16.04.2024 07:26
Der IÖR betrachtet die medienpolitischen Entwicklungen und Rahmenbedingungen mit Sorge. Unsere Demokratie wird von verschiedenen Seiten bedroht: Im Innern erstarken politische Kräfte, die die demokratischen Werte unseres Grundgesetzes missachten und letztendlich unsere freiheitliche und von gegenseitigem Respekt getragene Demokratie zerstören wollen.
Von außen wird unsere Demokratie durch die großen Tech-Konzerne in den USA und China gefährdet. Von Anbietervielfalt und einem freien Internet kann längst nicht mehr die Rede sein. Die digitalen Großkonzerne haben auch in Deutschland Monopolstellungen im digitalen Mediensystem, mit denen sie durch gezielte Steuerung von Informationen und Kommunikation größtmögliche Werbeeinnahmen erzielen, nachzulesen im "Atlas der digitalen Welt" von Martin Andree und Timo Thomsen.
Die für eine Demokratie notwendige freie und vielfältige Diskussion in der Gesellschaft und der gesellschaftliche Zusammenhalt sind erheblich gefährdet.
Dabei nutzen die Tech-Konzerne die Tatsache, dass negative und provokative Sachverhalte mehr Aufmerksamkeit erhalten als positive und sachliche Informationen. Hass und Hetze wird dadurch Vorschub geleistet und das gesellschaftliche Klima vergiftet. Bedrohlich für unsere Demokratie ist darüber hinaus, dass die Demokratiefeinde im Innern dieses von den digitalen Großkonzernen beherrschte digitale Mediensystem besonders erfolgreich nutzen und ausnutzen. Am Beispiel Tiktok und Rechtsextremismus ist gut zu sehen, wie beide Seiten voneinander profitieren.
Noch viel bedrohlicher für die Demokratie ist es aber, wenn klassische Medien an Bedeutung verlieren, guter Journalismus immer weniger finanzierbar ist und die Rahmenbedingungen für die Digitalisierung durch die großen Tech-Konzerne diktiert werden. Die für eine funktionierende Demokratie notwendige freie und vielfältige Diskussion in der Gesellschaft und der gesellschaftliche Zusammenhalt sind dadurch erheblich gefährdet.
Angesichts der Gefährdungen unserer Demokratie von innen und außen ist es Aufgabe und Pflicht aller politisch Verantwortlichen und aller demokratischen Parteien, unabhängig davon, ob sie regieren oder sich in der Opposition befinden, diejenigen Institutionen, die für eine funktionierende Demokratie wesentlich sind, besonders zu schützen und sie in ihrer Funktion für die Demokratie zu stärken. Die derzeitige Diskussion um eine verfassungsmäßige Absicherung des Bundesverfassungsgerichts ist dafür ein Beispiel, das in die richtige Richtung weist.
In der Diskussion zum öffentlichen-rechtlichen Rundfunk scheint es vorrangig um die Finanzierung zu gehen. Das neue Eckpunktepapier der Rundfunkkommission vom 26. Januar ist in keiner Weise von einem Gedanken der Stärkung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks inspiriert. Der Kommission geht es in erster Linie darum, bei den Anstalten zu sparen, wie auch der Auftrag an die KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten - red.), in einem Sondergutachten "die Effizienzgewinne und Einsparpotentiale der Vorschläge" zu bemessen, deutlich macht.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist als unabhängige, nicht von kommerziellen Interessen geleitete, einer gesellschaftlichen Kontrolle unterliegende Medieninstitution verfassungsrechtlich und gesetzlich verpflichtet, die Vielfalt der in der Gesellschaft vorhandenen Meinungen ausgewogen darzustellen, zur gesellschaftlichen Integration beizutragen und die Werte unserer Demokratie aktiv zu verteidigen. Die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die Demokratie hat das Bundesverfassungsgericht in seinen zahlreichen Urteilen zur Rundfunkfreiheit immer wieder betont.
Aus der Sicht der Feinde unserer Demokratie ist es nur folgerichtig, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abzuschaffen, wie es die AfD fordert. Zur Abwehr der drohenden Gefährdungen ist es dagegen folgerichtig, diese für unsere Demokratie wesentliche Institution besonders zu schützen und zu stärken. Dem wird die Medienpolitik der Länder derzeit nicht gerecht!
Die Medienpolitik der Länder läuft Gefahr, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu schwächen, statt ihn zu stärken.
