Covid ist nicht vorbei - epd medien

25.01.2024 15:02

Die ARD-Dokumentation "Das Virus und unsere Freiheit" versucht sich an einer Bilanz der Corona-Pandemie. Doch für viele ist die Pandemie noch nicht vorbei.

Lothar Wieler, bis 2023 Direktor des Robert-Koch-Instituts, wurde durch die Pressekonferenzen während der Corona-Pandemie bekannt.

epd Rezensionen, die stark darauf abzielen, dass in einer Dokumentation oder Reportage dieser oder jener Aspekt "fehlt", sind selten produktiv. Denn: Irgendwas fehlt aus Platz- oder Zeitgründen immer, und gelegentlich hat man bei solchen Texten den Eindruck, dass die Rezensentin oder der Rezensent zwar eine Vorliebe für bestimmte Themen hat, aber wenig darüber weiß, wie man Filme macht.

Bei "Das Virus und unsere Freiheit - Eine Corona-Bilanz" stellt sich zunächst die Frage, ob der Ansatz richtig gewählt ist. Nachvollziehbar ist er: In diesen Tagen jährt sich zum vierten Mal der Tag, an dem der erste Corona-Fall in Deutschland bekannt wurde, und es gehört zur Aufgabe von Dokumentaristen, anlässlich solcher Begebenheiten, die sich später als folgenreich erweisen, zurückzublicken. Es gibt allerdings auch einen leicht spöttischen Begriff für Filme solcher Art, er lautet Anlassfernsehen.

Diese in der Reihe "Die Story" ausgestrahlte Dokumentation ist weitgehend chronologisch erzählt: Am Anfang steht jene Karnevalssitzung in Heinsberg, die zum Superspreader-Event wurde. Der Sommer 2020, als "das Schlimmste überstanden scheint", wird erwähnt, der neue Anstieg im Herbst und Winter, das lange Warten auf den Impfstoff, die unterschiedlichen regionalen Maßnahmen.

Die nächste Pandemie

Als Gesprächspartner aus der Politik kommen zu Wort: Wolfgang Schmidt, zu Beginn der Corona-Pandemie Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, seit Ende 2021 Kanzleramtsminister, und der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann. Sie blicken zurück auf ihr Handeln. Als Vertreter der Wissenschaft ist unter anderem Lothar Wieler zu hören, der bis Ende März 2023 Direktor des Robert-Koch-Instituts war.

Das wesentliche Problem des Films ist, dass er dazu beiträgt, ein Thema zu historisieren, dessen Historisierung kaum angemessen erscheint. "Die nächste Krise sieht ganz anders als die vorherige", und diese werde sich mit den zuletzt gegen Corona getroffenen Maßnahmen nicht bewältigen lassen, prophezeit Wolfgang Schmidt an einer Stelle. Und die Filmemacherinnen blicken unter anderem mit den Worten voraus: "Die nächste Pandemie wird zeigen, was Politik und Gesellschaft wirklich gelernt haben."

Die "nächste" Pandemie? Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärte im Frühjahr 2023 zwar das Ende des globalen Gesundheitsnotstands. Laut eben dieser WHO sind im vergangenen Jahr allerdings weltweit 10.000 Menschen pro Monat an Covid-19 gestorben - wobei die tatsächliche Zahl weitaus höher liegen dürfte, weil in die veröffentlichte Statistik nur Meldungen aus 50 der in der WHO zusammengeschlossen 234 Länder einflossen. Und Maria Van Kerkhove, technische Leiterin für die Covid-19-Maßnahmen bei der WHO, hat kürzlich gesagt: "Covid ist nach wie vor eine globale Gesundheitsbedrohung, die uns viel zu sehr belastet, obwohl wir sie verhindern könnten." Es sei noch völlig unklar, mit welchen kardiologischen und neurologischen Covid-Folgeschäden wir in fünf oder zehn Jahren konfrontiert sein werden.

Die Maske verschaffte Bewegungsfreiheit

Es gibt durchaus anregende Passagen in Antje Bülls und Salome Baders Dokumentation, dazu zählt eine prägnante Äußerung Lothar Wielers: Er habe "nie verstanden", warum viele die Maske als "das Symbol der Unfreiheit" gesehen hätten, sagt er. Tatsächlich habe sie "uns Bewegungsfreiheit verschafft". Und es ist eine Stärke des Films, dass er das Long-Covid-Problem und die unzureichende Forschung dazu an mehreren Stellen benennt. In Deutschland seien schätzungsweise 2,5 Millionen Menschen "von Long Covid betroffen, meist Frauen zwischen 30 und 50 Jahren, die durch die Folgen der Infektion plötzlich zu Pflegefällen werden", betonen Bader und Büll.

Am Ende von "Das Virus und unsere Freiheit" liefern die Autorinnen selbst indirekte Hinweise darauf, wie sie den Film hätten anders machen können: "Das Thema Corona ist weitgehend aus dem politischen Alltag verschwunden", sagen sie. Und: "Inzwischen ist Corona für die meisten in weite Ferne gerückt." Das stimmt, aber gerade darauf hätten die Macherinnen reagieren können. Sie hätten die Gegenwärtigkeit des Themas ins Bewusstsein rücken können - das hätte für einen Film aus der Reihe "Die Story" ein besserer und vielleicht auch aufmerksamkeitsökonomisch wirkungsvollerer Ansatz sein können als eine fernsehübliche "Bilanz".

infobox: "Die Story: Das Virus und unsere Freiheit - Eine Corona-Bilanz", Dokumentation, Regie und Buch: Antje Büll, Salome Bader, Kamera: Andrea Rumpler, Boris Mahlau, Ion Casado, Frank Gutsche, René Dame, Produktion: Eco Media TV (WDR, 10.1.24, 22.15-23.00 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 25.01.2024 16:02

René Martens

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KWDR, KARD, Dokumentation, Bader, Büll, Martens

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