29.12.2024 11:00
epd Zu Beginn des Films sieht man Bettina Meurer (Anke Engelke) und Martin Hofmann (Matthias Brandt) nebeneinander in einem Aufzug stehen, dessen Türen sich langsam schließen. Man schaut und denkt: Hilfe! Und ruft: "Neeeiiin!" und möchte wie die Kinder beim Kasperle-Theater, wenn das Krokodil kommt, die Bedrohten warnen, möchte etwas tun, damit Bettina und Martin den Lift verlassen, denn man weiß genau: Sie werden nicht wieder rauskommen und erneut den Jahreswechsel eingeschlossen verbringen.
Denn an den beiden Silvesterabenden der Jahre 2022 und 23 waren die zwei in "Kurzschluss" und in "Der 2. Kurzschluss" jeweils in einem Bankvorraum und in einem Gelass, das der Aufbewahrung von Feuerwerkskörpern diente, eingesperrt; eine Flucht war nicht möglich und die Eingeschlossenen dazu verdammt, einander kennenzulernen. Jetzt, bei der dritten "Kurzschluss"-Folge, ist klar: Wo immer sie sich gerade befinden, wenn das Jahr zu Ende geht: Sie werden nicht vor und nicht zurückkönnen. Diesmal also ein Lift. "Neeeiiin!"
Es kommt anders. Drehbuchautor Claudius Pläging nimmt uns auf den Arm. Zwar ruckelt der Lift gefährlich und bleibt auch irgendwann stehen, setzt sich aber bald wieder in Bewegung und befördert die beiden aufs Dach. Dort guckt Bettina sich befremdet um. Sie ist nach Berlin gereist, um zu schauen, wie Martin so wohnt und lebt. Er hatte von einer schönen Wohnung mit Dachterrasse erzählt, und diese Terrasse wollte Bettina in Augenschein nehmen. Jetzt ist sie not amused, sich in einer verdreckten Nische auf einem schlichten Mietshausdach wiederzufinden.
"Hast du die Tür zufallen lassen?", ruft er alarmiert. Sie: "Ich hab gar nichts gemacht." Aber die schwere Eisentür ist tatsächlich zugefallen und Martins Wohnungstürschlüssel passt nicht. Locked in again beziehungweise diesmal Locked out.
In der Dachwohnung gegenüber erkennt man durch die Vorhänge die Silhouette einer tanzenden Frau. Martin schmeißt eine tote Taube an ihr Fenster. Tatsächlich öffnet sich die Tür zum Balkon. Er brüllt: "Sie müssen uns helfen." Die Nachbarin aber ist empört wegen der Taube und findet, dass sie gar nichts muss, sie macht die Türe zu. Die Ausgeschlossenen frieren. Man hört die in den Stunden vor Mitternacht noch vereinzelten Feuerwerkskörper ringsum knallen und zischen. Bettina erwähnt, dass in Moosbach, wo sie lebt und wo es in den letzten beiden Jahren durch ihr Verschulden kein Silvesterfeuerwerk gab, dieses Jahr ein Böllerverbot verhängt worden sei. Eine wichtige Information, denn es gehört zu den running gags dieser "Kurzschluss"- Trilogie, dass es in Moosbach kein Feuerwerk gibt.
Die Kunst des Autors Claudius Pläging besteht darin, dass er jenseits des vergnüglichen Kasperle-Theaters eine zweite Ebene eingezogen hat: eine Liebesgeschichte, die, anders als der Klamauk rund um die Varianten des Locked-in, einen realistischen Kern hat und das filmische Geschehen von Zeit zu Zeit mit starken Prisen Melancholie aufmischt. Bettina und Martin, zwei Singles jenseits der 50, wollen es noch mal wissen und haben doch den Mut nicht dazu. Man muss sie schon irgendwo einschließen, damit sie Nähe spüren.
Immer wenn beide vor der Frage stehen, ob daraus was Langfristiges werden soll, flüchten sie in absurde Ausreden, die sie sofort bereuen. Martina sagt, sie könne sich nicht für einen Mann entscheiden, der ihr eine Dachterrasse verspricht und sie dann in eine zugemüllte kalte Ecke führt. Er findet es normal, dass ein Mann seine Lage einer Frau, die er beeindrucken will, etwas toller schildert, als sie ist.
Aber Bindung? Sie habe sich scheiden lassen, um sich frei zu fühlen, sagt Bettina. Er kontert gereizt: "Manchmal muss man nicht bloß reden, sondern einfach machen, sonst ist es zu spät." Diese Wahrheit ist zwar auf eine Ausbruchsmöglichkeit aus der Situation gemünzt, passt aber genauso auf den Status von Bettina und Martin als Liebespaar.
Bettina hadert mit sich, weil sie keine Glückskekse dabei hat. Martin zaubert virtuelle Glückskekse herbei, sie lesen einander die Sprüche vor. Seiner heißt: "Gut Ding will Weile haben." Sie findet, dies sei "ein sehr guter Glückskeksjahrgang". Das Ende kann hier nicht verraten werden - man darf nicht spoilern. Nur so viel: Eine vierte Folge ist nicht ausgeschlossen.
infobox: "Kurzschluss hoch drei", Kurzfilm, Regie: Jänta Litenbjörn, Buch: Claudius Pläging, Kamera: Christian Leschner, Produktion: btf GmbH (ARD-Mediathek/WDR seit 29.12.24, ARD, 30.12.24, 23.25-23.55 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 29.12.2024 12:00 Letzte Änderung: 30.12.2024 10:25
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, KWDR, Pläging, Litenbjörn, Sichtermann, NEU
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