Keine Heldengeschichte - epd medien

18.11.2024 10:06

Der Polizist Jan Vogt soll in dem ZDF-Film "Allein zwischen den Fronten" gemeinsam mit Kollegen eine Demonstration in Köln absichern. Plötzlich fliegen Steine, es gibt Verletzte. Eine interne Ermittlerin soll im Anschluss aufklären, was passiert ist.

Jan Vogt (Justus Johanssen) mit seinen Kollegen im Einsatz bei einer Demonstration in Köln

epd Sechs intensive Minuten dauert die Szene, um die in der Folge der ganze Film kreisen wird. In einer Kölner Nebenstraße treffen Teilnehmer einer Demonstration gegen Mietpreiserhöhungen auf einen Polizeitrupp, der die Gebäude dreier Privatbanken sichern soll. Ob sich unter den Protestierenden gewaltbereite Straftäter befinden, ist unklar. Die ortsunkundigen, aus Oldenburg hinzugezogenen Beamten bekommen aus dem Lagezentrum aber die Anweisung, ihre Position vor einer nadelöhrartigen Baustelle auf jeden Fall zu halten. In der direkten Konfrontation schaukelt sich die Stimmung hoch: "Verpisst euch doch, Scheiß-Drecksbullen!" Und als Gruppenführer Jan Vogt (Justus Johanssen) über Funk den Befehl bekommt, eine potenzielle Gefährderin - mit einem Molli in der Handtasche? - aus der Menge zu ziehen, eskaliert die Lage vollends.

Steine fliegen, Vermummte prügeln mit Latten auf Polizisten ein, Jan geht zu Boden. Er greift nach einem Pflasterstein, kassiert weitere Tritte und Schläge auf den Kopf, jemand reißt ihm den Helm runter, schließlich wird der Bildschirm schwarz.

Flashbacks und Erinnerungslücken

Hat der Polizist den Stein aber wirklich geworfen und damit einen Demonstranten lebensgefährlich verletzt? War in der Handtasche überhaupt ein Molotow-Cocktail? Und wer genau hat auf welcher Grundlage den Befehl zum Zugriff gegeben? Das sind die zentralen Fragen, die am Tag danach die interne Ermittlerin Charlotte Stauffer (Brigitte Hobmeier) zu klären versucht - nachdem 57 Menschen ärztlich behandelt werden mussten.

Während Jan von Flashbacks und Erinnerungslücken geplagt im Krankenhaus liegt, trifft die Hauptkommissarin bei seinen notdürftig in einer Sporthalle untergebrachten Kollegen auf Korpsgeist und Ablehnung. "Jetzt sollen wir an allem schuld sein?", bringt Zugführer Mark Kreutzer (Max Koch) die Gefühlslage seiner Männer auf den Punkt. "Es geht hier gar nicht um Schuld, ich bin keine Richterin", antwortet Charlotte Stauffer. "Ich sammle nur Fakten." Zu diesem Zweck führt sie mit jedem Mitglied der Einheit Einzelgespräche. Die Rekonstruktion der Ereignisse erweist sich jedoch als schwierig: Der Beamte für Beweis und Dokumentation der Gruppe hat seine Filmaufnahmen bereits gelöscht - aus Datenschutzgründen, wie er sagt. Und die ominöse Tasche ist verschwunden.

Kein unkontrollierter Hitzkopf

Immer wieder kehrt Regisseur Nicolai Rohde zu der verhängnisvollen Straßenschlacht zurück und beleuchtet den Hergang aus unterschiedlichen Perspektiven, sowohl dialogisch als auch visuell. Fast dokumentarisch genau schildert er Umgang und Abläufe in der Polizeiarbeit, von der Begrüßung in der Umkleide über die Anfahrt mit dem Mannschaftswagen bis zum Aufstellung-Nehmen.

In Jan Vogt hat ihm Drehbuchautor Jörg Tensing einen Protagonisten zur Verfügung gestellt, der selbstkritisch genug ist, seine eigene Rolle in der Befehlskette zu hinterfragen. Schon im Vorspann als liebevoller Vater einer kleinen Tochter eingeführt, der - vermutlich wegen der Zumutungen seines Arbeitsalltags - von der Mutter getrennt lebt, erscheint er zu keinem Zeitpunkt als unkontrollierter Hitzkopf, der den Gewaltexzess womöglich gesucht hat. Zwischenzeitlich der schweren Körperverletzung mit Todesfolge verdächtig, kooperiert er mit der internen Ermittlerin und hilft ihr, herauszufinden, dass es sich bei der vermeintlichen Gefährderin um eine Journalistin (Cynthia Micas) handelt, die ihrerseits aber auch nicht die ganze Wahrheit sagt. Letztlich entlastet Jan ein von einer Anwohnerin aufgenommenes Video.

Exzellente Fachberatung

Schwarz-Weiß-Malerei lässt sich dem ZDF-Film, der im linearen TV von einer Dokumentation begleitet wird, nicht vorwerfen. So schonungslos herausgearbeitet wird, dass hier ein überharter Polizeieinsatz zur Eskalation führte, so klar tritt zutage, welch schwer kontrollierbarer Dynamik sich die überforderten Beamten in einem aufgeheizten gesellschaftlichen Klima gegenübersehen.

Nach der ARD-Thrillerserie "Informant - Angst über der Stadt" ist dies innerhalb kurzer Zeit eine weitere öffentlich-rechtliche Fiktion, die sich kritisch mit Polizeiarbeit auseinandersetzt. Während bei dem Sechsteiler um eine terroristische Bedrohungslage aber doch eher die Spannungsdramaturgie im Vordergrund stand und das geschilderte Kompetenzgerangel zwischen Landeskriminalamt, Bundeskriminalamt und Bundesnachrichtendienst klischeehaft wirkte, besticht "Allein zwischen den Fronten" dadurch, dass es sich wohltuend vom klassischen Krimischema absetzt. Hier speist sich die Spannung nicht aus einer Heldengeschichte, sondern aus einem Realismus, der von exzellenter Fachberatung zeugt.

infobox: "Allein zwischen den Fronten", Fernsehfilm, Regie: Nicolai Rohde, Buch: Jörg Tensing, Kamera: Henner Besuch, Produktion: Rowboat (ZDF, 18.11.24, 20.15-21.45 Uhr, ZDF-Mediathek, seit 9.11.24)



Zuerst veröffentlicht 18.11.2024 11:06

Peter Luley

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Fernsehfilm, Rohde, Tensing, Luley

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