Immer wieder hat das Bundesverfassungsgericht unterstrichen, dass eine angemessene Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Verfassungsrang hat. Im jüngsten Urteil zur Beitragsfinanzierung musste es sogar selbst eingreifen, um dieses Recht zur Geltung zu bringen, weil ein Bundesland sich weigerte, seiner gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Verantwortung gerecht zu werden. Umso unerträglicher ist es, dass die Länder erneut ihrer verfassungsrechtlichen Verpflichtung nicht nachkommen wollen.
Offensichtlich haben sie sich verabredet, den notwendigen Staatsvertrag zur Erhöhung des Rundfunkbeitrags - entsprechend dem Vorschlag der KEF - in dem gesetzlich festgelegten Verfahren nicht vorzulegen. Das bedeutet, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk ab dem 1. Januar 2025 nicht mehr angemessen finanziert sein und so deutlich bei seiner Aufgabenwahrnehmung geschwächt wird. Diese Missachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist besonders gravierend, da das Fundament unserer Demokratie infrage gestellt wird, wenn das Grundgesetz, wie es vom Bundesverfassungsgericht für alle verbindlich ausgelegt wird, nicht mehr handlungsleitend für die Politik ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat als einen Aspekt der Rundfunkfreiheit betont, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein Gegengewicht bilden muss zu den von kommerziellen Interessen geleiteten Medien. Dies gilt umso mehr in der digitalen Transformation. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss in die Lage versetzt werden, diese Gegengewichtsfunktion auch gegenüber den digitalen Konzernen in unserem Mediensystem ausüben zu können. Strukturreformen müssen daher aus der Sicht der Menschen, der Nutzer gedacht und angegangen werden. Eine gemeinsame Plattform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gegebenenfalls zusammen mit privaten Qualitätsmedien wäre einer ernsthaften Prüfung wert. Die hierfür notwendigen Finanzmittel müssten gewährt werden.
Öffentlich-rechtliche Medien und privatwirtschaftliche Medien werden in der medienpolitischen Diskussion gegeneinander ausgespielt, was angesichts der gerade angeführten Bedrohungen für beide Seiten des dualen Systems von außen ganz unsinnig ist. Das Verbot presseähnlicher Angebote, dessen Verschärfung derzeit auch in die medienpolitische Debatte eingebracht wird, ist hierfür ein anschauliches Beispiel: Es besagt, dass öffentlich-rechtliche Angebote im Internet im Schwerpunkt mittels Bewegtbild und Ton zu gestalten sind und Text nicht im Vordergrund stehen darf. Die praktische Bedeutung dieses Verbots liegt vor allem im Informations- und Nachrichtenbereich, denn Studien belegen, dass bei der Rezeption von Online-Nachrichten in allen Altersgruppen das Lesen von Texten gegenüber dem Anschauen von Videos überwiegt.
Mit dem - durch aktuelle Studien widerlegten - Argument, die öffentlich-rechtlichen Anstalten würden durch textbasierte Angebote die Existenzgrundlagen der privaten Anbieter gefährden, wird hier dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk versagt, Hass, Hetze und Falschmeldungen im Internet angemessen, nämlich entsprechend den Nutzergewohnheiten insbesondere auch junger Menschen mit Textangeboten entgegenzutreten.
Die derzeitige Medienpolitik in den Ländern schwächt die Wettbewerbsfähigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien und schadet der Demokratie. In der Medienpolitik wird immer noch verkannt, dass die regulatorische Herausforderung in einer sich verändernden Medienwelt nicht darin liegt, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zugunsten privater Anbieter im dualen System zurückzufahren. Die regulatorische Herausforderung ist vielmehr, aufbauend auf dem verfassungsrechtlich fundierten öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem und zusammen mit den privaten Medienhäusern an einer demokratischen Alternative zu den großen Streamingdiensten und Intermediären im Netz zu arbeiten und die Einflussnahme der globalen Großkonzerne zurückzudrängen.
Aus diesen Gründen ist es daher dringend geboten, dass die Medienpolitik in den Ländern umdenkt und konkrete Schritte zur Stärkung und zur verfassungsgemäßen Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vornimmt, damit dieser seiner Funktion, ein tragender Pfeiler unserer Demokratie zu sein, angemessen nachkommen kann. Die politisch Verantwortlichen in den Ländern sollten daher intensiv daran arbeiten, unser duales Mediensystem mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk als tragende Säule zukunftsfest aufzustellen, statt dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die im gesetzlich vorgesehenen Verfahren ermittelte Beitragsanpassung zu versagen.
