Adieu, Bulle? - epd medien

25.11.2024 13:08

In der vierten Episode der ZDF-Reihe "Der gute Bulle" muss Fredo Schulz einen Fall lösen, dessen Protagonisten an Francis Ford Coppolas Mafia-Kino erinnern. Und der Polizist erhält eine niederschmetternde Diagnose.

Fredo Schulz (Armin Rohde) folgt einer Spur

epd "Rippenbruch, Schädeltrauma, vier Schussverletzungen, eine fast tödlich" - Fredo Schulz (Armin Rohde), der alte Berliner Straßenbulle, sinniert über die Versehrungen, die ihm sein Beruf in 20 Jahren eingetragen hat. Auch ein latentes Alkoholproblem gehört dazu, das in seinem letzten Fall nach dem gewaltsamen Tod seines Juniorpartners Milan wieder aufgebrochen war. Aber nun?

"Seit drei Jahren bin ich trocken, mein Blut ist sauber, ich bin clean - keine Ahnung, was der Doktor jetzt noch will", brummt der Kriminaler, der seine vermeintlich stressbedingten Magenschmerzen kleinredet. Umso härter trifft ihn die Diagnose: Darmkrebs in fortgeschrittenem Stadium, wahrscheinlich noch drei Monate Lebenszeit. Eine Chemotherapie lehnt er ab. Und als der Arzt ihm rät, jetzt am besten all das zu tun, was er schon immer habe tun wollen - da fährt Fredo kurzerhand zum nächsten Tatort. Seinem neuen Kollegen Radu Lupescu (Sabin Tambrea) erzählt er was von "zu viel Magensäure" und stürzt sich mit so viel Verve in die Ermittlungen, dass sein Vorgesetzter (Johann von Bülow) ihn fragt, ob er mit dem falschen Bein aufgestanden sei.

Ein Panorama an Charakterstudien

"Heaven can wait" ist die vierte Episode der 2017 gestarteten losen ZDF-Reihe "Der gute Bulle". Tatsächlich ist der Film der existenziellen Prämisse zum Trotz über weite Strecken einfach ein typischer Lars-Becker-Krimi. Er führt ins migrantische Neuköllner Milieu, wo ein Security-Mann des Mafiabosses Samir Berri (Husam Chadat) bei einem Drogendeal erschossen wird. Während der Clanchef versucht, sich über Immobilien, Pizzerien und Autohäuser eine legale Fassade aufzubauen, bröckelt sein Kerngeschäft. Ein Konkurrent scheint ihn unter Druck setzen zu wollen.

Wie meistens erzählt der inzwischen 70-jährige Autor und Regisseur Becker, der mit Rohde auch die Hamburger "Nachtschicht"-Reihe betreibt, seinen Plot nicht in erster Linie als Whodunit. Der Zuschauer sieht, wie der grimmige Mützenmann Marvin Sikora (Sascha Reimann) erst den Bodyguard erschießt und schon nach einer knappen halben Filmstunde sogar Samir Berri selbst. Nur die Frage, in wessen Auftrag er gehandelt hat, sorgt für ein wenig Rätsel-Spannung. Viel wichtiger aber ist im Becker’schen Hardboiled-Kosmos, wer schwach wird, die Nerven verliert, zu reden anfängt. Ganz nebenbei entstehen so viele kleine Charakterstudien, in diesem Fall nicht zuletzt von Frauen.

Coppola lässt grüßen

Da wäre etwa Berris Tochter Mona (Sabrina Amali), die eigentlich mit den Machenschaften ihres Vaters hadert, sich nach seiner Ermordung aber zum Racheengel mit Beretta wandelt. Sowohl bei der Erschießungsszene in einem jemenitischen Restaurant als auch bei der Trauerfeier im Hause Berri lässt aus der Ferne Francis Ford Coppolas "Der Pate" grüßen, aber dennoch entsteht das überzeugende Bild eines Familiengefüges, zu dem noch ein Jura studierender Bruder (Mo Issa) und eine erstaunlich toughe Mutter (Yasmina Djaballah) gehören. Auch der Dealer Demba Diarra (Farba Dieng), der mal mit Mona zusammen war, und seine aktuelle Freundin Violetta (Lena Kalisch) sind fein entwickelte Figuren.

Schön schmierig gibt Nazmi Kirik einen für die Berris tätigen Autohändler. Und schließlich ist Kneipenwirtin Esra (Anica Dobra) wieder mit von der Partie, die Mutter des ermordeten Milan. Bei ihr am Tresen spült Fredo seine Schmerztabletten mit ein paar Whiskys runter und legt zu "Lazy Sunday Afternoon" von den Small Faces ein wackeres Oberkörper-Tänzchen hin - um dann krachend vom Stuhl zu kippen. Am nächsten Morgen, in Unterwäsche auf Esras Bett sitzend, erzählt er ihr von seinem Krebs-Befund. "Dann die Chemo und die Zeit nutzen", lautet ihr Rat.

Zukunft ungewiss

Ob der Himmel wirklich noch warten kann auf den guten Bullen, das lässt das fast tragikomische Finale, in dem Fredo die Kräfte schwinden und er sich von einem Gangster in die Charité fahren lassen will, allerdings offen - und damit auch die Zukunft der Reihe. Eine Wunderheilung des Titelhelden wäre jedenfalls genauso unglaubwürdig wie eine Sonderfolge mit Fredo und Esra auf ihrer letzten großen Reise. Und eine Fehldiagnose hat der notorisch misstrauische Polizist durch Einholung eines Zweitgutachtens ausgeschlossen.

Vielleicht kommt es aber auch so, wie Fredo es in einem letzten, schon leicht überweltlichen inneren Monolog imaginiert: "Der Junge wird mal mein Nachfolger, so viel ist klar", sagt er da über Radu Lupescu. "Er muss nur lernen, jede Situation infrage zu stellen. Jede Situation und jeden Menschen." Und dann überlegt das ostentative Raubein doch ernstlich zu beten: "Mal sehen, wie Gott entscheidet."

infobox: "Der gute Bulle - Heaven can wait", Krimidrama, Regie und Buch: Lars Becker, Kamera: Alexander Sachs, Produktion: Network Movie (ZDF/Arte, 25.11.24, 20.15-21.45 Uhr, ZDF-Mediathek, bis 15.11.2025)



Zuerst veröffentlicht 25.11.2024 14:08

Peter Luley

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Krimidrama, Becker, Luley

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