Abgeschottete Insel - epd medien

14.03.2024 14:56

In der Endzeitserie "Helgoland 513" (Sky) leben 513 Menschen abgeschottet auf der Nordseeinsel. In Deutschland grassiert eine Pandemie, wer versucht, nach Helgoland zu kommen, wird erschossen. Die Insel wird von einem unbarmherzigen Inselrat regiert.

Martina Gedeck spielt in "Helgoland 513" Beatrice, die Herrscherin der Insel

epd Wir befinden uns im Jahr 2039. Ganz Deutschland ist von einem Virus befallen. Ganz Deutschland? Nein! Auf Helgoland haben sich die Menschen vor den Bedrohungen von außen abgeschottet, und das gilt nicht nur für den Erreger, sondern vor allem für Landsleute, die auf dem Eiland Zuflucht finden wollen. Die Insel ist von einem durch Stacheldraht verbundenen Ring aus havarierten Schiffen umgeben. Wer versucht, diesen Schutzwall zu überwinden, wird erschossen.

Die Handlung der siebenteiligen Sky-Serie erinnert an andere Endzeitgeschichten, in denen die einen etwas haben, das die anderen auch gern hätten. In diesen postapokalyptischen Szenarien ist die Zivilisation wahlweise durch einen Atomkrieg verwüstet, überflutet oder aus anderen Gründen am Ende. Bei den Auseinandersetzungen geht es um Benzin, Trinkwasser, Lebensmittel und ums nackte Überleben. Der Clou von "Helgoland 513" ist ein anderer. Die Ziffer im Titel bezieht sich auf die Bevölkerung: Mehr als 513 Personen kann die Insel nicht versorgen.

Mächtiger Inselrat

Gegen Ende wird sich zwar herausstellen, dass die Zahl willkürlich gewählt ist, doch sie ist Gesetz: Wird ein Baby geboren, muss ein anderer Mensch weichen. Mit diesem Ritual beginnt die erste Folge. Ein alter Mann macht für seine Enkelin Platz und stürzt sich von der Klippe. Zur Überraschung aller bringt die Mutter jedoch Zwillinge zur Welt. Nun hat die Gemeinschaft zwei Opferoptionen: hier das unschuldige Baby, dort ein Mann, der gegen die Regeln verstoßen hat. Den meisten fällt die Wahl nicht schwer.

Über Wohl und Wehe des Kollektivs wacht ein Inselrat, in dem unter anderem der einzige Arzt, der Pfarrer und der Polizist sitzen. An der Spitze steht Beatrice (Martina Gedeck). Sie regiert mit Zuckerbrot und Peitsche. Ihre Macht stützt sich darauf, potenziellen Missmut mithilfe von Denunzianten im Keim zu ersticken. Gegenentwurf ist Marek (Alexander Fehling), ein Tropenmediziner, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, einen Impfstoff gegen die auf dem Festland nach wie vor grassierende Seuche zu finden. Der Arzt ist der einzige Sympathieträger der trotz der ausgezeichneten Bildgestaltung von Michael Wiesweg auch optisch freudlosen Serie.

Dystopische Geschichten waren immer schon ein Kommentar zur Gegenwart. Natürlich drängt sich die Parallele zu Corona auf, aber die Serie lässt sich auch als Spiegelbild der Flüchtlingsdebatte betrachten: Das Boot ist voll. Im Vordergrund geht es jedoch um die Strukturen, denen sich die Gemeinde unterwirft. Auf Basis eines nicht näher erläuterten Punktesystems ist eine Rangliste entstanden. Wer unverzichtbar ist, steht oben, durch positives Verhalten lassen sich Plätze gut machen. Die Menschen am Ende der Liste müssen bei der nächsten genehmigten Geburt mit ihrer Auslöschung rechnen. Wer sich eines Verbrechens schuldig gemacht hat, wird im Watt entsorgt.

Der "Graf" von Hamburg

Was zunächst wie ein reizvolles Sozialexperiment im Stil von William Goldings Klassiker "Herr der Fliegen" klingt, hat in der Umsetzung allerdings einige Mängel. Wirklich spannend wird die Serie erst in Folge fünf, als sich entscheidende Veränderungen ankündigen. Die eigentliche Faszination entfaltet sich in den beiden letzten Episoden, als die Vorgeschichte nachgereicht wird. Nun erscheinen die bisherigen Ereignisse in ganz anderem Licht. So wird verraten, wie Autokratin Beatrice vor dem Ausbruch der Seuche ihren Lebensunterhalt verdiente und wann sie ihr Talent zur Demagogie entdeckt hat. Damals lebten auf Helgoland mehr als 1.000 Menschen, mithilfe eines perfiden Plans konnte die Bevölkerung auf die Zielzahl 513 reduziert werden. Plötzlich wirkt die Serie nicht mehr nur wie eine Metapher für die "Festung Europa", sondern auch wie eine zynische Variante der rechtsextremistischen "Remigrations"-Fantasien.

Umso bedauerlicher, dass sich die insgesamt fünf Autorinnen und Autoren rund um Robert Schwentke (Florian Wentsch und Veronica Priefer hatten die Ursprungsidee) derart viel Zeit für den Anlauf gelassen haben. Den ersten vier Folgen mangelt es mitunter an Tempo, Biss und Intensität, das verwundert bei einem Hollywood-erfahrenen Regisseur wie Schwentke. Eine Reduzierung um zwei Folgen und einige Figuren hätte der Serie nicht geschadet. Hinzu kommen darstellerische Mängel.

Für Samuel Finzi gilt das ausdrücklich nicht. Seine Rolle als "Graf" von Hamburg hat großes Operettenpotenzial, und er verleiht ihr dank der ihm eigenen subtilen Ironie eine Note, die der Serie sonst völlig abgeht. Der Graf versorgt die Insel im Austausch gegen frische Lebensmittel regelmäßig mit Ware, die importiert werden muss. Die Kisten enthalten zudem versteckte Lieferungen, die einen erheblichen Schatten auf den Humanismus des Doktors werfen. Der Schluss ließe eine Fortsetzung zu, aber dafür müsste sich die UFA nach einem neuen Partner umschauen: Sky gibt keine Serien mehr in Auftrag.

infobox: "Helgoland 513", siebenteilige Serie, Regie: Robert Schwentke, Buch: Robert Schwentke, Florian Wentsch, Veronica Priefer, Yves Hensel, Matthew Wilder, Kamera: Michael Wiesweg, Produktion: UFA (Sky One, ab 15.3.24, freitags 20.15-22.00 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 14.03.2024 15:56 Letzte Änderung: 18.03.2024 09:49

Tilmann Gangloff

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KSky, Serie, Schwentke, Wentsch, Priefer, Hensel, Wilder, Gangloff, NEU

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