Die Medienpolitik in Europa und in Deutschland sollte dringend darüber nachdenken, wie man den Gefahren für die Demokratie wirksam begegnet, die von den Steuerungsmechanismen der digitalen Großkonzerne ausgehen, die nicht nur Hass und Hetze befördern, sondern auch politischen Einfluss nehmen. Die aktuellen neuen Regelungen auf europäischer Ebene (Digital Markets Act und andere) sind nicht ausreichend, weil sie bei den Folgen ansetzen, nicht an den ökonomischen Grundvoraussetzungen. Nach den Untersuchungen von Martin Andree ("Big Tech muss weg") bleibt nicht mehr viel Zeit, um die Übermacht der kommerziellen privaten Großkonzerne brechen zu können. Hier richtet sich unser Appell nicht nur an die Rundfunkkommission der Länder, sondern auch an die Bundespolitik und das Europaparlament, das zwar beachtliche Regelungen beschlossen hat, aber nicht an den Monopolstrukturen ansetzt.
Im analogen Rundfunkrecht ist jegliche Form von Medienkonzentration verboten, sogar sinnvolle Kooperationen wurden verhindert. Private ausländische Großunternehmen lässt man in der digitalen Welt unbehelligt agieren. Von Marktmacht kann schon keine Rede mehr sein, denn Märkte gibt es praktisch nicht mehr. Niemals dürfen große Privatunternehmen zu Gatekeepern werden und redaktionelle Medien verdrängen.
Es gilt, Vielfalt zu ermöglichen durch offene Standards, Outlink-Freiheit und die Entflechtung der großen Digitalunternehmen. Bei demokratierelevanten Plattformen sollte eine Trennung von Verbreitungsweg und Inhalten gesetzlich vorgeschrieben werden, um die bislang fehlende Haftung für die Inhalte vorzuschreiben. Analog zu den bestehenden Regelungen im Medienstaatsvertrag sollte eine Marktanteilsobergrenze von maximal 30 Prozent für digitale Plattformen eingeführt werden, die demokratierelevante Inhalte verbreiten, die für die Meinungsbildung wichtig sind. Zudem sollten ein Verbot der Monetarisierung strafbarer Inhalte durch Werbung oder Gebühren erfolgen und Prinzipien der Staatsferne eingehalten werden.
Der Zukunftsrat hat in seinem Bericht vom Januar 2024 ausgeführt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Beitrag dazu leisten muss, die gesellschaftlichen und kulturellen Voraussetzungen unserer Demokratie zu erhalten und zu fördern. Er müsse sich stärker als Anwalt des demokratischen Diskurses begreifen und Raum geben für die faktengestützte erkenntnisorientierte Verständigung in der Demokratie. Dazu brauche es guten Journalismus. Der IÖR teilt diese Meinung.
Wir möchten mit folgenden Überlegungen und Anregungen die öffentlich-rechtlichen Sender ermutigen, mehr Aufklärung über unsere Demokratie, ihre Strukturen, Mechanismen und ethischen Grundlagen zu leisten.
1. Demokratie und ihre Funktion erläutern und das Demokratieverständnis fördern
• Wir wissen, dass in den Redaktionen die Demokratiethematik schon sehr ernst genommen wird. Wir ermutigen jedoch, immer wieder - auch in der Hauptabendsendezeit im Ersten und Zweiten - in verschiedenen Formaten und Genres darüber aufzuklären, was Demokratie bedeutet, wie sie funktioniert und welche Werte sie auszeichnen; eben nicht Schnellschüsse und Rechthaberei, sondern konstruktiver Diskurs und Kompromisse. Die große Bedeutung freier Medien und freier Meinungsbildung für eine Demokratie muss erläutert werden. Wichtig ist auch, die Bedeutung der Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative verständlich zu machen. Allzu oft wird die Demokratie auf Wahlen reduziert. Auf ARD-Alpha liefen 2023 sehr gute Sendungen unter dem Titel "Demokratie verstehen". Genau solche gehören auch in die Hauptprogramme, wo sie sehr viel mehr Reichweite haben.
Erfreulich: Die ARD wird im Mai zum 75. Jahrestag des Grundgesetzes im Ersten die Dokumentation "In guter Verfassung" ausstrahlen und sendet im Radio das Feature "Unser Grundgesetz - Eine Verfassung für die Zukunft".
