05.03.2024 15:07
Berlin (epd). Die Reden der Opposition im Bundestag sind verständlicher als die der Regierungspolitikerinnen und -politiker. Zu diesem Ergebnis kommt eine am Dienstag vorgestellte Studie, die die Universität Hohenheim auf Anregung der Nachrichtenredaktion des Deutschlandfunks erstellt hat. Sie hat die Haushaltsreden untersucht und kommt zu Ergebnis, dass die Opposition sich deutlich klarer ausdrückte. Insgesamt ist die Sprache der Politik laut der Studie besser als ihr Ruf.
Für die Studie wurden 96 Reden aus den Haushaltsdebatten im vergangenen September untersucht. Bei der Verständlichkeit lag die Opposition laut Studie in 14 von 16 Debatten über einzelne Haushaltspläne vor der Regierung. Nur bei Reden zum Justizhaushalt konnten die Regierenden punkten, Gleichstand herrschte bei den Beiträgen zum Landwirtschaftshaushalt.
Die verständlichste Rede hielt demnach Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) zum Einzelplan ihres Ministeriums. Die formal unverständlichste Rede hielten der Studie zufolge die FDP-Politikerin Claudia Raffelhüschen in der Debatte zum Haushalt des Familienministeriums und Agnieszka Brugger (Grüne) in der Debatte zum Entwicklungshaushalt. Laut Studienergebnissen seien ihre Sätze im Schnitt doppelt so lang gewesen wie die von Stark-Watzinger.
Unter den Kabinettsmitgliedern bekleidet Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nach Stark-Watzinger den zweiten Platz, gefolgt von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Den letzten Platz belegt, wie auch im vorherigen Jahr, die Rede von Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne). Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) landete auf dem 57. Platz und damit im Mittelfeld des Gesamtrankings. Auch Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) bekleidete einen der hinteren Plätze. Die verständlichsten Bundestagsreden wurden der Studie zufolge von Politikerinnen und Politikern der Linkspartei gehalten, darauf folgen die Reden von CDU/CSU. Den letzten Platz belegen die Rednerinnen und Redner der Grünen.
Die Verfasser der Studie Frank Brettschneider und Claudia Thoms von der Uni Hohenheim sind mit der Verständlichkeit der Reden grundsätzlich zufrieden. "Der Bundestag ist formal verständlicher als vielfach erwartet. Das sind Aussagen, denen man gedanklich folgen kann", sagt Brettschneider. Das zeige, dass es sich auch lohnen könne, das anzuhören, was da im Bundestag debattiert werde. Eine formale Hürde sei nicht da, so der Kommunikationswissenschaftler. Das trifft nicht auf alle Redner zu: Beim unteren Drittel der Abgeordneten sei durchaus noch "Luft nach oben".
Grundlage der Studie ist der sogenannte Hohenheimer Verständlichkeitsindex. Er reicht von 0 (formal schwer verständlich) bis 20 (formal leicht verständlich). Die inhaltliche Verständlichkeit ist nicht Gegenstand der Untersuchung. Die Software der Studie ermittelt vielmehr formalen Hürden für die Verständlichkeit. Dazu gehören neben langen und verschachtelten Sätzen Fremd- und Fachwörter sowie Anglizismen. Als Beispiel nannten sie Begriffe wie "Turnaround-Potenzial" (Christian Lindner, FDP) oder "incentiviert" (Habeck).
Im Durchschnitt liegt die formale Verständlichkeit der Reden in den Haushaltsdebatten zwischen den Werten 12,7 (Entwicklungsministerium) und 17,3 (Wirtschaftsministerium). Zum Vergleich: Doktorarbeiten in der Politikwissenschaft haben laut der Studie eine durchschnittliche Verständlichkeit von 4,3, während die Reden der Vorstandsvorsitzenden auf den Jahreshauptversammlungen der 40 DAX-Unternehmen im vorigen Jahr auf einen Wert von 13,7 kamen.
Deutschlandfunk-Nachrichtenchef Marco Bertolaso erklärte zu der Studie, die verständliche Vermittlung komplexer Zusammenhänge werde für den Informationsjournalismus immer wichtiger. Angesichts einer kaum noch überschaubaren Menge an Informationen reagierten viele Menschen mit Nachrichtenvermeidung oder würden empfänglich für schlichte Parolen. "Abgeordnete, aber auch Ministerien und Behörden müssen besser erklären und zugleich der Versuchung widerstehen, auf PR-Floskeln oder Polemik im Stil mancher Social-Media-Accounts zurückzugreifen", forderte Bertolaso.
kps
Zuerst veröffentlicht 05.03.2024 13:00 Letzte Änderung: 05.03.2024 16:07
Schlagworte: Medien, Politik, Sprache, Stark-Watzinger, Bertolaso, Deutschlandfunk, Hohenheim, kps, NEU
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