "37 Sekunden", vertraut "Angemessen Angry" auf die produktive Kraft der Rachephantasie. Dabei bleibt sie aber nicht stehen. Die radikale Subjektivität dieser Produktion erlaubt ihrer Protagonistin, von Marie Bloching eindrucksvoll gespielt, Wut als Handlungsmotiv. Hier geht es um den Weg der Erkenntnis mit den Mitteln der Hysterie. Eine witzige Serie über Vergewaltigung? Ernsthaft? Ja, das gibt es jetzt.

infobox: "Angemessen Angry", fünfteilige Serie, Regie: Elsa van Damke, Buch: Jana Forkel, Elsa van Damke, Kamera: Doro Götz, Produktion: Studio Zentral (RTL+, seit 25.11.24)



Zuerst veröffentlicht 03.12.2024 11:29 Letzte Änderung: 03.12.2024 11:33

Heike Hupertz

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Streaming, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KRTL+, van Damke, Forkel, Hupertz, Serie, NEU

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