• Auch kurze Spots zum Thema Demokratie, ihrer Funktionsweise und ihren Vorteilen sowie für mehr Gemeinsinn und gegen Egoismus könnten im Ersten und Zweiten so manchen (Krimi-)Trailer gut und sinnvoll ersetzen.
• Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss wieder mehr Forumsfunktion für den offenen und öffentlichen Meinungsaustausch entwickeln und sich für eine Verbesserung der Debattenkultur einsetzen. Dort muss alles, was für den gesellschaftlichen Zusammenhalt von Bedeutung ist, kontrovers und offen dargestellt und auch mit den Bürgerinnen und Bürgern diskutiert werden. Damit kann ein Gegengewicht zu den Fragmentierungstendenzen der sozialen Medien und der gesamten Gesellschaft gebildet werden.
• Mehr "Konstruktiver Journalismus" sollte gerade auch in Krisenzeiten über das, was in unserer Demokratie gut funktioniert, berichten. Viele Menschen schauen oder hören schon keine Nachrichten mehr, weil die negativen Inhalte belasten. Einige Medien erwecken durch ständige Kritik an politischen Entscheidungen und die Darstellung von Streit und Fehlern immer mehr und gerade aktuell den Eindruck, es funktioniere so gut wie nichts mehr in unserem Land. Das ist jedoch keineswegs der Fall. Politik ist ein Spiegel der Gesellschaft. Gerade in Zeiten der Spaltung sollten Journalismus und öffentlich-rechtlicher Rundfunk Empathie statt Hass und Empörung fördern.
Nach einer Ende 2023 veröffentlichten Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach glauben nur 16 Prozent der Befragten in Deutschland, dass sie in glücklichen Zeiten leben, 72 Prozent sehen sich in schwierigen Zeiten. Das ist der niedrigste Wert seit 1963, das kann neben all den Krisen dieser Welt auch daran liegen, dass über erfolgreiche Politik und Entscheidungen zu wenig informiert wird. Das Bonn Institute befasst sich mit dieser Thematik. Die Deutsche Welle und RTL sind schon Gesellschafter, ARD und ZDF noch nicht. Der dänische öffentlich-rechtliche Rundfunk hat mit konstruktivem Journalismus großen Erfolg erzielt.
Der negative Blick und Schlechtrederei bereiten den Boden, auf dem die AfD gedeiht. Der Soziologe Steffen Mau hat die Partei als "Marktführer bei den Polarisierungsunternehmern" bezeichnet. Das Schwierige werde aufgebauscht, das Gelungene verächtlich gemacht. Das sei das Geschäftsmodell der AfD. Dem muss guter Journalismus entgegenwirken.
2. Informieren, aufklären, Hintergründe in einer immer komplexeren Welt erläutern
• Durch mehr Dokumentationen und Hintergrundberichte zu attraktiven Sendezeiten, gerade auch im Ersten und Zweiten, sollten die Menschen besser informiert und in den Stand gesetzt werden, sich eine eigene Meinung zu bilden. Oft fehlen ihnen dafür wichtige Informationen, wodurch eine einseitige oder vorschnelle Meinungsbildung erfolgt.
• Bei der kommenden Europawahl werden Jugendliche ab 16 Jahren wählen können. Es wäre schön, wenn diese Zielgruppe so angesprochen werden könnte, dass sie sich mit ihren Fragen und Interessen ernst genommen fühlt.
Erfreulicherweise hat die ARD-Programmdirektorin Christine Strobl angekündigt, dass sie die Zahl der Dokumentationen im Ersten deutlich steigern will, weil die Nachfrage nach Vertiefung - auch bei jüngeren Leuten - steige und Hintergrundinformation und Einordnung gewünscht würden. Solche Sendungen müssen auch im linearen Programm und nicht auf sehr späten Sendeplätzen kurz vor oder nach 23 Uhr ausgestrahlt werden. Es genügt nicht, diese nur in die Mediathek zu stellen. Gleichzeitig müsste Crosspromotion im Ersten und Zweiten erfolgen, wenn solche Sendungen in anderen Programmen ausgestrahlt werden oder in die Mediathek eingestellt sind.
• Mehr aufklären über die unterschiedlichen Meinungen und Argumente zu gesellschaftlichen und politischen Themen. Sendungen wie früher "Pro & Contra" fehlen heute. Mit "Die 100" machen NDR und WDR gerade erste gute Schritte in diese Richtung.
