01.05.2024 08:00
Argentiniens Präsident im Angriffsmodus gegen die Medien
epd Jorge Lanata ist das wohl bekannteste Gesicht des argentinischen Journalismus. Der 63-jährige Autor ist wegen seiner Recherchen und Polemiken immer wieder ein Ärgernis für Staatschefs, neoliberale wie progressive. Doch keiner ging ihn so an wie Javier Milei, der das südamerikanische Land seit fast fünf Monaten regiert.
Neulich kritisierte der Starjournalist, vollbärtig, korpulent und meist schrill gekleidet, dass der israelische Botschafter an einer Kabinettssitzung teilgenommen hatte. Daraufhin deutete der ultralibertäre Präsident auf der Plattform X an, Lanata habe dafür einen Umschlag mit Schmiergeld erhalten. Der wiederum reagierte mit einer Strafanzeige.
zitat: Korrumpiert, verdreckt, prostituiert
Lanata warb in den Radio- und Fernsehredaktionen von Buenos Aires um Solidarität. Bei seinen Kollegen und Kolleginnen, die der ständigen Pöbeleien des Präsidenten gegen seine Kritiker müde sind, stieß er auf großes Verständnis.
"Die schlimmste Kloake der Welt" seien die Medien seines Landes, hatte Milei zuvor einem US-Interviewer erklärt. "Sie haben sich in mein Privatleben eingemischt, sie haben gelogen, mich verleumdet, auf meiner Schwester, auf meinen Eltern, ja auf meinen Hunden herumgehackt." Auf X klagte er: "Durch die Umschläge und die Regierungsanzeigen hat sich Journalismus korrumpiert, verdreckt, prostituiert."
Mehr als 20 Journalistinnen und Journalisten hat Milei namentlich beschimpft, verleumdet, beleidigt - meistens auf den sozialen Netzwerken, wo jede seiner Einlassungen exponentiell vervielfacht wird. Über X, Instagram oder Tiktok werden auch in Argentinien mit allen Mitteln rechtsextreme Narrative verbreitet. Liberale oder Linke kommen dagegen nicht an.
Milei selbst hält sich oft stundenlang auf X auf, um entsprechende Posts weiterzuleiten. Er sei ein "digitaler Heckenschütze", analysiert der Autor José Benegas. "Er hat eine schmutzige Form der Politik eingeführt, die wir vorher nicht kannten." Ziel sind Andersdenkende in allen Bereichen - mit Erfolg: Vor kurzem nahm das US-Magazin "Time" den exzentrischen Rechtsausleger sogar in seine Liste der 100 einflussreichsten Personen der Welt auf.
"Mileis Angriffe können schnell zu Selbstzensur führen, gerade bei jüngeren Kollegen", sagt ZDF-Mitarbeiterin Silvina Márquez. Dem Leitartikler, Moderator und Medienunternehmer Jorge Fontevecchia, der eine "neue Inquistion" beklagte, warf Milei vor, er wollte zu seinem Sturz beitragen, "damit er wieder von Staatsknete leben kann". Der von Fontevecchia geleiteten Perfil-Verlagsgruppe wünschte der Präsident den Bankrott - worauf der Verleger ebenfalls vor Gericht zog.
Als Milei zu Beginn zu seiner kometenhaften Politikerkarriere 2021 fünf Journalisten eines privaten Fernsehsenders anging, die ihm Nazi-Rhetorik vorwarfen, jubelte er: "Wir sind dabei, die kulturelle Schlacht gegen die Scheiß-Linken zu gewinnen". Heute sagt Lanata, Milei habe bis heute nicht verstanden, dass er als Präsident anders agieren müsse als früher, als er in TV-Shows herumpöbelte und dadurch bekannt wurde.
Erstaunlich sei es, dass keiner der attackierten Schreiber der peronistischen Opposition nahestehe, findet Alejando Rebossio vom unabhängigen Internetportal "Eldiarioar": "Nun hat der Präsident das Kunststück fertiggebracht, moderate Rechte und Peronisten über das Thema Meinungsfreiheit zusammenzubringen."
Im März kündigte Milei die Schließung der 1945 gegründeten öffentlichen Nachrichtenagentur Télam an, die größte Lateinamerikas. 700 Mitarbeiter sollen entlassen werden. Dies ist ein Schlag gegen die Pressevielfalt - und ein weiteres Beispiel für seinen Marktradikalismus, demzufolge der Staat eine "kriminelle Vereinigung" sei.
Jorge Lanata findet, derzeit könne man den "normalen" Milei erleben. Richtig schlimm könne es allerdings werden, sollte dessen radikale Sparpolitik auf Kosten von Rentnern, Armen und immer größeren Teilen der Mittelschicht endgültig scheitern: "Wie wird der schlecht gelaunte Milei sein?"
Zuerst veröffentlicht 01.05.2024 10:00
Schlagworte: Argentinien, Medien, Javier Milei, Pressefreiheit, Dilger
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