29.11.2024 10:14
epd Der Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt hat schon so viele Spannungserfolgsformate für das Fernsehen geschrieben, dass man ihm seine Twists gern abnimmt. Etwa das Faible für Verbrechen in der Provinz oder für Western. Für ausgefuchste Showdown-Dramaturgie. Für die spielerische Verbindung von Action und Melodram. Schmidts Gestaltungswillen gibt den Geschichten Genre-Leitplanken, lässt den Darstellenden aber Raum und Entfaltungsmöglichkeiten. Für die achtteilige Spannungsserie "Die Toten von Marnow" (Kritik in epd 10/21), eine bedrückende Ermittlung im heißen Schweriner Sommer, die weit in die DDR-Vergangenheit führte, erhielten die Hauptdarsteller Petra Schmidt-Schaller und Sascha Gersak 2021 den Deutschen Fernsehpreis.
Eigentlich gab es keinen Grund, die mehrfach ausgezeichnete Serie fortzusetzen. Zumindest schien dies aus künstlerischer Perspektive wenig reizvoll. Nun gibt es jedoch eine Weitererzählung, die die Spannungsform zugleich weiterentwickelt. Wo in der ersten Staffel die Ermittlung in die Zeitgeschichte zurückführte und nach und nach mehr über die ungleichen Ermittler Lona Mendt (Schmidt-Schaller) und Frank Elling (Gersak) zu erfahren war, stellt "Finsteres Herz - Die Toten von Marnow 2" nun eine Quadratur der Ermittlungschronologie her.
Es beginnt scheinbar mit dem Ende. Mendt und Elling warten mit einer Zeugin in einem "Safe House" auf den Polizeitransport. Zu Mendt scheint die Zeugin, das Mädchen Sarah (Greta Kasalo), intensives Zutrauen gefasst zu haben. Die Erwachsenen sind überaus angespannt.
Schon in diesen Eingangssequenzen kommen die Stärken der Fortsetzung zum Tragen. Der bemerkenswerte Schnitt von Gerald Slovak, der später in Extremmontagen dramaturgische Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen kreiert. Die Komposition und deren Einspielung von Martin Tingvall, die die Eiseskälte draußen klirrend verstärkt. Die Kamera von Claire Jahn, die das auch hier wieder verwendete Cinemascope-Format zu Einstellungen gestaltet, die der Körpersprache und den Interaktionen der Figuren visuellen Raum geben. Die Regie, wiederum von Andreas Herzog, die das Timing perfektioniert.
Sarah wird abgeholt zum Prozess, zu früh. Die nächsten Szenen gehören einer sorgfältig inszenierten Schießerei. Man sieht, dass Mendts und Ellings Vorgesetzter Olaf Baack (Horst Günter Marx) erschossen wird, dass mehrere Schüsse Mendt und Elling treffen.
Zunächst wirkt es, als sei "Finsteres Herz" von da an als Rückblende erzählt. Zunächst treffen neue Polizisten am Tatort ein. Acht Leichen gibt es und zwei schwerstverletzte Ermittler. Mendt und Elling liegen im Koma. Staatsanwalt Ritter (Oliver Urbanski) setzt seine Polizistin Maja Kaminski (Sabrina Amali) auf den Fall an. LKA-Kollege Martin Gruber (Dirk Ossig) bringt seinen Sonderermittler Hagen Dudek (Bernhard Conrad) mit.
Alle Ermittlungs-Ergebnisse von Mendt und Elling sind aus den Systemen gelöscht. Kaminski und Dudek beginnen scheinbar bei Null und ermitteln zusätzlich gegeneinander. Es muss jemanden geben, der die Seiten gewechselt hat. Parallelhandlungen bestimmen nun den Verlauf. Zweimal wird rückwärts ermittelt (Mendt und Elling, Kaminski und Dudek), eine dritte Ebene treibt die Geschehnisse in der erzählten Jetztzeit voran.
Die zwölfjährige Sarah ist verschwunden und taucht wieder auf, in der Vergangenheit gerettet von Lona Mendt, nun im heimlichen Alleingang verfolgt von Dudek und von einem Schurken-Beamten im Shoppingcenter ergriffen. Wie Schmidt diese Ebenen bruchlos verzahnt, auftrennt und überkreuzt, wie Herzog und Jahn aus den Bruchstellen visuell fließende Übergänge machen, wie so der Fluss der Geschichte erhalten bleibt, das ist ziemlich gelungen.
Der eigentliche Verbrechenskomplex ist nicht neu. Es geht um organisierten Menschenhandel und Kinder-Zwangsprostitution, mit einer Art Klimax bei einer geheimen Landschloss-Party, bei der Kinder den Tätern zugeführt werden und für die Zuschauer genau buchstabiert wird, was Sarah im einzelnen aussagen könnte. Solches hat man etwa im Fernsehfilm "Operation Zucker" schon erschütternder und klarer gesehen. Hier setzt man mehr auf Charakter-Melodram und Beziehungsspannung.
Mendt und Elling vertrauen einander nun blind, Kaminski und Dudek beobachten den jeweils anderen misstrauisch. Sarah, von Greta Kasalo mit großem Talent gespielt, zeigt sich als Überlebenskünstlerin.
Elling hat jetzt einen Midlife-Crisis-Porsche und kümmert sich liebevoll um seine demente Mutter Helga (Christine Schorn mit trockenem Witz). Mendt wacht aus ihrer emotionalen Erstarrung auf. Polizistin Sam Kaiser (Victoire Laly) kümmert sich um Hund Jürgen, noch eines der Opfer aus einer Schlepperwohnung. Hunde und Kinder, das ist die halbe Miete für Rührstücke. Auch hier ist Schmidt weder zimperlich noch bescheiden unterwegs und bekommt die Elemente passend zusammen. Diese Fortsetzung ist nicht nur geglückt, sondern sogar besser als die erste Staffel.
infobox: Vor-Sicht: "Finsteres Herz - Die Toten von Marnow 2", sechsteilige Miniserie, Regie: Andreas Herzog, Buch: Holger Karsten Schmidt, Kamera: Claire Jahn, Produktion: Polyphon Film (ARD-Mediathek/NDR/Degeto, ab 29.11.24, ARD, 7.12.24, 20.15-23.15 Uhr und 11.12.24, 20.15-21.45 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 29.11.2024 11:14
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD
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