• Es sollte viel öfter über demokratiegefährdende Entwicklungen informiert werden. Dabei geht es nicht nur um die Berichterstattung über Parteitagsereignisse, sondern um Einordnung und die Analyse von möglichen Auswirkungen. Mehr Aufklärung über die Gefahren extremer Parteien ist wichtig, derzeit besonders über die AfD, die offenkundig verfassungswidrige Ziele verfolgt und deshalb von mehreren Verfassungsschutzämtern beobachtet wird. Dazu könnte es empfehlenswert sein, Weiterbildung für Journalisten anzubieten, damit sie Begriffe und Denkweisen rechter politischer Positionen verstehen, einordnen und für alle verständlich übersetzen können.
• Bürgerinnen und Bürger sollten mehr ins Programm einbezogen werden. Zum einen durch Dialog auf Augenhöhe zum Programmangebot und zum anderen zu gesellschaftspolitischen Themen. Das würde auch den Public Value von ARD und ZDF erhöhen. MDR und NDR gehen mit "MDR fragt" und "NDR fragt" bereits den richtigen Weg.
• Generell sollten die Talkshowformate von ARD und ZDF überprüft werden, da sie häufig wenig Erkenntnisse bringen und oft mit denselben Politikern besetzt sind. Viele Zuschauer wünschen sich auch Veränderungen. Außerdem sollten auch öfter Bürger in Talkrunden einbezogen werden, um ihre Haltung zu aktuellen Themen zu erfahren und zu vermitteln. Das würde auch so manchen Politikern guttun, damit sie sehen, was den Bürger drückt und belastet, und wie "Politikersprech" in der Bevölkerung ankommt.
3. Über Gefahren der "sozialen" Netzwerke und Big Tech sowie KI aufklären
• Die Gefahren der Macht der sogenannten sozialen Netzwerke wie zum Beispiel Facebook, jetzt Meta, Twitter, jetzt X, Youtube und Tiktok gerade auch für die Demokratie müssen stärker im Programm in den Fokus genommen werden, und das nicht erst nach 23 Uhr. Der zunehmende Hass in den sozialen Netzwerken sollte öfter thematisiert werden, ebenso Verschwörungserzählungen, Fake News, rassistische, antisemitische und persönlichkeitsverletzende Inhalte. Das Internet darf nicht als rechtsfreier Raum erscheinen.
• Mit den mächtigen modernen Werkzeugen der Künstlichen Intelligenz (KI) verschwimmen die Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion, und dadurch entstehen gewaltige Herausforderungen und Gefahren für Gesellschaft und Demokratie sowie auch für die Medien. Auch darüber tut Aufklärung not. Ein Thementag in der ARD zu den Gefahren von Big Tech und KI wäre wünschenswert. Das Europaparlament hat ja auch gerade einen Gesetzesvorschlag zur KI auf den Weg gebracht.
• In der Auseinandersetzung mit den Gefahren von KI und auch zur zeitnahen Aufdeckung von Fake News könnte eine Kooperation zwischen öffentlich-rechtlichen, privaten Sendern und der Presse sinnvoll sein. Derzeit ist der ARD-Faktenfinder nur online zu finden und führt leider ein Schattendasein. Wäre es nicht sinnvoll, regelmäßig auch im linearen Programm über die übelsten Fake News und Verschwörungserzählungen der Woche zu berichten, zum Beispiel in den "Tagesthemen"?
• Spots und Angebote zum Thema Medienkompetenz könnten hilfreich sein, um dafür zu werben, dass man vielen Informationen aus dem Netz und auf Social-Media-Plattformen kritisch gegenüberstehen und sie überprüfen sollte. Erfreulich: Die ARD ist Partner der Medienkompetenz-Initiative "#UseTheNews", die von öffentlich-rechtlichen und privaten Medienhäusern unterstützt wird.
• Die Förderung der Medienkompetenz muss vor allem auch bei den Kindern ansetzen, die mit der Digitalisierung groß werden. Gerade für Kinder ist das digitale "Frisieren" und Faken von Aufnahmen noch ein Spaß, und sie kennen sich in der digitalen Welt oft schon besser aus als die Eltern. Nicht nur der Kika und sonstige Angebote für Kinder sind hier aufgefordert, sondern auch medienpädagogische Veranstaltungen und Projekte in Kooperation mit Schulen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Kinderstudio des WDR. In solchen Projekten kann man gleichzeitig auf die Gefahren der Digitalisierung hinweisen und über Elemente der Demokratie informieren. Das geht nicht nur pädagogisch belehrend, sondern spielerisch: Kompromisse finden zum Beispiel, die nicht faul sind, sondern von allen akzeptiert werden können. Demokratisches Verhalten zu lernen, ist gleichzeitig eine Lehre für das ganze Leben.
4. Programmliche Veränderungen vornehmen
• Mehr Crosspromotion in den Hörfunk- und Fernseh-Hauptprogrammen für Sendungen zum Thema Demokratie und gesellschaftliche Entwicklungen könnte Nutzer eher dazu bringen, auch einmal in die Spartenprogramme zu schauen, die oft sehr gute Beiträge zu diesen Themen bringen.
• Mehr Information und Berichterstattung über das Geschehen in der gesamten Welt, insbesondere über den Globalen Süden, über den selten von ARD und ZDF im Fernsehen berichtet wird, könnte das Meinungsbild zu nationalen und europäischen Entwicklungen in ein anderes Licht tauchen und Meinungsänderungen herbeiführen. Und wer weiß noch etwas über die aktuelle Situation im Sudan, im Jemen, in Syrien, in Myanmar und anderen Krisengebieten?
• Das Auslandskorrespondentennetz von ARD und ZDF könnte viel besser genutzt werden durch häufigere Sendungen im linearen Programm. Nur ein "Weltspiegel" und ein "Auslandsjournal" pro Woche sind für öffentlich-rechtliche Sender, die immer wieder ihren Informationsanteil herausstellen, zu wenig.
5. Gemeinsame Informationsplattform schaffen
Wäre nicht eine gemeinsame Informationsplattform der deutschen öffentlich-rechtlichen und privaten Medien (inklusive Print und weiterer gemeinnütziger Institutionen) als Gegenpol zu den Big-Tech-Unternehmen sinnvoll? Die ehemalige Intendantin des MDR Karola Wille hat schon 2021 für eine öffentlich-rechtliche gemeinwohlorientierte Kommunikationsplattform als Gegenstück zur Desinformation plädiert. Auch der Zukunftsrat spricht sich dafür aus, dass ARD, Deutschlandradio und ZDF ihr digitales Knowhow in die deutsche und auch europäische Medienlandschaft einbringen. Dabei könnten faire Partnerschaften mit privatwirtschaftlichen Anbietern zur Medienvielfalt beitragen und dem Gemeinwohl dienen. Der Chef von ProSiebenSat.1 hat ebenfalls vor kurzem solche Überlegungen angestellt. Der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke hat sie als interessant bezeichnet. Für diese Idee spricht sehr viel.
Allerdings müssen für eine wirklich unabhängige Plattform erst einmal die oben genannten Voraussetzungen geschaffen werden: freie Märkte für digitale Dienste, die Vielfalt ermöglichen, statt sich der Macht eines Großkonzerns auszuliefern.
Die politisch Verantwortlichen in den Ländern sollten daher intensiv daran arbeiten, unser duales Mediensystem mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk als tragender Säule gegenüber den Tech-Konzernen zukunftsfest aufzustellen, statt ihm die im gesetzlich vorgesehenen Verfahren ermittelte Beitragserhöhung zu versagen.
infobox: Der 1994 gegründete Initiativkreis öffentlich-rechtlicher Rundfunk Köln setzt sich für einen leistungsfähigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein. Er beobachtet die medienpolitischen, medienrechtlichen, sozialen und technischen Rahmenbedingungen sowie die programmlichen Entwicklungen aus kritischer Distanz und verfasst Stellungnahmen und Gutachten. Der Initiativkreis setzt sich zusammen aus ehemaligen Mitgliedern öffentlich-rechtlicher Gremien und ehemaligen Mitarbeitern im Ruhestand, Wissenschaftlerinnen und ehemaligen politischen Mandatsträgern. Vorsitzende ist seit 2012 Erika Bock-Rosenthal.
dir
Zuerst veröffentlicht 16.04.2024 09:26 Letzte Änderung: 19.04.2024 10:27
Schlagworte: Medien, Rundfunk, Medienpolitik, Rundfunkbeitrag, IÖR, Bock-Rosenthal, Dokumentation, BER, NEU
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